Wie gehen wir mit der Globalisierung um?

Europa muss im Interesse seiner BürgerInnen, aber auch im Interesse einer sozial abgestützten Globalisierung tatkräftige Initiativen ergreifen.
Von Straßburg aus fuhr ich diesmal nach Genf. Paul Nyrup Rasmussen, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas, hatte dort ein Diskussionsforum einberufen, an dem neben VertreterInnen der verschiedenen sozialdemokratischen Parteien hochrangigste Experten teilnahmen: Pascal Lamy, Generaldirektor der Welthandelsorganisation, Kemal Derwisch, Vorsitzender des Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, früherer portugiesischer Premierminister und jetziger Flüchtlingshochkommissar, Juan Somavia, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und Guy Ryder, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Allesamt Persönlichkeiten, die man üblicherweise nicht so schnell an einen gemeinsamen Tisch bekommt.

Unmut da wie dort

Auch einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments nahmen an dem Forum teil, ebenso wie die Parteivorsitzenden aus Frankreich, Ungarn oder Rumänien, um nur einige zu nennen. Es entwickelte sich eine ungemein spannende Diskussion über die Frage, wie wir mit der Globalisierung umgehen und was wir tun können, um sie „in den Griff zu bekommen“, ihr also entsprechende Rahmenbedingungen zu geben und die Interessen der ArbeitnehmerInnen stärker zum Ausdruck zu bringen.
Mit dem Hinweis auf die Dienstleistungs-Debatte, die wir am vorangegangenen Tag mit unseren osteuropäischen KollegInnen in der Fraktion geführt hatten, merkte ich an, dass durch die Ansiedlung von Unternehmungen aus den alten in den neuen Mitgliedsländer eine Unzufriedenheit in den alten wie den neuen Mitgliedsländern entsteht. Ähnlich ist es für mich bei der Globalisierung.

Gewinner und Verlierer

Die Globalisierung und deren problematische Effekte – die Abwanderung von Betrieben, die Unterwanderung sozialer Standards – werden hauptsächlich in den Industrieländern stark kritisiert, aber eben auch in den neuen, ärmeren Entwicklungsländern. Ausbeutung, die Schaffung einseitiger Wirtschaftsstrukturen und eines neuen Industrieproletariats, etc. verärgern hier die Menschen.
Es gibt – abgesehen von den Unternehmen – einige wenige Länder, die davon profitieren, nämlich jene, die sich industrialisieren und ein starkes Wachstum aufweisen wie etwa China, Indien oder Brasilien. Das trifft auch auf einige kleinere Länder zu. Andererseits gibt es Landstriche und große Regionen – ich denke beispielsweise an Afrika – die in keiner Weise profitieren.

Gemeinsam für eine fortschrittliche Globalisierung

Wir versuchten in Genf zu analysieren, in welchen Bereichen die verschiedenen Organisationen, Parteien und NGOs gemeinsame Aktivitäten setzen können. Die jeweiligen Experten sind zweifellos ihren Organisationen verpflichtet, die sozialdemokratischen Parteien könnten hingegen flexibler agieren.
Paul Nyrup Rasmussen etwa ist nicht nur Vorsitzender der Europäischen Sozialisten, sondern gründete auch das Global Progressive Forum – eine Einrichtung, die eine fortschrittliche Globalisierung propagieren bzw. die fortschrittlichen globalen Kräfte zusammenbringen soll. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber eine absolut wichtige Botschaft, um zu signalisieren, dass es insbesondere in der Sozialdemokratie Kräfte gibt, die sich sehr wohl Gedanken über die Zukunft machen.

Vernünftiger Populismus

Antonio Guterres meinte in Genf sogar, es bedürfe eines „reasonable populism“, eines vernünftigen Populismus. Wir könnten und dürften nicht akzeptieren, dass bestimmte Kräfte die Globalisierung für ihre Interessen ausnützten und die sozialdemokratischen Parteien die Leidtragenden seien. Diese würden in der Konsequenz von ihrer Wählerschaft verlassen, aus Enttäuschung darüber, dass es den SozialdemokratInnen nicht gelinge, die Globalisierung zu meistern bzw. ihr einen sozialen Rahmen aufzuerlegen.
Es ist immer schwierig, zwischen einem vernünftigen und einem unvernünftigen, vulgären Populismus zu unterscheiden. Gerade läuft ja auch in Österreich eine schwierige Debatte anlässlich der EU-Präsidentschaft. Es stimmt, der Unmut der Menschen muss aufgegriffen werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir etliche Alternativen brauchen, um das entsprechend zu tun. Wir müssen dem Populismus eine konkrete Richtung geben und dürfen nicht bedenkenlos auf einer populistischen Welle mitschwimmen.

