Zeit für eine Co-Partnerschaft

Es muss uns gelingen, in der Region einen „Ring der Freunde“ aufzubauen – und zwar nicht gegen Russland, sondern sinnvollerweise gemeinsam mit Russland.
Im Rahmen unserer Gespräche in Baku spielte insbesondere auch das Thema Energie eine beherrschende Rolle.

Mehr Engagement Europas

Bereits am ersten Tag meines Aufenthaltes, also noch vor Beginn der offiziellen Sitzung, traf ich mich mit dem Co-Vorsitzenden der Delegation des Parlaments von Aserbaidschan, Valeh Aleskerov. Er ist zugleich Vizepräsident des Parlaments und übte über viele Jahre die Funktion des Vorsitzenden der Erdöl- und Ergasgesellschaft Aserbaidschans – SOCAR – aus. In seine Verantwortung fielen unzählige Pipielinebauten, und er hat unter anderem die Pipeline von Baku über Tiblisi nach Ceyhan in der Türkei, die sogenannte BTC-Pipeline, verhandelt.
Aleskerov hat immer wieder darauf beharrt, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union bessere und stärkere Beziehungen mit Aserbaidschan aufnimmt – nicht zuletzt, ums ins Geschäft zu kommen. Europa sei in dieser Hinsicht viel zu zaghaft, und man würde sich ein wesentlich stärkeres Engagement der EU in Aserbaidschan wünschen.

EU braucht offizielle Vertretung

Aserbaidschan kämpft zweifellos um seine Position nicht nur als Energielieferant. Es möchte auch seine Rolle als Verteilungszentrum für die Zukunft gesichert wissen. Ich finde das richtig und bin überzeugt, dass die Nabucco-Pipeline, die ihren Ursprung in Aserbaidschan haben soll, eine wichtige Energieverbindung nach Europa ist. Gerade aus energiepolitischer Sicht ist es schade, dass die Europäische Kommission bis heute keine offizielle Vertretung in diesem Land hat. Sie soll zwar gegen Ende des Jahres eröffnet werden, aber das ist doch reichlich spät angesichts des Interesses, das wir an dieser Region haben müssten.
Eine solche Kommissionsvertretung dient letztendlich auch dem Zweck, die demokratiepolitische Entwicklung zu beobachten und mit den Mitteln der sogenannten europäischen Nachbarschaftshilfe NGOs und demokratische Einrichtungen zu unterstützen und zu fördern. Das Engagement Europa ist in diesem Punkt viel zu schwach gewesen. Aserbaidschan als solches braucht unser Geld nicht, es ist aufgrund seiner Erdöl- und in Zukunft auch Erdgaseinnahmen ein wohlhabendes Land. Die demokratischen Einrichtungen im Land, die daran interessiert sind, eine zivile Gesellschaft aufzubauen, benötigen hingegen sehr wohl unsere tatkräftige finanzielle, moralische und politische Unterstützung.

Sicherheitspolitische Strategien

Auch die sicherheitspolitische Situation war eines unserer Gesprächsthemen, beim Treffen mit dem Verteidigungsminister Safar Abiyev, aber auch mit Präsident Alijew. Wie bereits erwähnt, befindet sich Aserbaidschan keinesfalls in einer beruhigenden Umgebung. Das Land wurde in seiner bisherigen Geschichte immer wieder geteilt, vom alten Persien her bis nach Russland. Es verfügt eigentlich erst seit dem jüngsten Zusammenbruch der Sowjetunion über eine relative Sicherheitslage. Allerdings hält Armenien nach wie vor einen Teil des Landes besetzt. Das Land kann den einen, besetzten Teil seines eigenen Staatsgebietes überhaupt nicht betreten und in den anderen Teil dieser Enklave nur auf dem Luftweg über den Iran oder die Türkei gelangen.
Verteidigungsminister Abiyev hat uns gegenüber deutlich gemacht, dass eine Aufstockung des Budgets notwendig ist, und auch Präsident Alijew hat darauf hingewiesen, dass nur ein starkes Aserbaidschan sich wehren kann und es sehr wichtig ist, gegenüber Armenien entsprechend stark aufzutreten. Beide betonten, dass sie ausschließlich friedliche Mittel anwenden wollen, um zu einer Lösung zu kommen. In der Tat dürfte Aserbaidschan dem von der sogenannten Minsk-Gruppe – also von Russland, USA und Frankreich – vorgeschlagenen Friedensplan zugestimmt haben, während man in Armenien keinen Kompromiss eingehen wollte bzw. in der letzten Minute abgesprungen ist.

