Wo ein Wille, da ein Weg

In Albanien müssen ehebaldigst die notwendigen Schritte gesetzt werden, die es ermöglichen, ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abzuschließen.  
Heute Vormittag hat eine hochrangige albanische Delegation unter Vorsitz des Parlamentspräsidenten den auswärtigen Ausschuss besucht. Im Anschluss daran fand eine gemeinsame Sitzung mit der allerdings noch nicht neu konstituierten Süd-Ost-Europa-Delegation statt.
Wir prüfen derzeit auf europäischer Ebene, ob man beginnen sollte, auch mit Albanien ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu verhandeln. Leider hat sich die Situation in Albanien nicht verbessert. Wirtschaftlich geht es dem Land äußerst schlecht. Es gibt eine katastrophale Energiekrise mit vielen Stromabschaltungen.

Politisches Hickhack

Und es gibt nach wie vor politische Streitigkeiten hohen Ausmaßes. Die zwei alten Männer der albanischen Politik, Fatos Nano und Sali Berisha, versuchen nach wie vor, die bestimmenden Verantwortlichen in diesem Land zu sein. Das führt zu Streitigkeiten, die uns die Parlamentarier bei ihrem Besuch im Europäischen Parlament vorgeführt haben.
Auf der einen Seite bemüht sich die Regierung angeblich, ein konsensuales Klima herzustellen. Auf der anderen Seite steht aber die Opposition, die nach wie vor von Dr. Berisha dominiert wird. Sie hat sich bisher geweigert, im Parlament teilzunehmen, mit dem Vorwurf, die Mehrheit sei eigentlich nicht jene Mehrheit, die dem Willen des Volkes entspricht. Bei den Wahlen wurde nach ihren Aussagen geschummelt, es gab daher „gestohlene“ Mandate und das Parlament sei nicht legitim, wie das auch Dr. Berisha in unserer Diskussion gesagt hat.

Wahlbetrug?

Einiges an diesen Vorwürfen mag stimmen. Ein Bericht der OSZE hat aufgrund der Lagebeobachtung festgestellt, dass es einige grobe Mängel gegeben hat – nicht zuletzt unter Ausnützung bestimmter Vorschriften in der albanischen Wahlgesetzgebung. Diese Vorschriften haben sich einige – ausländische – Experten einfallen lassen. Sie haben offensichtlich nicht damit gerechnet haben, dass Bestimmungen, die an einer breiten Basis an Konsens orientiert sind, von denjenigen, die diesen Konsens nicht haben wollen, ausgenützt werden könnten, um Entscheidungen zu konterkarieren und zu verhindern.

Voraussetzung: aktive Opposition

Ich habe klar zum Ausdruck gebracht, dass wir als europäische Parlamentarier nur dann einem weiteren Annäherungsprozess zwischen der Europäischen Union und Albanien zustimmen können, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens müssen die bestehenden Mängel im Gesetz behoben werden. Dazu wurde vor kurzem ein eigener Ausschuss im Parlament gegründet. Allerdings konnte dieser bisher noch nicht tagen und Ergebnisse bringen, da die Opposition weder bereit war, sich an diesem Ausschuss noch an einer anderen parlamentarischen Arbeit zu beteiligen.
Daraus folgt unsere zweite Forderung: Die Opposition muss aktiv am parlamentarischen Leben partizipieren. Und sie muss drittens aufhören, von gestohlenen Mandaten, einem illegitimen Parlament etc. zu sprechen. Denn auch die Sprache hat politische Auswirkungen. Wir wissen das von der Zwischenkriegszeit, und wir wissen es von den Auswirkungen der Sprache eines Jörg Haider auf die österreichische Politik.

Konsensfähigen Präsidenten finden

Weiters habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass man bei den bevorstehenden Neuwahlen des Präsidenten des Landes – und diese erfolgt über das Parlament -absolut darauf aus sein sollte, eine Persönlichkeit zu finden, die nicht den parteipolitischen Vorstellungen der Mehrheit entspricht. Es gilt, eine Persönlichkeit zu finden, die versucht, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Keinen Konsens in allen Detailfragen, denn das ist unmöglich, unsinnig und traditionell auch nicht gefordert.
Es geht vielmehr um eine Konsensposition, die die Grundfragen der Gesellschaft sowie der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des Landes betrifft, den Wiederaufbau der Infrastruktur, vor allem den Kampf gegen die Korruption, die Verbesserung des Rechtssystems und der Sicherheit und damit auch die wesentlichen Schritte der Annäherung zwischen der Europäischen Union und Albanien.

Rückkehr zur Vernunft?

Ich weiß nicht, wie weit unsere doch sehr klaren Aussagen die aus vielen Fraktionen kommenden Parlamentarier überzeugt haben und diese auch entsprechende Aktivitäten setzen werden. Dr. Berisha hat jedenfalls noch während unseres Treffens angekündigt, dass sie als Opposition bald wieder ins Parlament zurückkehren werden. Das hat einige Vertreter der kleinen Oppositionsparteien zunächst überrascht, sie haben sich aber dann schnell den neuen Vorgaben angeschlossen. Ich habe versucht einmal mehr deutlich zu machen, dass es widersinnig ist, ins Parlament zu gehen und dieses dann als illegitim zu bezeichnen oder der Mehrheit vorzuhalten, dass sie eigentlich nur gestohlene Mandate hätte.
Auch unser Vorsitzender Elmar Brok bekräftigte meine Stellungnahme und hielt fest, dass es wenig Sinn macht, die jetzigen Sozialisten, selbst wenn unter ihnen viele ehemalige Kommunisten sind, als Kommunisten zu bezeichnen. Übrigens gibt es solche ja nicht nur in der sozialistischen, sondern auch in manch anderer Partei.

Albanien muss sich selbst helfen

Der Heilungsprozess in Albanien ist insgesamt noch nicht sehr weit fortgeschritten. Das ist problematisch, auch für die generelle Entwicklung in der Region. Wir sollten daher, das ist auch eine Lehre aus Mazedonien, vehement darauf drängen, dass in Albanien die entsprechenden notwendigen Schritte gesetzt werden, die es ermöglichen, ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abzuschließen.
Natürlich haben diese Abkommen den Zweck, den betreffenden Ländern zu helfen, diese Schritte auch tatsächlich zu tun.
Aber wir können immer nur der Motor dafür sein, dass alles daran gesetzt wird, die Gesellschaft und den Staat zu reformieren. Den Willen zur Umsetzung müssen die albanischen Politikern haben. Wenn der Grundkonsens, der zum Beispiel nach 1945 in Österreich hergestellt worden ist, nicht existiert, dann sind die besten Bemühungen der Europäischen Union letztendlich vergebens. 
Brüssel, 24.1.2002