People on the move

Guterres hat in Genf ein konkretes Thema vorgeschlagen, mit dem wir uns in Zukunft beschäftigen sollten: people on the move, also Menschen in Bewegung. Zu dieser Frage kennen wir derzeit noch keine Auswege. Es ist eine Tatsache, dass Menschen heute in Bewegung sind – sie wechseln von einer Firma zur anderen, von einer Region zur anderen, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent. Die Wenigsten davon tun dies freiwillig, sondern weil sie sich entschlossen haben, um des Überlebenswillen oder für eine bessere Zukunft ihren Arbeitsplatz zu wechseln bzw. ihn wechseln zu müssen, weil sie gekündigt wurden.
Die Gründe dafür sind also unterschiedlich, es sind wirtschaftliche wie politische. Aber sie verändern unseren gesamten Lebenszusammenhang. Auch wenn es „nur“ um Veränderungen innerhalb eines Landes geht, die der häufige Wechsel von einem Arbeitsplatz zum anderen in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Umstrukturierung mit sich bringt, bereitet uns das große Sorgen. Wir können diese Entwicklungen nicht verhindern, aber wir können durch aktive Arbeitsmarktpolitik einiges beeinflussen.

Anständige Arbeit

Auch Migrationsbewegungen zwischen einzelnen Ländern hängen mit diesem Thema zusammen – das hat sich bei der Dienstleistungsrichtlinie gezeigt. Und noch ein anderes Thema steht in unmittelbarem Kontext: decent work. Damit werden wir uns in nächster Zukunft auch intensiv in unserer Fraktion auseinandersetzen. Wir sind davon überzeugt, dass allein die Tatsache, dass es Arbeit gibt, zu wenig ist. Es muss eine Arbeit mit humanem Charakter sein, die eine akzeptable Belastung und entsprechende Entlohnung mit sich bringt.
Diese Eckpunkte sind uns deshalb so wichtig, weil es aus unserer Sicht viele prekäre und unzählige illegale Arbeitsverhältnisse gibt. Gerade in Ländern, die sich in einer starken wirtschaftlichen Entwicklung befinden, gibt es zahlreiche unzumutbare Situationen. Es st zwar richtig, dass die Armut in diesen Ländern zurückgeht. Aber nicht immer ist der Rückgang der Armut mit einer größeren Gleichheit verbunden, weil gleichzeitig auch die Einkommensschere wieder auseinander läuft.

Über den Tellerrand schauen

Diese unzähligen sozialen Fragen in Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess und der Arbeitsmigration werden uns in Zukunft sehr stark beschäftigen. Wir ringen noch um Antworten. Es können letztendlich aber nur Antworten sein, die nicht nur für eine Region – die reichere oder die ärmere – Lösungen bringen.
Wir brauchen umfassende und nachhaltige Lösungen, gerade auch aus Sicht einer international denkenden sozialdemokratischen Bewegung. Jede/r PolitikerIn muss zweifellos die Interessen seiner eigenen Bevölkerung vertreten. Wenn er diese Interessen aber auf lange Sicht sinnvoll und ohne Illusionen vertreten möchte, dann muss sie/er auch die Entwicklungen und Situationen in anderen Ländern in sein Denken und Handeln einbeziehen.

Starke internationale Gewerkschaftsbewegung

Genau das war Gegenstand unserer Diskussionen in Genf. Und genau das möchten wir in den kommenden Monaten vorantreiben. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass im November dieses Jahres gerade in Wien ein Einigungskongress der beiden großen internationalen Gewerkschaften – der freien und der eher christlich-sozial orientierten Gewerkschaften – stattfinden wird. Offensichtlich haben nun auch die Gewerkschaften – spät, aber hoffentlich nicht zu spät – erkannt, dass es notwendig ist, die internationale Gewerkschaftsbewegung zu einigen.
Wenn wir dem extrem mobilen Kapital, den über viele Kontinente verstreuten Konzernen etwas entgegenhalten und vielleicht sogar mit ihnen gemeinsam Lösungen finden wollen, dann brauchen wir eine starke internationale Gewerkschaftsbewegung. Diese ist ohnedies aufgrund der aktuellen Entwicklungen geschwächt und sollte sich deshalb vereinigen.

Das Mosaik fertig stellen

Insgesamt erlebte ich in Genf also eine sehr spannende Diskussion. Sie war allerdings nur ein Baustein eines Mosaiks, das wir in allernächster Zukunft kontinuierlich zusammensetzen müssen. Europa muss im Interesse seiner BürgerInnen, aber auch im Interesse einer sozial abgestützten Globalisierung tatkräftige Initiativen ergreifen, jedenfalls die SozialdemokratInnen auf europäischer Ebene müssen dies tun.

Genf, 20.1.2006