Wir wollen kein schwarzes Loch in Europa

Die Beschlüsse von Saloniki machen klar, dass die einzelnen Länder Süd-Osteuropas Zug um Zug – je nach ihren eigenen Fortschritten – Mitglieder der Europäischen Union werden sollen.
Ich war wieder einmal in Zagreb. Mein Aufenthalt war diesmal aber nur sehr kurz. Ich war am Sonntagabend gekommen und nahm heute Vormittag auf Einladung des kroatischen Vorsitzenden des Europaausschusses an einer Tagung aller Europaausschussvorsitzenden der Region und Osteuropas teil.

Beschlüsse von Saloniki

Ich habe bei dieser Zusammenkunft das Einleitungsreferat gehalten und versucht, die Position der EU-Kommission, aber auch des Rates und vor allem des Europäischen Parlaments darzustellen. Ich habe das relativ ungeschminkt getan und versuchte zu verdeutlichen, dass wir an den Beschlüssen von Saloniki festhalten werden. Diese lassen den Weg für die Staaten der Region in die EU offen und machen klar, dass wir in der Region kein schwarzes Loch wollen. Die einzelnen Länder sollen Zug um Zug – je nach ihren eigenen Fortschritten – Mitglieder der Europäischen Union werden.
Die von uns festgelegten Kriterien, um diesen Weg zu beschreiten, werden allerdings streng angewendet werden – jedenfalls strenger als noch bei der letzten Erweiterungsrunde. Das ist deshalb sinnvoll und auch notwendig, weil es zu einer Erweiterungsmüdigkeit gekommen ist. Auch wenn wir diese überwinden wollen, müssen wir sie doch zur Kenntnis nehmen und entsprechende Schlüsse ziehen.

Visafrage

Eine der zentralen Fragen ist die jene der Visafreiheit. Es ist für alle Länder sehr schmerzlich, dass das Kennen lernen der Europäischen Union, seiner Menschen und Institutionen durch die Visabedingungen und das Bezahlen der Visagebühren extrem erschwert wird.
Ein Professor einer Universität in Serbien-Montenegro hat darauf aufmerksam, dass man sich – gemäß dem Bologna-Prozess – zwar an die Strukturen und Prüfungskriterien der EU anpasst, dass aber die Mehrzahl der ProfessorInnen und StudentInnen die Europäische Union gar nicht kennen und es für sie sehr schwierig ist, in die EU einzureisen. Die Erwartungshaltung ist jedenfalls sehr groß. Beim Außenministertreffen in Salzburg könnte ein Signal gegeben werden, dass die Visafrage ernsthaft in Angriff genommen wird.

Stufenweise Erleichterungen

Wie ich schon vor einigen Tagen im Rahmen einer Pressekonferenz zu diesem Thema in Sarajewo angemerkt habe, kann es nicht sofort zu einer totalen Aufhebung der Visaverpflichtungen kommen. Wir brauchen zunächst entsprechende Einschränkungen und einen stufenweisen Prozess an Erleichterungen, bevor wir letztendlich zu einer generellen Aufhebung der Visaverpflichtungen für die allgemeine Bevölkerung kommen.
Ein Vertreter aus Bosnien-Herzegowina hat bei der Tagung in Zagreb darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht besonders sinnvoll sei, dass, während sich die gesamte Region inklusive Bosnien-Herzegowina auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union vorbereitet, vor allem die Amerikaner äußerst aktiv agieren – beispielsweise bei den Beratungen darüber, wie ein Reisepass für die BürgerInnen von Bosnien-Herzegowina gestaltet sein könnte.

Starker europäischer Außenminister

Letztendlich müssen die politisch Verantwortlichen in Bosnien-Herzegowina selbst eine Entscheidung in diesen Fragen treffen. Und die auszuarbeitende Verfassung muss auf ihren Beschlüssen beruhen. Trotzdem ist es absolut richtig, dass sich Europa – zumal angesichts des Engagements der USA – stärker in diese Frage einbringen sollte.
In diesem Zusammenhang plädiere ich einmal mehr für eine europäische Verfassung, die einem Außenminister der Europäischen Union eine klare Verantwortung zuordnet. Die derzeitige Situation von mehreren Verantwortlichen in der Kommission und im Rat ist keine Hilfestellung bei der Vertretung europäischer Interessen nach außen.

Den Haag

Bei der Tagung in Zagreb spielte auch die Frage der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof eine Rolle. Insbesondere die Montenegriner, aber auch die Vertreter Bosnien-Herzegowinas wehrten sich dagegen, dafür bestraft zu werden, dass Serbien nicht genug unternehme, um Mladic, aber auch Karadcic nach Den Haag auszuliefern.
Im Prinzip haben sie Recht. Ich verstehe aber auch, dass man gerade jetzt Druck ausüben möchte, die beiden letzten prominenten mutmaßlichen Kriegsverbrecher auszuliefern. Jede Differenzierung zum jetzigen Zeitpunkt könnte diesen Druck vermindern. Klar ist, dass letztendlich jene die Konsequenzen tragen müssen, die dafür verantwortlich sind, wenn es zu keiner Auslieferung kommt. Bleibt zu hoffen, dass diese Verantwortung eindeutig definiert werden kann.

Gegenseitiges Vertrauen aufbauen

Es war zweifellos sinnvoll, an dieser Diskussion in Zagreb teilzunehmen. Auch wenn die Debatte anfangs etwas schleppend verlief, kam es letztendlich zu einer intensiven Diskussion. Die Region muss schrittweise wieder gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Das wird voraussichtlich nur dann möglich sein, wenn die beiden offenen Fragen der Teilung Montenegros von Serbien und vor allem das Kosovoproblem gelöst werden. Erst dann wird die Frage der Unabhängigkeit der einzelnen Länder geklärt sein.
Es wird hoffentlich zu keinen weiteren Absetzbewegungen kommen, sondern eine Phase der Stabilität eintreten. Nur eine solche Stabilität ermöglicht es, jene Reformen durchzuführen, die notwendig sind, um sich an die Europäische Union anzunähern und in der Konsequenz auch Mitglied zu werden.

David und Goliath

Die betroffen Länder sind klein, sie können keine großen finanziellen Forderungen an die EU stellen. Aber vor allem weil es sich um mehrere kleine Länder handelt, brauchen wir eine klare organisatorische verfassungsmäßige Struktur der Europäischen Union. Nur so können wir sicherstellen, dass die Vielzahl der kleinen Länder in der EU letztendlich nicht zu einem Desinteresse der großen Länder führt und die Folge eine Reduktion der Bedeutung der Europäischen Union wäre.
Mehrere kleine Länder können die Kraft und den Einfluss der großen Länder nicht ersetzen. Sie können Ergänzungen vornehmen, können die großen Länder zu klaren Schritten nach vorne bewegen. Das Interesse der großen Länder an einer gemeinsamen Europäischen Union und an einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik können sie allerdings nicht ersetzen.

Zagreb, 6.3.2006