Wege zu einer gelebten Partnerschaft

Über die Probleme und Chancen einer gemeinsamen Strategie zwischen der EU und Russland.
An diesem Wochenende fand eine Tagung des Wiener International Institute for Peace (IIP), das vom ehemaligen österreichischen Außenminister Erwin Lanc geleitet wird, statt. Im Mittelpunkt stand die Zusammenarbeit Europas mit Russland.

Gemeinsame Strategie der Außen- und Sicherheitspolitik

Heute Nachmittag diskutierten wir über die Außenpolitik und über die Möglichkeit einer gemeinsamen Strategie der Außen- und Sicherheitspolitik zwischen der EU und Russland. Mehrere Experten aus verschiedenen Ländern nahmen teil. Aus Österreich war neben mir Wolfgang Petritsch am Podium vertreten, der den konkreten Fall Kosovo vorgetragen hat. Auch Vertreter aus Russland, unter anderem der mir gut bekannte und befreundete stellvertretende Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses in der Duma, Vassilij Likhachev, den ich sowohl in Moskau als auch in Brüssel bei entsprechenden Tagungen getroffen habe, zählten zu den Diskutanten.
In meinem Statement habe ich versucht darzustellen, was die Probleme, aber vor allem auch die Chancen einer gemeinsamen Strategie zwischen der EU und Russland sind. Ausgangspunkt meiner Überlegungen und damit der erste Punkt ist die Tatsache, dass der Westen – Amerika und die EU – Russlands Wiedererstarken nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs und der Sowjetunion nicht erwartet und die Möglichkeit Russlands, erneut eine weltpolitische Rolle zu spielen, völlig unterschätzt haben. Das hat sich zweifellos auch politisch negativ ausgewirkt, nicht nur aufgrund der mangelhaften Unterstützung in einem vernünftigen Demokratisierungsprozess Russlands, sondern auch dadurch, dass wir auf diese neue Situation nicht vorbereitet waren. Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass Russland heute – nicht zuletzt aufgrund der steigenden Energie- und anderer Rohstoffpreise sowie durch die geschickte, wenngleich nicht immer demokratische Handlungsweise von Putin -wider eine neue Rolle spielt.

Öl- und Gasressourcen als politisches Instrument

Damit in unmittelbarem Zusammenhang steht die Verwendung der Öl- und Gasressourcen als politisches Instrument. Ich will das bewusst nicht als politische Waffe bezeichnen, denn hier geht es nicht um kriegerische bzw. wirtschaftskriegerische Auseinandersetzungen, sondern um den bisher sehr erfolgreichen Versuch Russlands, eine starke Position bei der Öl- und Gaslieferung zu erreichen. Und zwar nicht nur auf dem europäischen Markt als solches und mit hohen Anteilen in einigen Länder, die immer schon traditionell energiepolitisch mit Russland in Verbindung gestanden sind.
Darüber hinaus wird das Konzept der Diversifizierung der Versorgung Europas immer wider erfolgreich unterlaufen – zuletzt etwa durch eine Vereinbarung, die Putin mit Bulgarien, Griechenland und Italien über die South Stream Versorgung, einer Gaspipeline unter dem schwarzen Meer getroffen hat. Diese Vereinbarung bringt zumindest das Nabucco-Projekt in eine problematische Situation. Ich habe vor kurzem im Industrie- und Energiepolitischen Ausschuss, als wir über die Gasliberalisierung diskutierten, angemerkt, dass sich die EU mit der Liberalisierung, mit der Trennung von Infrastruktur und Gaslieferungen beschäftigt, parallel dazu aber Russland in einer sehr klaren, offensiven Weise agiert, indem es sein Gasgeschäft ausdehnt und die Bestrebungen zur Diversifizierung der Versorgung Europas unterläuft. Natürlich ist auch Russland von Europa abhängig, weil es auf die jeweilige europäische Nachfrage ankommt. Wenn man allerdings realistisch ist, sieht man, dass die Nachfrage in Europa nach Gas selbst bei einer forcierten Strategie der alternativen dauerhaften Energieformen steigt. Und dann kann man sich vorstellen, dass die Abhängigkeit Russlands nicht besonders groß ist. Hinzu kommt, dass Europa zweifellos höhere Preise bezahlt als China und dass das Pipelinesystem im Wesentlichen von Russland aus nach Westen geht und nicht in den Osten.

