Zerstörte Illusionen

„Terror ist Gewalt gegen die Demokratie und damit niemals gerechtfertigt.“ (Benjamin Barber) 
Ich sitze in jenem Empfangsraum, den Konrad Adenauer mit seinen Gästen in seiner Sommerresidenz am Comer See benützte. Ich bin alt genug, um mich noch an die Bilder in den Illustrierten zu erinnern, die Adenauer bei seinen Urlauben gezeigt haben. Jetzt blicke ich aus seiner Villa, die heute das Zentrum einer Seminaranlage der Konrad Adenauer Stiftung beherbergt, in einen herrlichen subtropischen Garten und auf den Comer See. Leider hat sich inzwischen der Himmel bedeckt und es hat zu regnen begonnen.

Globalisierung, Kultur und Identität

Anlass meines ungewöhnlichen Aufenthaltes hier ist eine Veranstaltung zum Thema „Globalisierung, Kultur und Identität“. Nach den Demonstrationen beim G8-Gipfel in Genua und vor allem den furchtbaren Anschlägen in New York und Washington hat dieses Thema eine besondere Brisanz bekommen. War es ein Anschlag gegen eine bestimmte Kultur als Ausdruck des Zusammenpralls der Zivilisationen? War es eine Attacke der Barbarei gegen diese Kultur schlechthin? Oder war es viel mehr eine Reaktion gegen die amerikanische Macht und Dominanz? Und wenn man es so definiert, ergibt sich dann gar eine Rechtfertigung daraus?
Benjamin Barber, der schon vor Jahren das äusserst interessante Buch „Djihad versus Mc Donalds“ geschrieben hat, stellte klar: „Terror ist Gewalt gegen die Demokratie und damit niemals gerechtfertigt.“ Diesem Gedanken würde ich durchaus zustimmen. Selbst wenn die „andere“ Seite nicht demokratisch ist bzw. eine Besatzungsmacht darstellt: Blinde Gewalt gegen Unschuldige, wie den Terror in Algerien und die Selbstmordattentäter in Israel, verabscheue ich zutiefst.

Ursache und Nährboden des Terrors

In den Referaten von Benjamin Barber und dem deutschen Politologen Claus Leggewie ging es aber vor allem um die Ursachen und den Nährboden des Terrors. Es ging um die Rolle der USA in einer durch extreme Ungleichheit und Ungerechtigkeit gekennzeichneten Welt. Und es ging um die Illusion der Vereinigten Staaten von Amerika, eine im Prinzip isolierte und selbstgerechte idyllische Gemeinschaft zu schaffen, der zur absoluten Verwirklichung dieser Vorstellung nur noch das nukleare Raketenabwehrsystem gefehlt hat, das sie für immer von den Attacken des Bösen geschützt hätte.

Wie eine Seifenblase zerplatzt

Diese Illusion sei nun, so meinte Barber, mit dem 11.9.2001 gründlichst zerstört worden. Aber etwas wurde ebenso klar, dass die volle Privatisierung und Ausdehnung des Marktes ohne ausreichende öffentliche Institutionen und Regeln keine wirkliche Alternative darstellt. Dies gilt im kleinen Rahmen genauso wie im globalen. So waren es nach den Attacken in New York die öffentlichen Einrichtungen und die Politik – symbolisiert durch den New Yorker Bürgermeister – die gefragt waren. Und auch auf globaler Ebene sind es jetzt öffentliche Regeln und die Zusammenarbeit der Staaten, die notwendig sind, um den Terrorismus zu bekämpfen.
In diesem Sinn wird es künftig eines neuen internationalen „Vertrages der Interdependenz“ bedürfen, um das global nachzuholen, was auch national erst nachträglich kam: ein politischer und sozialer Rahmen für den Markt, um dem räuberischen, ungerechten Kapitalismus Grenzen zu setzten! 
Comer See, 29.9.2001