Wahrhafte Herausforderungen

Barcelona - Copyright: TiM Caspary  / pixelio.de

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Sowohl die EU als auch die Sozialdemokratie stehen heute vor großen Herausforderungen. Oftmals sind es dieselben Herausforderungen. Denn die verschiedenen sozialdemokratischen Parteien verlieren bei den nationalen Wahlen vermehrt aus denselben Gründen wie die EU an Zustimmung verliert.

Dabei wird dieselbe Ursache allerdings politisch verschieden bewertet und beurteilt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Hilfspakete an Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien etc. sind zumeist die hervorragenden Ursachen der Misserfolge. In den einen Ländern fragen sich die Menschen, warum „unser“ Geld die anderen Länder retten muss. Und in den anderen Ländern protestieren die Menschen, vor allem die arbeitslosen Jugendlichen, gegen die Spar- und Austeritypolitik.

In beiden Fällen ist in der Meinung der BürgerInnen nicht zuletzt die EU schuld, da sie nicht fähig war, die Krise zu verhindern oder zumindest ohne hohe soziale und finanzielle Kosten zu bewältigen. Dabei ergibt sich mit dem steigenden Nationalismus eine sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkung.

Einen besonderen Angriffspunkt stellt die Globalisierung dar. Sie führt den Menschen die Unmöglichkeit der Beibehaltung „souveräner“ nationaler Entscheidungen vor Augen. Die Konsequenz ist allerdings nicht die Stärkung der gemeinsamen europäischen Ebene, sondern die Sehnsucht nach der verlorenen Selbstständigkeit. Es ist die Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit in einer überschaubaren und ethnisch homogenen Gemeinschaft.

In diesem Zusammenhang versuchen die extremen Rechten einmal mehr, Sündenböcke ausfindig zu machen. In einigen Ländern sind das zum Beispiel die Roma, in Ländern mit wenig Zuwanderung und entsprechender „Tradition“ ist es der Antisemitismus, in anderen Ländern, vor allem jenen mit starker Zuwanderung, die Islamophobie. Natürlich geht es generell gegen die Fremden. Mit der Islamophobie aber gibt man sich nicht rassistisch und verteidigt sogar die europäischen Werte, indem man das europäische Christentum verteidigt!

Nun stellt sich die große Frage, wie die Sozialdemokratie auf diesen wachsenden Nationalismus, auf die zunehmende Euroskepsis und die verschiedenen Formen der Xenophobie reagieren soll.

•           Wie bleiben wir engagierte Europäer, ohne uns von den Ängsten, Sorgen und Bedenken der Menschen in den verschiedenen Mitgliedsländern abzuheben?

•           Wie können wir die wegen der Austeritypolitik Erzürnten und Enttäuschten im „Süden“ genauso ansprechen wie die wegen der Hilfspakete Unzufriedenen im „Norden“?

•           Wie können wir mutige, langfristig orientierte Entscheidungen und damit Führungsqualität in der EU einfordern, wenn Politik und Medien zunehmend kurzfristig orientiert sind?

•           Wie können wir auch in Zeiten der Sparsamkeit und der Budgetkonsolidierung für Wachstum, Beschäftigung und soziale Wohlfahrt sorgen?

•           Wie können wir wieder Fairness und Gerechtigkeit in unseren Ländern als tragende Prinzipien verankern?

•           Wie können wir die ArbeiterInnen – aber vor allem auch die von Verlustängsten besonders bedrohte untere und mittlere Mittelschicht – wieder für die Sozialdemokratie gewinnen?

•           Wie kann die Sozialdemokratie sich als Schutz gegen inakzeptable Veränderungen und Verluste darstellen, ohne einen aussichtslosen Windmühlenkampf gegen die „Globalisierung“ zu führen?

•           Wie können wir trotz vieler innerer Probleme und zum Teil steigender Armut in der EU internationale Solidarität üben und versuchen, globale Lösungen zu erreichen?

Ich habe nicht erwartet, dass ich auf all diese Fragen, die ich im Rahmen des Arbeitskreises wo ich sie vorgetragen habe oder in anderen Diskussionsrunde, Antworten bekomme. Aber es scheint mir, ich habe die richtigen Fragen angeschnitten. Für mich stellte es auch eine Befriedigung dar, dass Jacques Delors einige ähnliche Thesen und Fragen in einem brillianten Referat formuliert hat. Vor allem geißelte er die kurzfristige chaotische Reaktion der Verantwortlichen auf die Griechenlandkrise und das Schweigen der EU-Kommission.

Was Griechenland betrifft, habe ich ja an anderer Stelle bereits einige Thesen formuliert. Grundsätzlich ist die Missachtung der sozialen Konsequenzen der Krise, aber auch der EU-Maßnahmen, aus meiner Sicht unerträglich. Nicht die Sparmaßnahmen als solches sind das Problem, sondern die ausschließliche Konzentration auf die Austeritypolitik. Die Verantwortlichen in der EU unterwerfen sich einfach dem Markt, sprich den Ratingagenturen, ohne ein Konzept zu entwickeln, wie man mit objektiven Kriterien die Wirtschafts- und Finanzlage beurteilen kann.

Wie man gerade an den Meldungen der ersten Tage dieser Woche gesehen hat, die Ratingagenturen lassen uns keine Zeit und keine Möglichkeit, vernünftig und mit Augenmaß zu reagieren. Und wir resignieren. Das zeigt nur, dass wir zu zahm und zu lahm mit den Finanzmärkten umgegangen sind und sie jetzt zurückschlagen, ohne dass wir uns wehren können. Wir dürfen uns aber der Willkür einiger weniger Ratingagenturen nicht unterwerfen. Die Politik muss wieder Oberhand gewinnen.

Und was die Suche nach mehr Fairness und Gerechtigkeit betrifft, so muss unser Kampf für die Finanztransaktionssteuer weitergehen. Ich weiß nicht, ob und wann wir ans Ziel kommen. Aber wir dürfen nicht aufgeben, den Verursachern der Krise auch einen Beitrag abzuverlangen. Es geht nicht um den Aufbau bzw. die Pflege von Feindbildern, sondern um ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit.

Im Übrigen war mir in der Debatte wichtig, auf den wesentlichen Unterschied zwischen Protektion und Protektionismus aufmerksam zu machen. Als ein Kontinent, der sehr viel exportiert und im Übrigen in der Vergangenheit andere Länder auch im Handel oft unfair behandelt hat – und das im Bereich der Landwirtschaft auch heute noch tut – kann ich eine protektionistische Haltung nicht vertreten. Und das gilt nicht nur für den Handel, sondern auch für die Zuwanderung. In beiden Fällen geht es um Fairness und um unsere langfristigen Interessen. Eine Abschottung unserer Industrie und unseres Handels nützen uns nicht. Aber bei allen Handelsabkommen müssen wir mit Bedacht und Augenmaß vorgehen. Und als Kontinent mit schrumpfender und alternder Bevölkerung sind wir auf Zuwanderung angewiesen, aber auch sie muss in einem kontrollierten und wirtschaftlich verkraftbaren Ausmaß geschehen.