Vorwärts in die Zukunft!

Wieder einmal ging es um die Zukunft Kroatiens, um seine Annäherung an die Europäische Union und um seine Rolle am Balkan. 
Zagreb an einem herrlichen warmen Frühlingstag ist eine Stadt, die sehr an Wien erinnert und die prototypisch für viele mitteleuropäische Städte ist. Man merkt allerdings einen leicht mediteranen Einschlag. Und ich persönlich registriere nach wiederholten Besuchen in den letzten Jahren eine deutliche Änderung in Richtung Lebendigkeit, Offenheit, Modernität und Urbanität – allerdings durchaus gemischt mit Elementen der vergangenen Entwicklung, etwa mit Hinterhöfen, die noch heute von Armut zeugen.

Flüchtlingsrückkehr mit Augenmaß

Mein erster Besuch galt Zeltka Antunovic, der stellvertretenden Premierministerin für soziale Angelegenheiten. Ich kenne Frau Antunovic noch aus einer Zeit, als sie als Vertreterin des kroatischen Parlaments, des Zabors, in der gemischten Delegation EU-Kroatien saß. Sie hat dort die Sozialdemokraten, die SDP, vertreten und fiel mir in mehreren Fragen, insbesondere bei der Flüchtlingsfrage, durch ihre harte, „nationalistische“ Position auf.
Nach einem langen Gespräch bei einem der Abendessen hier in Zagreb relativierte ich meine kritische Position ihr gegenüber, da sie mir doch relativ deutlich klar machen konnte, dass es nicht darum geht, Kroatien ethnisch rein zu gestalten, dass es also nicht um eine ethnische oder religiöse Überheblichkeit geht. Vielmehr stecken viele Kroaten selbst in ungemeinen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, weshalb die Rückkehr der Serben nur mit Augenmaß erfolgen könne und sicherlich nicht so, dass die rückkehrenden Serben mehr Aufmerksamkeit und mehr finanzielle Unterstützung bekommen könnten, als die gleichermaßen in Arbeit oder vielfach Arbeitslosigkeit stehenden Kroaten kroatischer Abstammung.

Stufenplan

Das jüngste Treffen mit Frau Antunovic war durch gegenseitigen Respekt und Sympathie gekennzeichnet, und wieder stand das Flüchtlingsproblem im Mittelpunkt unserer Gespräche. Wieder ging es um die Frage einer möglichst gerechten Lösung, einer Lösung, die für alle akzeptabel ist, die letztendlich für alle Kroaten – ob sie serbischer, muslemischer oder kroatischer Abstammung sind – Vorteile bringt.
Angesichts der ungemein schwierigen sozialen Lage, aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit, der Notwendigkeit, wirtschaftliche Reformen durchzuführen, Schulden zurückzuzahlen und daher zu sparen, kann die Flüchtlingsrückkehr nur stufenweise erfolgen.
Überdies wird es notwendig sein, jenen Kroaten, die nach Bosnien, insbesondere in die Republika Srpska, zurückkehren wollen, diese Rückkehr auch zu ermöglichen. Denn es ist auch aus meiner Sicht kaum einzusehen, dass Kroatien bereit sein muss, jenen, die aus dem Land geflohen sind, die zum Teil auch die Konflikte geschürt und begonnen haben, die Heimat und finanzielle Unterstützung wiederzugeben und gleichermaßen jene im Lande zu lassen und zu unterstützen, denen es unmöglich bzw. zumindest nicht leicht gemacht wird, in ihre jetzt serbisch dominierte Heimat der serbischen Teilrepublik von Bosnien zurückzukehren.

Selbstentscheidungsrecht

Das ist ein schwieriges Problem, ein Problem, das nur langfristig gelöst werden kann, und ein Problem, bei dem auch bis zu einem gewissen Teil akzeptieren muss, dass sich Menschen dort niederlassen, wo sie sich nach dem Krieg befunden haben. Diese Vorgehensweise schafft rein ethnische Gebiete und ist weder sinnvoll noch unser Ziel. Aber unser Ziel kann auch nicht sein, dass jeder gewissermaßen gezwungen ist, in seine frühere Heimat zurückzukehren – ob er will oder nicht.
Diesen Grundsatz vertrat auch meine zweiter kroatischer Gesprächspartner, Außenminister Tonino Picula. Ich kenne Picula noch aus jener Zeit, als er Generalsekretär der Sozialdemokraten in Kroatien war. Er hat mich auch öfters eingeladen, und ich bin diesen Einladungen, wann immer es mir möglich war, gefolgt. Daher war auch der Empfang im Außenministerium überaus herzlich und freundschaftlich. Wir sprachen über die Flüchtlingsfrage, und dabei kam es auch zur erwähnten Aussage von Picula – die ich auch persönlich voll unterstütze: Es muss ein Recht auf Rückkehr in die frühere Heimat geben, aber es darf keinen Zwang geben, dass Menschen in die ursprüngliche Heimat zurückkehren müssen.