Die Nuklearenergiefrage

Ein weiteres Problem, mit dem wir uns ernsthaft auseinandersetzen müssen, ist die Nuklearenergiefrage im Iran. Russland liefert bekanntlich entsprechende Voraussetzungen und Materialien für die zivile Nutzung der Kernenergie, was auch keineswegs bestehenden internationalen Verträgen widerspricht. Besonders bedauerlich ist, dass Europa und vor allem die USA seit Jahren nicht nur über die Entwicklung der Kernenergie für friedliche, sondern auch für militärische Zwecke in Pakistan informiert gewesen sind, sondern auch über die Verbreitung von entsprechenden Plänen, Zentrifugen, etc. an andere Länder wie Lybien und den Iran. Die USA haben darüber hinweggesehen. Für sie hat die Rolle Pakistans im Kampf gegen Russland in Afghanistan eine wesentlich größere Rolle gespielt. Dass das Ganze schließlich in einem Desaster in Form der Herrschaft der Taliban, die von Pakistan unterstützt worden sind, geendet hat, kommt noch hinzu.
Moralisch sind wir jedenfalls in keiner sehr guten Position. Man hätte sicher einiges im Vorfeld verhindern können, hätte man die Informationen, die zum Teil von der CIA und aus dem US-Außenministerium selbst gekommen sind, ernst genommen und rechtzeitig verhindert, dass Pakistan entweder die Bombe erhält oder es zumindest zur Weiterverbreitung von entsprechenden Hilfsmitteln und Unterstützungsmassnahmen an den Iran kommt. Zu hoffen ist, dass Russland jedenfalls in dieser Frage mit der EU und Amerika mitgeht, um zu verhindern, dass die Bombe entwickelt wird. Aus meiner Sicht ist allerdings ohne eine entsprechende Stärkung der internationalen Kontrollen und einer sogenannten Multilateralisierung der Versorgung und Entsorgung im Rahmen der zivilen Nutzung ein Abgleiten und ein Missbrauch für die militärische Nutzung grundsätzlich nicht zu verhindern. Aber genau davor scheuen sich wahrscheinlich alle offiziellen Nuklearmächte.

Das Verhältnis zu den Nachbarn

Eine wesentliche Komponente im Verhältnis der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland ist die Frage, inwieweit wir uns im Verhältnis zu unseren gemeinsamen Nachbarn auf eine gemeinsame Strategie einigen können. Diese gemeinsamen Nachbarn – von der Ukraine über Moldawien, Georgien, Armenien bis hin zu Aserbaidschan – sind im Allgemeinen von Konflikten betroffen. In der Ukraine ist eine zwar nicht totale, aber doch vorhandene Spaltung zwischen dem westlichen, mehr an Europa orientierten und dem östlichen, mehr an Russland orientiertem Teil nach wie vor sichtbar. In Moldawien gibt es das Problem einer Abspaltung von Transnistrien, die von einer äußerst problematischen, ausschließlich von Russland und russischem Militär abhängigen Führung geleitet wird. In Georgien gibt es zwei Abspaltungen, die von Russland unterstützt werden: Abchasien und Südosetien, die allerdings nicht als eigene Staaten anerkannt werden. Zwischen Armenien und Aserbaidschan besteht das Problem Nagorno Karabach, eines Teils, der von Armenien besiedelt ist, aber im Rahmen der Sowjetunion Aserbeidschan zugeschlagen wurde. Armenien wird von Russland grundsätzlich tatkräftig unterstützt.
Russland ist also an vielen der bestehenden Konflikte beteiligt, ohne die Dinge auf die Spitze zu treiben, aber auch ohne mitzuhelfen, die Probleme zu lösen. Unter anderem deshalb, weil Russland eine Strategie konterkarieren möchte, die insbesondere von den USA betrieben wird: die Nato bis an die Grenzen Russlands auszudehnen. Man kann auf der einen Seite mit feststellen, dass es das Recht eines jeden Staates ist, der Nato beizutreten oder nicht. Auf der anderen Seite kann man aber auch verstehen, dass Russland kein großes Interesse daran hat, dass sich die Nato bis an seine Grenzen erweitert. Wenn man bedenkt, welche abstruse Haltung Amerika über die Jahrzehnte hindurch bis heute hinsichtlich Kubas einnimmt, dann kann man nachvollziehen, dass für Russland diese Nato-Erweiterung nichts Selbstverständliches ist, sondern an seinen Sensibilitäten kratzt.

Kosovo-Strategie

Wenn es um die Frage von Abspaltungen in diesem Raum geht, kommt man unmittelbar zum nächsten Problem: dem Kosovo. Es ist schwierig, mit Russland eine gemeinsame Position in dieser Frage zu finden. Und es war naiv von Ahtisaari, Rohan und anderen anzunehmen, dass Russland einer Kosovolösung in irgendeiner Form zustimmen würde. Als ich mit unserer Fraktionsspitze in Russland gewesen bin und wir mit führenden russischen Vertretern, etwa dem europäischen Chefberater von Putin und mit Außenminister Lawrow, gesprochen haben, wurde uns bewusst, dass eine rote Linie besteht, über die Russland nicht hinweg schreiten möchte. Andernfalls würde es im eigenen Grenzbereich innerhalb und außerhalb Russlands Probleme bekommen. Außerdem besteht auf russischer Seite Interesse – aus energiepolitischen und anderen Gründen – am Balkan Fuß zu fassen, nachdem es dort ja eher verdrängt worden ist.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Russland kein großes Interesse daran hat, einer Unabhängigkeit des Kosovo zuzustimmen. Würde Russland zustimmen, hätte es im Kosovo keine besonderen Vorteile, denn Kosovo ist nun einmal einerseits ideologisch an Amerika orientiert und andererseits politisch wie wirtschaftlich von Europa abhängig. Russland hätte demnach keine Rolle zu spielen, würde es sich aber im Gegenzug mit Serbien verscherzen. Es ist also alles andere als realistisch, dass Russland zustimmt.

