Wider den europäischen Standard

Man muss in der Slowakei sehr genau darauf achten, dass es zu keiner Verschlechterung der Situation der ungarisch-sprachigen Bevölkerung kommt.
Die vergangene Nacht habe ich ungewollt in Frankfurt in der Nähe des Flughafens verbracht. Eigentlich wollte ich gemeinsam mit Martin Schulz und seinen Mitarbeitern zum Parteirat der europäischen Sozialdemokraten nach Sofia fliegen. Es kam aber anders. Über Sofia lag extrem starker Nebel, und so musste unsere Maschine gegen 22 Uhr umkehren und die gesamte Strecke zurück nach Frankfurt fliegen.

Problemkind SMER

Am Beginn dieser Woche bin ich in Bratislava gewesen. Ich habe eine Delegation der Fraktion geleitet, der KollegInnen aus der Slowakei und Ungarn sowie Jan Marinus Wiersma angehörten. Unser Ziel war es, vor allem die Minderheitenfrage – das Verhältnis zwischen der slowakischen und der ungarischen Volksgruppe – auszuloten. Wir wollten herausfinden, wie wir als Fraktion zu einer Verbesserung dieser Beziehungen beitragen können.
Die sozialdemokratische Fraktion ist deshalb berufen, sich ein wenig um diese Fragen zu kümmern, weil der slowakischen Regierung eine Partei angehört, die uns sehr nahe steht bzw. stand: die SMER. Aufgrund ihrer Koalition mit der rechts-nationalistischen Partei SNS von Jan Slota wurde allerdings der Aufnahmeprozess in die Europäische Partei für die SMER unterbrochen.

An den Taten messen

Wir waren alle sehr erzürnt, als die SMER unter Führung von Robert Fico diese Koalition eingegangen ist. Robert Fico hat uns damals und auch bei den vielen Gesprächen, die ich in der Zwischenzeit mit ihm geführt habe, immer wieder erklärt, dass für ihn keine andere Alternative besteht, wenn er sein soziales Programm umsetzen möchte. Das mag in der Tat so sein. Die Rechtsparteien haben eine extrem liberalistische Politik betrieben, die mit den Grundsätzen eines sozialen Europas und einer sozialen Slowakei nicht vereinbar war.
Dennoch ist es aus meiner Sicht zutiefst problematisch, eine Koalition mit einer Partei einzugehen, deren Vorsitzender die Ungarn immer wieder massiv angreift und deren Parteiführer mit Worten beschimpft, die jeglichem europäischen Standard widersprechen. Trotzdem habe vor allem ich persönlich immer wieder darauf gedrängt, die Regierung nicht an den Worten des Koalitionspartners zu messen – noch dazu, da Jan Slota kein Regierungsmitglied ist -, sondern an ihren Taten. Hinsichtlich der Roma-Minderheit dürfte in der Slowakei auch eine durchaus positive Entwicklung eingetreten sein. Die Roma sind offensichtlich als „Lieblingsminderheit“ an die Stelle der Ungarn getreten, die die „Lieblingsminderheit“ der früheren Koalition gewesen sind und bei der die ungarische Partei auch an der Regierung beteiligt war.

Bedauernswerte Stimmungsmache

Im Vordergrund beim Umgang mit der ungarischen Minderheit stehen gar nicht so sehr extrem gravierende Maßnahmen. Es geht beispielsweise um die Diskussion, wie die Ortsnamen in den Schulbüchern verwendet werden. Der Erziehungsminister hat vorgeschlagen, dass in den ungarischen Schulbüchern in Zukunft nur mehr die slowakischen Namen verwendet werden dürfen. Es geht außerdem um die Verteilung der Förderungsmittel, insbesondere für den kulturellen Bereich. Und es geht um die Frage der Anerkennung der ungarischen Universität.
Viele der Maßnahmen, die gesetzt werden, sind zweifellos nach wie vor positiv. Die Stimmung, die gegen die ungarische Minderheit gemacht wird, ist hingegen absolut bedauernswert. Das führt – zumindest nach Aussagen der ungarischen Minderheitenvertreter – dazu, dass die allgemeine Öffentlichkeit angriffige Aussagen gegen die Ungarn toleriert. Aber auch bestimmte Aktivitäten ungarischer Politiker, die ohne Absprache die Minderheitsgebiete der Slowakei besuchen – und zwar vom Staatspräsidenten abwärts – und die die ungarische Minderheit als die ihre betrachten, entbehren der notwendigen Sensibilität.

Extern und exotisch

Es wird immer wieder behauptet, dass das ungarisch-sprachige Bildungssystem in der Slowakei oft dazu führt, dass die Menschen nicht ausreichend Slowakisch sprechen. Das mag da und dort auch zutreffen und wurde auch von den Vertretern der ungarischen Minderheit selbst bestätigt. In jenem Gespräch, dass wir mit Jan Slota geführt haben, meinte dieser allerdings, dass es auch nicht viel Sinn mache, in einem Geschäft in Hainburg an der Donau etwas auf Kurdisch zu bestellen. Das zeigt doch ziemlich deutlich, wie die slowakisch rechts-nationalen Politiker die ungarische Sprache sehen: als etwas Externes, Exotisches, das in diesem Land eigentlich keinen Platz hat.
Ursprünglich hatten wir gar nicht vorgehabt, Jan Slota im Zuge unseres Besuches in Bratislava zu treffen. Wir wollten Gespräche mit verschiedenen Ministern führen, um auf die Umsetzung des Regierungsprogramms zu pochen. Aber Slota hat einen Termin bei uns urgiert, was zur Folge hatte, dass unsere ungarischen Kollegen diesen Gesprächstermin verweigerten – wofür ich Verständnis habe. So trafen schließlich nur Jan Marinus Wiersma und ich selbst mit Slota zusammen. Zu unserer Überraschung erschien Slota in Begleitung des Erziehungsministers, des Staatssekretärs im Kulturministerium und der Vizepräsidentin des slowakischen Parlaments.