Fristsetzung

Ich meine außerdem, dass das Recht auf Rückkehr zeitlich begrenzt sein sollte. Denn jedes Land muss wissen, wie viele Bürger in absehbarer Zeit wieder in das Land zurückkehren werden, da damit nicht nur die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung neuer Arbeitsplätze verbunden ist, sondern vielfach auch soziale Leistungen notwendig werden – etwa dann, wenn ältere Menschen, die Pensionsansprüche haben, zurückkehren.
Mit Picula sprach ich aber auch über die Entwicklungen in der Nachbarschaft. Insbesondere in Bosnien verfolgt die neue Regierung eine positivere und konstruktivere Haltung. Das gilt für den kroatisch-muslimischen Teilstaat, der viel weniger als ein Anhängsel oder Einflussgebiet von Zagreb gesehen wird als unter Tudjman. Aber das gilt auch für die serbischen Teilrepublik, mit deren Ministerpräsident Dodik Picula ein erstes Abkommen bezüglich der Rückkehr von 2000 Flüchtlingen, die sich derzeit in Kroatien befinden, geschlossen hat.
Es ist nicht so sehr die Frage der Anzahl derer, die jetzt zurückkehren können, sondern es geht um den Symbolwert und das Signal, das durch eine solche Vereinbarung ausgesendet wird.

Annäherung an Europa

Nach Gesprächen mit verschiedenen Österreichern, die hier in Zagreb im Bereich der Wirtschaft und Kultur tätig sind, ging es am Abend in die Residenz des österreichischen Botschafters Dr. Bogner. Er hatte Abgeordnete mehrerer Parteien zu einem Abendessen, das er mir zu Ehren gab, eingeladen, unter anderem auch den mir gut bekannten Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses und Vizepräsidenten des kroatischen Parlaments, Zrdravko Tomac. Aber auch die Kandidaten der Sozialdemokraten für die in wenigen Tagen stattfindenden Wahlen des Zagreber Stadtsenats sowie Vertreter anderer Parteien waren der Einladung des Botschafters gefolgt.
Wieder ging es vor allem um die Zukunft Kroatiens, um seine Annäherung an die Europäische Union und um seine Rolle am Balkan. Dabei wurde auch die schwierige Lage der Regierung angesichts der vielen, ihr von der vorangegangenen Regierung zurückgelassenen Probleme, angesprochen.

Rasche Reaktion der EU

Es wurde dringend gebeten, seitens der EU rasch zu reagieren, um auch der Bevölkerung zu signalisieren, dass es Sinn gemacht hat, ein autoritäres System abzuwählen und eine demokratische, stärker europaorientierte Regierung zu installieren, und dass es Sinn gemacht hat, den engstirnigen Nationalismus hinter sich zu lassen und die Kooperationsbereitschaft in der Region, aber auch mit Europa zu dokumentieren.
Sicher überzeichneten einige Gesprächspartner die Gefahr eines Scheiterns der Regierung, aber andererseits bin ich überzeugt, dass wir rascher reagieren sollten, als die Bürokratie und die Institutionen in Brüssel es vorhaben. Jedenfalls bestärkt dieser Besuch in mir die Absicht, in Brüssel für eine rasche und gezielte Unterstützung der konstruktiven Kräfte in Zagreb und ganz Kroatien einzutreten.
Heute gab es weitere Gespräche mit Vertretern aus dem Parlament und nochmals ein Gespräch und eine Pressekonferenz mit dem sozialdemokratischen Kandidaten Tomac für die kommenden Bürgermeisterwahlen in Zagreb. Am Nachmittag kamen Enrique Baron, Pierre Sori und Iannis Sakellariou, also das außenpolitische Team unserer Fraktion mit unserem Vorsitzenden, Enrique Baron.