Das Nato-Raketenabwehrsystem

Hinsichtlich der Stationierung eines Nato-Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik gibt es inzwischen erfreulicherweise einige Gespräche mit Russland. Es handelt sich dabei zweifellos um sicherheitspolitische Fragen, die nicht nur Russland, sondern ganz Europa betreffen. Wenn aus einer derartigen Abschirmung zusätzliche Rüstungsanstrengungen Russlands und die zusätzliche Aufstellung von Raketen an Russlands westlicher Grenze resultieren würden, wäre das jedenfalls nicht unbedingt sehr positiv zu sehen.
Manche meinen – so auch in der Diskussion nach unseren Referaten im Rahmen der IIP-Tagung – dass die dort stationierten Abwehrraketen relativ leicht in offensive Raketen umgerüstet werden können und diese wären dann tatsächlich sehr nahe an Russland, was nicht zuletzt entsprechende Konsequenzen für die russischen Rüstungsmaßnahmen mit sich bringen würde. Unterm Strich wäre all das jedenfalls kein Beitrag zur Ab-, sondern im Gegenteil zur Aufrüstung – und genau das kann nicht im Interesse der EU und deren BewohnerInnen liegen.

Zurückhaltender Optimismus

Bleibt die Frage: Wie soll es weitergehen? Mein russischer Kollege und Mitdiskutant bei dieser Konferenz, Vassilij Likhachev, hat von zurückhaltendem Optimismus gesprochen – und diesem Argument habe ich mich angeschlossen. Ich glaube, dass es durchaus möglich ist, dass wir in den nächsten Jahren zu einer realistischen und in diesem Sinn zurückhaltend optimistischen Position kommen. Die Jahre nach dem Beitritt der neuen Mitgliedsländer waren eher durch eine sehr differenzierte Haltung innerhalb der EU gekennzeichnet. Einige Mitgliedsländer – und das ist aus deren jeweiliger Geschichte heraus auch verständlich – haben eine bewusst antirussische Politik betrieben, die im Gegensatz zu einer manchmal fast naiv prorussischen Politik eines Schröder oder Chirac, von Berlusconi gar nicht zu reden, gestanden ist. Aus meiner Sicht besteht jetzt die Chance auf einen größeren Konsens – insbesondere nachdem in Polen nach den jüngsten Wahlen eine vernünftige Regierung etabliert worden ist und man gezeigt hat, dass man mit einer primitiv antirussischen Politik nicht unbedingt Wahlen gewinnen muss.
Der französische Präsident Sarkozy wird mit seiner Regierung im nächsten halben Jahr die Präsidentschaft der EU übernehmen. Auch er hat im Wahlkampf eher antirussisch agiert und hat in erster Linie die internen Verhältnisse sowie die Menschenrechtssituation angeklagt – in vielen Punkten zu Recht. Nach den Wahlen hat er sich wieder als großer Freund Putins bezeichnet – aber wohl eher im Interesse der Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Russland. Dieses Verhalten haben im eigenen Land jene, die Russland kritisch sehen, beanstandet. Der französischen Präsidentschaft folgen im Jahr 2009 zuerst die Tschechen und dann die Schweden. Alle drei Länder sind derzeit von der rechten politischen Seite beherrscht und werden von entsprechenden Regierungen regiert. Es ist zu hoffen, dass es insgesamt dennoch zu einer vernünftigen, pragmatischen Haltung kommen wird. Ob Sarkozy eine solche pragmatische, den inneren Entwicklungen Russlands gegenüber nicht unkritische, aber doch auf eine gute Kooperation zwischen Russland und Europa hinsteuernde Politik betreiben wird, ist schwer zu sagen. Er äußert innerhalb einer Woche derart unterschiedliche Meinungen, dass eigentlich nicht von einer stabilen Haltung gesprochen werden kann. Trotzdem: Es ist zu wünschen, dass wir auf der Basis eines zurückhaltenden Optimismus zu einer Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland kommen. Diese ist nicht vor Krisen und Differenzen gefeit. Aber sie könnte die gemeinsam zu lösenden Probleme, zum Beispiel im Bereich der Energie- und der Umweltpolitik, aber auch dort, wo es um lokale Konflikte geht, in den Vordergrund stellen.

Wien, 26.1.2008