Wahrheitsfindungen

Im CIA-Untersuchungsausschuss wollen wir untersuchen, inwieweit die CIA in den vergangenen Jahren auf europäischem Boden widerrechtliche Aktionen gesetzt hat und inwiefern ihnen dabei Europäische Institutionen oder sogar Regierungen geholfen haben.
Heute führten wir im Außenpolitischen Ausschuss eine Diskussion mit Oli Rehn, dem Kommissar für Erweiterung und die Region Süd-Osteuropa. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, wie wir die Region Süd-Osteuropa neu gestalten können, etwa durch die Schaffung einer Freihandelszone. Wir erörterten auch, welche Anforderungen gestellt werden sollten, um aus den Entwicklungen in dieser Region keine negativen Entwicklungen in anderen Regionen hervorzurufen.

Kaukasus

Schon am Nachmittag zuvor beschäftigten wir uns in einem Hearing des Außenpolitischen Ausschusses mit dem Kaukasus. Schon seit einiger Zeit beschäftigte ich mich etwas intensiver mit der Kaukasus-Region. Ich bin außerdem Mitglied der Delegation des Europäischen Parlaments für diese Region.
Ein Thema, das bei diesem Hearing auf der Tagesordnung stand, war die Frage, inwiefern die Unabhängigkeit des Kosovo dazu führen kann, dass einige separatistische Enklaven, insbesondere in Georgien, sich bestätigt fühlen, sich vom Land abzutrennen – wenngleich sie sich nicht als unabhängige Einheiten verstehen, sondern sich zum Teil eng mit Moskau verbunden fühlen.

Nagorno Karabach

Dasselbe könnte auch für Nagorno Karabach gelten. Diese Region ist vorwiegend von Armeniern bewohnt, gehört aber formell zu Aserbeidschan und wurde schon vor einiger Zeit von Nagorno Karabach besetzt. Welche Regel kommt hier zum tragen: Jene der Unzulässigkeit von Grenzveränderungen oder jene, die besagt, dass auch dieses Volk ein Recht auf Selbstbestimmung hat?
Selbstverwirklichung in einem eigenen Staat wiederum kann kaum eindeutig definiert werden. Sei es der Kosovo, sei es Nagorno Karabach, sei es Abchasien oder Südossetien: Es ist immer schwierig, nach einer eindeutigen Regel vorzugehen.

Entkolonialisierung

Ein Kollege der CSU meinte in der Debatte zur Entwicklung im Kaukasus, es ginge weniger um Separatismus als vielmehr um Entkolonialisierung, also um eine Freiheitsbewegung weg von der Kolonialmacht Sowjetunion bzw. Russland. Aber es gibt ja zum Teil in Georgien Enklaven, die mit der ehemaligen Kolonialmacht Russland verbunden sind und eine neue Entkolonialisierung und Unabhängigkeit Georgiens von Russland nicht anerkennen wollen.
Es wird sich zeigen, wie die Entwicklungen voranschreiten. Serbiens Präsident Tadic hat uns berichtet, dass sich der rumänische Präsident kritisch gegen die Unabhängigkeit des Kosovo ausgesprochen hat. Er befürchtet, dass die Ungarn in Rumänien ebenfalls auf die Idee kommen könnten, sich vom Land loszulösen. Dasselbe könnte bei den Basken in Spanien eintreten.

Nicht voreilig agieren

In unserer Debatte mit Kommissar Rehn gab ich zu Bedenken, dass man sich in dieser schwierigen Frage vor übereiligen Entscheidungen hüten sollte. Und wir sollten uns jedenfalls gut darauf vorbereiten, wie wir in der Öffentlichkeit in anderen Fällen argumentieren, bei denen wir absolut kein Interesse haben, dass es zu neuen separatistischen Bewegungen kommt. In diesem Zusammenhang müssen Freiheitsrechte und Stabilität abgewogen werden. Denn eindeutige Kriterien, wie schon beschrieben, sind kaum zu finden.