Frischer Wind

Wir führten ein kurzes Gespräch mit dem Parlamentspräsidenten und hatten im Anschluss ein sehr spannendes und informatives Treffen mit dem Ministerpräsidenten Ivica Racan, mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten für Wirtschaftsfragen, Slavko Linic, beide Sozialdemokraten, und dem Europaminister, der einer kommunistischen Partei angehört.
Für mich, der Racan gut kennt, ihn schon oft getroffen hat und von ihm auch herzlich begrüßt wurde, war es erstaunlich zu sehen, wie er durch seine Funktion und sein Amt und durch den Erfolg bei den Wahlen freier und offener geworden ist, wie sein Gehabe, seine Mimik und Gestik den Stolz und die Freude über den Sieg, aber auch die Verantwortung – wenn auch vielleicht nicht die ganze Last dieser Verantwortung – zeigten. Seine Besonnenheit, sein Mangel an Effekthascherei sind gleich geblieben, aber er ist selbstbewusster und befreiter geworden.
Es war schön zu sehen, wie sich Racan im positiven Sinn geändert hat und durch sein Amt beeinflusst worden ist. Die wirtschaftlichen Probleme sind immens, aber es besteht ein klarer Wille, Dinge zu verändern und der Wirtschaft eine Chance zu geben, sich positiv zu entwickeln, befreit von dem Klientelismus und dem Klüngelwesen eines Tudjman und seiner HDZ.

Entfesselung der Wirtschaft

Es ist übrigens immer wider erstaunlich zu sehen, wie Sozialdemokraten oft in einem viel größerem Ausmaß die Wirtschaft von den Fesseln einer persönlich gefärbten, autoritären politischen Struktur befreien. Da wird zwar vielleicht manchmal zu viel des Guten getan, was die Frage der Deregulierung betrifft, aber jene Regulierung, die viele konservativ regierte Länder erleben, ist ja nicht eine sachlich begründete Regulierung, sondern oftmals eine persönlich motivierte, mit Korruption und Misswirtschaft verbundene Regulierung – und diese ist keineswegs positiv zu sehen, sondern verhindert den wirtschaftlichen Aufschwung und die Schaffung einer Mittelklasse, die bereit ist, für das Land einzutreten und die Wirtschaft zu entwickeln.
Nebenbei bemerkt, der Fortschritt der wirtschaftlichen Entwicklung auch am Balkan zeigt sich nicht zuletzt an folgender Begebenheit: Nachdem die Batterie von meinem Diktiergerät schon sehr schwach geworden war, habe ich gleich in Nähe des Hotels bei einem einfachen Zeitungskiosk um die neue, außergewöhnlich schmale und eher seltene Batterie, die ich für mein Diktiergerät brauche, nachgefragt – und sie auch prompt bekommen…

Auflagen erfüllt

Nun aber zurück zum Gespräch mit den Spitzen der kroatischen Regierung. Linic, der frühere Bürgermeister von Rikejka, hat sehr klar und deutlich festgestellt, dass es angesichts des hohen Schuldenstandes sehr darauf ankommen wird, in Kroatien zu versuchen, die Verschuldung und unnötige Ausgaben zurückzunehmen, um eine Stabilisierung der Wirtschaft zu erreichen. Der Europaminister hat klar gemacht, dass viele der von den europäischen Institutionen der EU, aber auch des Europarates, eingeforderten Gesetze und Bedingungen eingehalten werden.
In der Tat hat uns der Parlamentspräsident mitgeteilt, dass gerade am heutigen Tag eine ganze Reihe von Gesetzen in erster Lesung – das heißt, es war zwar nur eine einfache Mehrheit notwendig – angenommen worden sind. Man geht aber davon aus, dass mit Zweidrittelmehrheit – es fehlen etwa vier Stimmen der jetzigen Koalition dafür – Anfang Mai doch jene Verfassungsänderungen, die hinsichtlich der Behandlung der Minoritäten notwendig sind, auch im Parlament beschlossen werden können.
Wenn das geschieht, ist sicher ein wichtiger Schritt gemacht worden, um Kroatien auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zu bringen und klar zu signalisieren, dass Kroatien ein verlässlicher Partner auch der europäischen Union ist.

Widerstände

Wir in der EU müssen das unsere dazu tun, dass die Antwort aus Europa von der Europäischen Union und von der europäischen Zentralbank rasch kommt – so rasch, wie die neue Regierung und die neuen Institutionen in Kroatien selbst reagiert haben. Das gefällt nicht allen Kroaten – insbesondere die Zusammenarbeit mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist natürlich umstritten, vor allem nach den sehr harschen und strengen Urteilen in der letzten Zeit.
In diesem Zusammenhang gibt es auch Demonstrationen, die von der rechten Seite angezettelt worden sind, und manche, wie auch unser Freund Tomac, der Vorsitzende der außenpolitischen Ausschusses, sind sehr skeptisch, ob es möglich sein wird, angesichts des Widerstandes in der Bevölkerung die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal aufrechtzuerhalten.