Raketen-Radar

Sowohl Abiyev als auch Alijew haben betont, dass weder Europa noch die Nato Aserbaidschan unterstützen und dass es daher wichtig ist, auf starken, eigenen militärischen Beinen zu stehen. Ich habe Präsident Alijew gefragt, wie er nun tatsächlich zu dem Vorschlag Russlands steht, dass Polen und die Tschechische Republik in Armenien eine Radaranlage zum Schutz gegen mögliche iranische Raketen aufstellen sollen. Weder Alijew selbst noch der Verteidigungsminister zeigte sich darüber glücklich. Es gibt zwar die russische Station in Gabala, die Aserbaidschan gehört, deren Instrumente aber im Besitz von Russland sind. Insgesamt wollen sie diese aber auslaufen lassen und wünschen sich keine fremden Truppen im Land.
Präsident Alijew gab uns allerdings zu verstehen, dass Aserbaidschan aufgrund der Tatsache, dass es ein Vorschlag an die USA, eines eng befreundeten Staates, gewesen ist, letztendlich zugestimmt hätte. Am 17. September sollen schließlich Diskussionen zwischen Aserbaidschan, den USA und Russland stattfinden. Es wurde ziemlich deutlich, dass Aserbaidschan dieser Vorschlag Russlands nicht wirklich gefällt und dass das Land froh wäre, wenn dieser Krieg an ihm vorüberginge. Alijew hat sowohl öffentlich als auch mir persönlich gegenüber betont, dass Irans Präsident Ahmadi-Nejad sich nicht besonders erfreut über diese Vorstellung gezeigt hat, als er kürzlich in Baku auf Besuch war.

Schlüsselfaktor Kosovo

Aserbaidschan möchte aus nachvollziehbaren Gründen mit dem Iran auf gutem Fuße stehen – nicht nur, weil die beiden Länder benachbart sind, sondern weil ca. 20 Millionen Aseris im Iran leben. So bleibt tatsächlich nur zu hoffen, dass die militärische Aufrüstung nicht zu einem neuen Krieg führt. Was letztendlich wenig wahrscheinlich ist, da Armenien von Russland unterstützt wird und das kleine Aserbaidschan selbst bei einer Hochrüstung nur schwer gegen eine russische Armee ankommen wird. Der Konflikt um Nagorno Karabach spielt in den Debatten insgesamt immer wieder eine Rolle.
So haben wir Präsident Alijew auch zu seiner Einschätzung des Kosovo-Problems befragt und wollten wissen, welche Konsequenzen sich aus seiner Sicht ergeben. Alijew machte kein Hehl daraus, dass er über eine Anerkennung eines unabhängigen Kosovos nicht glücklich wäre. Das könnte zweifellos auch Konsequenzen für Nagorno Karabach haben. Andererseits bezweifelte Alijew, dass Russland ohne weiteres Nagorno Karabach als eigenen selbständigen Staat anerkennen wird, da das zweifellos Auswirkungen auf andere Regionen wie Tschetschenien haben und die Konflikte im Süden Russlands noch weiter anheizen könnte.

Keine leichte Situation

Diese Einschätzung von Präsident Alijew stimmt. Russland hat kein gesteigertes Interesse, all die von ihm unterstützten Regionen wie Nagorno Karabach, Südossetien, Abchasien und in Europa Transnistrien als eigene Staaten anzuerkennen. Auch das könnte zur Konsequenz haben, dass die Regionen im Süden Russlands ihrerseits unabhängig werden möchten. Russland käme dadurch in eine schwierige Situation. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Russland eine Unabhängigkeit des Kosovo nicht unbedingt fördert. Es käme selbst unter Zugzwang. Das kam ja auch bei unseren Gesprächen mit dem russischen Außenminister und dem europapolitischen Chefberater Präsident Putins, die wir in Moskau geführt haben, zum Ausdruck.
Man darf also auf der einen Seite nicht dem Irrglauben erliegen, dass die Situation im Kosovo diese Region in keiner Weise berührt. Auf der anderen Seite ist ein Schneeballeffekt auf Russlands Verhalten gegenüber seinen Enklaven nicht automatisch gegeben, weil es sonst im eigenen Land die Unabhängigkeitsbestrebungen mancher dieser Länder im Süden unterstützen würde. So könnte es gut sein, dass Aserbaidschan in diesem Fall behilflich ist, wenn Russland im Gegenzug Nagorno Karabach anerkennt.