Unnahbarer Slota

Slota verhielt sich in diesem Gespräch etwa so, wie wir es erwartet hatten. Er war nicht besonders aggressiv, aber gab sich absolut unnahbar. Auf meinen Vorwurf, dass seine Aussagen in jeder Form den europäischen Standards widersprechen, ging er gar nicht erst ein. Gegen Schluss unseres Gespräches gestand er zwar ein, dass seine Ausdrücke etwas vulgär sein mögen, beharrte aber darauf, dass auch andere sich auf dem politischen Parkett ähnlich vulgär verhalten – aber das ist nicht unbedingt ein politisches Argument.
Nach den Gesprächen mit den PolitikerInnen der SNS trafen wir VertreterInnen der SMER sowie den Vorsitzenden der ungarischen Partei. Sie ist einerseits Vertreterin der ungarisch-sprachigen Bevölkerung und andererseits Mitglied der Europäischen Volkspartei und daher in ihrem Verhältnis zur Regierung etwas gespalten. Ich kenne Csáky, den Vorsitzenden der ungarischen Partei, schon seit einiger Zeit, und unser Gespräch mit ihm verlief durchaus angenehm – wenngleich er sich in seinen Aussagen etwas gewunden hat.

Im ungarisch-sprachigen Gebiet

Mittags trafen wir VertreterInnen der Zivilgesellschaft zusammen. Wir diskutierten mit ihnen über die Frage, inwieweit es möglich ist, eine Beurteilung der SMER, die Slotas Beteiligung an der Koalition akzeptiert, vorzunehmen. Die westeuropäische Sozialdemokratie braucht auch in der Slowakei eine Partei, mit der sie gut zusammenarbeiten kann. Und wir haben die Hoffnung, dass die SNS zumindest nach den Wahlen nicht mehr an der Koalition beteiligt ist, sondern die ungarisch-sprachige Partei oder andere politische Gruppierungen.
Nachmittags fuhren wir ins ungarisch-sprachige Gebiet nach Samorin, wo wir mehrere Vertreter der ungarischen Volksgruppe trafen und deren aktuelle Situation im Detail erörterten. Dieser Besuch hat nicht sehr an unserem Bild über die Lage gerührt, aber er hat in verschiedenen Einzelheiten klar gemacht, wo es bereits Probleme gibt und in welchen Punkten wir aufpassen müssen, dass es durch die bestehende Koalition nicht zu weiteren Verschlechterungen der ungarisch-sprachigen Volksgruppe kommt. Uns wurde bestätigt, dass die politischen Auseinandersetzungen zumindest bisher im täglichen Zusammenleben der einzelnen Volksgruppen zu keinen gröberen Missständen geführt haben. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass die Aussagen von Jan Slota gegenüber den Ungarn den Angehörigen dieser Volksgruppe alles andere als angenehm ist.

Positive Maßnahmen setzen

Nach wie vor ist festzuhalten, dass die Regierung aufgrund der Dominanz von Robert Fico und der starken Unterstützung für die SMER eine positive und durchaus ansehnliche Sozialpolitik betreibt und eine notwendige Korrektur zur sozialen Ungleichgewichtung der vorhergehenden Regierung darstellt. Man muss allerdings sehr genau darauf achten, dass es zu keiner Verschlechterung der Situation der ungarisch-sprachigen Bevölkerung kommt. Es sollte deshalb verstärkte positive Maßnahmen seitens der Regierung geben. Das schließt nicht aus, dass beispielsweise auch auf das Erlernen der slowakischen Sprache im Interesse der Kinder und Jugendlichen Wert gelegt wird.
Ich habe bei meinem Besuch aber auch klar festgehalten, dass aus unserer Sicht das Erlernen der slowakischen Sprache nicht automatisch zum Verzicht des Erlernens der ungarischen Sprache führen kann. Es handelt sich um eine Frage der Qualität der Ausbildung und der Anstrengungen, die man unternimmt, um diese Ausbildung zu gewährleisten.

Entspannungsbeitrag

Ich bin mir als Österreicher angesichts unserer eigenen Situation in Kärnten im Klaren darüber, dass die Probleme in Ungarn keineswegs einzigartig sind. Ungarn hat vielleicht sogar den Vorteil, dass „außer“ den Roma keine größeren anderssprachigen Volksgruppen auf seinem Staatsgebiet leben, sondern dass im Gegenteil ungarisch-sprachige Volksgruppen in der Slowakei, in Rumänien, Serbien und in anderen Ländern leben. Das verschafft den ungarischen KollegInnen eine andere Position als den Slowaken.
Ob es letztendlich zwischen der Slowakei und Ungarn zu etwas Ähnlichem wie einer deutsch-tschechischen Erklärung kommen wird, ist eine Frage, über die wir weiter diskutieren wollen. Die Spannungen innerhalb der Slowakei belasten ohne jeden Zweifel auch das Verhältnis zwischen der Slowakei und Ungarn. Gerade Österreich könnte mithelfen, diese Spannungen zu vermindern. Ich als österreichischer führender Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion habe diesen Auftrag erhalten und angenommen, weil ich einen ebensolchen Entspannungsbeitrag leisten möchte.

Wien, 23.11.2007