CIA-Untersuchungsausschuss

Nach dem Außenpolitischen Ausschuss nahm ich an der Sitzung des CIA-Untersuchungsausschusses teil. Formal ist es eigentlich kein Untersuchungsausschuss, sondern ein „temporary committee“, also ein zeitlich begrenzter Ausschuss. Aufgabe ist es zu untersuchen, inwieweit die CIA in den vergangenen Jahren auf europäischem Boden durch das Abschieben von Personen, die als Terroristen verdächtigt werden, widerrechtliche Aktionen gesetzt hat und inwiefern ihnen dabei Europäische Institutionen oder sogar Regierungen geholfen haben.
Es ist unbestritten schwer, zwischen einem berechtigten Kampf gegen den Terrorismus, der wahrscheinlich mit konventionellen polizeilichen Mitteln geführt werden kann und dem Missbrauch der Möglichkeiten, die sich im Kampf gegen den Terrorismus ergeben, zu unterscheiden.

Illegale Aktivitäten

Die Amerikaner sind über unsere Untersuchungen ebenso wenig erfreut wie viele europäische Regierungen. Außerdem gibt es eine Reihe von Institutionen, wie beispielsweise Human Rights Watch oder Amnesty International, die Behauptungen aufgestellt haben, die bisher nicht bewiesen werden konnten.
In einigen Fällen dürfte es ziemlich deutlich sein, dass es zu illegalen Verbringungen von Menschen gekommen ist. Das berichten die Betroffenen selbst sowie deren Rechtsanwälte, und das wird zum Teil auch von Regierungsstellen nicht geleugnet. Dazu zählt etwa ein deutscher Staatsbürger, der aus Mazedonien entführt worden ist. Zwei Personen wurden aus Schweden nach Ägypten entführt. Und darüber hinaus gibt es eine Unzahl von CIA-Flugbewegungen mit Zwischenstationen in Ländern, in denen gefoltert wird. Auch die Verbringung von unfreiwilligen Passagieren nach Guantanamo steht im Raum.

Wenig Durchblick

Zahlenmäßig ergibt sich jedoch eine Diskrepanz zwischen den wenigen Fällen von Personen, die verbracht worden sind und dem großen Anteil von Flügen, die man der CIA zurechnet. Es handelt sich um Geheimflüge, es gibt so gut wie keine Passagierlisten und die Flüge waren im normalen Flugverkehr nicht registriert.
Derzeit ist es noch schwer, sich einen Durchblick zu verschaffen. Und es ist schwer zu beurteilen, inwieweit tatsächlich grobe Verletzungen von nationalem, vor allem aber von europäischem Recht stattgefunden haben.

Es geht nicht um Bestrafungen

Uns geht es nicht darum, den Kampf gegen den Terrorismus in Frage zu stellen – das muss immer wieder deutlich betont werden. Wir wollen auch nicht jene Länder bestrafen, die sich an diesem Kampf gegen den Terrorismus beteiligt hatten bzw. vielleicht sogar mit illegalen Aktivitäten einverstanden waren.
Sofern diese Länder keine EU-Mitgliedsländer sind oder Kandidatenstatus haben, können wir sie nicht dahingehend „bestrafen“, dass sie in den nächsten Jahren nicht Mitglieder der Europäischen Union werden können. Es sei denn, die betroffenen Länder wären auch weiterhin an einer solchen Praxis beteiligt, würden also permanent europäischen Normen widersprechen und wären nicht an Aufklärung bzw. an der Zusammenarbeit mit unserem Ausschuss interessiert.

Nicht vor der Wahrheit drücken

Leider stehen viele KollegInnen, großteils aus der Europäischen Volkspartei, bei unseren Bemühungen stark auf der Bremse. Ich hoffe trotzdem, dass letztendlich das gemeinsame Interesse an der Aufklärung überwiegen wird. Sollten sich Behauptungen, die von JournalistInnen oder Menschenrechtsorganisationen aufgestellt wurden, als unwahr oder übertrieben herausstellen, dann gilt es dies ebenso festzustellen wie im umgekehrten Fall von tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen.
In beiden Fällen muss eine klare Sprache gesprochen werden. Man darf sich vor dieser Aufgabe nicht drücken, auch wenn es nicht leicht sein wird, zur Wahrheit vorzudringen. Uns bleibt die Hoffnung, dass sich im Laufe der Zeit Informanten melden werden, die mit entsprechenden Unterlagen und Belegen zur Wahrheitsfindung beitragen können.

Brüssel, 23.2.2006