Diskussion mit den Studierenden

Wir trafen im Zuge unseres Aufenthaltes in Baku auch Justizminister Fikrat Mammadov. Das eigentliche Resultat dieses Treffens war, dass Mammadov es uns ermöglichte, einen der gefangenen und verurteilten Journalisten besuchen zu können. Ich selbst habe an diesem Teil des Programms nicht teilgenommen, weil ich bereits zugesagt hatte, eine Diskussion mit Studierenden zu führen, die eine sozialdemokratische Jugendorganisation aufbauen wollen, aus der später auch eine sozialdemokratische Partei hervorgehen soll. Diese jungen Menschen sind mit den herrschenden sozialdemokratischen Parteien nicht zufrieden – was ich verstehe und teile.
In der Diskussion mit den StudentInnen gab es äußerst unterschiedliche Wortmeldungen. Ein junger Mann hielt ein vehementes Plädoyer für die Rückkehr Nagorno Karabachs und teilte uns mit, dass ihm der Krieg gegen Armenien wesentlich wichtiger sei als der Beitritt Aserbaidschans zur Europäischen Union. Andere Studierende argumentierten wesentlich vernünftiger und auch kritischer gegenüber der Regierung, ohne dabei in eine tiefe Oppositionshaltung zu verfallen. Wir haben einen ähnlichen Dialog mit Studierenden auch schon in Brüssel geführt, wo es eine Vereinigung der aserbaidschanischen StudentInnen in Europa gibt. Diese Gespräche sind ein wichtiges Instrument für uns, um die europäische Dimension des Landes zu unterstützen.

In den Dialog eintreten

Bei meiner Begegnung mit den NGO-Vertertern am ersten Tag meines Aufenthaltes habe ich diese gefragt, ob sie sich als Europäer oder eher als Eurasier fühlen. Sie haben mir geantwortet, dass sie sich unzweifelhaft als Europäer fühlen und es für sie gar keine Alternative dazu gebe. In der Tat: Wenn man durch die Straßen von Baku geht, so bieten die Stadt und die Menschen in dieser Stadt ein äußerst europäisches Bild. Schon aus dieser Perspektive heraus verstehe ich diese Einstellung.
Und so komme ich zurück auf ein Anliegen, das ich schon seit langer Zeit verfolge und das wir jetzt konkretisieren müssen. Wir müssen gerade mit diesen Ländern – ob es die Ukraine, Moldawien oder der Südkaukasus ist – engste Beziehungen gestalten. Das ist zwar nicht – zumindest derzeit nicht – eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, bindet diese Länder aber doch sehr stark an europäische Werte und Grundhaltungen. Dieser Prozess kann nicht von heute auf morgen funktionieren und muss in einem Dialog erarbeitet werden. Und dieser Dialog muss Energiefragen genauso beinhalten wie Menschenrechts- und Demokratiefragen und Fragen der Sicherheit. Einer Sicherheit, die sehr weit gefasst sein muss und nicht nur militärische Aspekte beinhaltet.

Ring der Freunde

Es muss uns gelingen, einen solchen „Ring der Freunde“ aufzubauen – und zwar nicht gegen Russland, sondern sinnvollerweise gemeinsam mit Russland, wie es auch die von Präsident Saakaswilli leider entlassene Außenministerin Zurabishvili formuliert hat. Dabei geht es nicht um Co-Herrschaft über diese Länder, sondern um eine Co-Partnerschaft. Ob Russland heute dazu bereit ist, kann schwer gesagt werden. Es geht daher um konkrete und ernste Angebote an Russland, weil die Annahme derartiger Angebote in unserem ureigensten Interesse liegt.
Auf diesem Weg könnte man Jalta und andere Konsequenzen des Krieges einerseits und des Zerfalls der Sowjetunion andererseits gemeinsam bewältigen. Eine solche Konzeption hat aus meiner Sicht eine Zukunft, aber nur dann, wenn sie nicht als eine Abstimmung von nationalen Interessen großer Blöcke gegenüber kleinen Staaten vorgenommen wird, sondern als Abstimmung, an der die kleinen Staaten genauso teilnehmen können und bei der es auf der Basis der Freiwilligkeit und der gemeinsamen Interessen aller zu einem friedlichen Zusammenleben kommt, bei dem wirtschaftlicher Wohlstand gefördert wird und Diskussionen über Menschenrechtsfragen geführt werden.

Baku, 13.9.2007