Schwieriger Bewußtseinsprozeß

Andere wieder meinen, es müsse klar gezeigt werden, dass es einige wenige Kriegsverbrecher gäbe, diese aber nicht symptomatisch für das Verhalten der kroatischen Armee und der kroatischen Bevölkerung sind.
Ich bin mir bewusst, dass diese Trennung sehr schwierig ist. Sie erinnert mich auch sehr an die Wehrmachtsaustellung, die ebenfalls nicht zum Ausdruck bringen wollte, dass die Wehrmacht und die Soldaten Kriegsverbrechen begangenen haben, sondern die verdeutlichen wollte, dass auch die Wehrmacht für kriegsverbrecherische Ziele Hitlers eingesetzt wurde und dass einige in der Wehrmacht bei der Durchführung dieser Kriegsverbrechen willfährig waren. Aber auch hier fühlten sich viele der ehemaligen Soldaten und Solidarverbände in Deutschland und in Österreich persönlich angegriffen und erniedrigt – ganz ähnlich ist es heute mit der Bereitschaft der kroatischen Regierung, mit dem Kriegsverbrechertribunal zusammenzuarbeiten.

Positiv in die Zukunft

Insgesamt jedoch hat diese Regierung bzw. die Regierungsmehrheit einen sehr starken Willen, im eigenen Interesse reinen Tisch mit der Vergangenheit und den nationalistischen Auswüchsen Tudjmans zu machen. Es geht nicht darum, zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Kroatien zu unterscheiden, sondern es geht darum, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den Vordergrund zu rücken und gleichermaßen für alle Bevölkerungsgruppen positive Maßnahmen zu setzen, um ihnen eine Perspektive der positiven wirtschaftlichen Entwicklung zu geben.
Heute Abend gibt der kroatische Außenminister Tonino Picula noch ein Essen für uns, bei dem wir im kleinen Kreis und in informeller Stimmung nochmals die Situation Kroatiens und der Regierungssituation besprechen, analysieren und reflektieren können. Ich glaube, dass unser Besuch, der Anfang, den ich gemacht habe und die anschließenden gemeinsamen Gespräche, sehr positiv waren. Ich hatte das Glück, auf viele Kontakte der vergangenen Jahre aufzubauen und so bereits eine Gesprächsbasis zu haben und viel konkreter in manche Themenbereiche einzusteigen, als es der Fall gewesen wäre, wenn ich mich nicht schon in den vergangenen Jahren sehr deutlich für den europäischen Weg Kroatiens engagiert hätte. Und genau dieses Engagement möchte ich auch in Zukunft fortsetzen.

Rollentausch?

Manche in Kroatien meinten spaßhaft, Österreich sei nun zum Prügelknaben Mitteleuropas geworden, nachdem in Kroatien die autoritären Parteien und die Führungsstruktur Tudjmans abgewählt wurden. Ich hoffe, dass es nicht so ist. Aber natürlich kann ich die „Causa prima“, den „Fall Österreich“, auch hier nicht ganz vergessen.
Noch dazu, wo ich soeben auf BBC-World einen Kulturbeitrag in den allgemeinen Nachrichten gesehen habe, in dem berichtet wurde, dass Österreichs Kulturschaffende fürchten, dass ihnen künftig Geld entzogen wird. Das trifft sicher für viele zu – aber auch dieser Bericht war wieder unverkennbar tendenziös. Es gibt Länder, in denen jene Kulturprojekte, um die es in dem Beitrag gegangen ist, überhaupt keine öffentlichen Fördermittel bekommen.
So sehr ich bedauere, dass diese Regierung ein blindes Auge für moderne und alternative Kultur hat, so sehr halte ich es für problematisch, diese Tatsache medial so negativ dargestellt wird – noch dazu, wo erwähnt worden ist, dass die Europäische Union zu einem kulturellen Boykott Österreichs aufgerufen hat, was ganz einfach nicht stimmt. Leider bemühen sich nur sehr wenige in den Medien um eine objektive Darstellung, sodass wir zusätzlich zu den auf der Hand liegenden Problemen, die wir haben, auch noch mit einer Berichterstattung konfrontiert sind, die einerseits nicht fair und andererseits vor allem nicht das wiedergibt, was tatsächlich passiert. 
Zagreb, 28.4.2000