Zu Besuch bei der portugiesischen Präsidentschaft

Zwei wichtige Themen, die Portugal während seiner Präsidentschaft zwar nicht abschließen kann, aber gut vorbereiten muß, sind die Regierungskonferenz und die Grundrechtscharta. 
Diese Woche machten wir – der Vorstand der SPE-Fraktion – unseren schon traditionellen Arbeitsbesuch bei der neuen – portugiesischen – Präsidentschaft. Es empfing uns dabei leider nicht das südliche, warme und sonnige Lissabon, sondern das atlantische, feuchte und nebelige. Aber wir sind ja zum Arbeiten und nicht zum Flanieren in die portugiesische Hauptstadt gekommen.
Da Lissabon eine traumhafte Stadt ist, wäre uns die Sonne trotzdem willkommen gewesen. Der guten Präsentation der portugiesischen Präsidentschaft tat dies trotz allem keinen Abbruch.

Schlüsselfigur Guterres

Am Beginn unserer Treffen im Sitzungssaal des Senats – den es allerdings nicht im portugiesischen Parlamentarismus gibt – stand die Darstellung durch den Europastaatssekretär Seixas da Costa, der in die grundsätzlichen Ziele der Portugiesen einführte, und am Ende unserer Tagung faßte Ministerpräsident Guterres nochmals die Orientierungslinien zusammen.
Beide machten einen ausgezeichneten Eindruck auf uns: versiert in den Details, aber dennoch grundsatzorientiert und politisch im positiven Sinn. Letzteres gilt natürlich in besonderem Maße für Guterres, der seit Herbst vorigen Jahres auch Präsident der Sozialistischen Internationale ist. Für Guterres, der im Herbst auch einen Wahlsieg in seinem Land erringen konnte, gilt wahrscheinlich dasselbe, was zum Teil für Bruno Kreisky gegolten hat: daß ihm das eigene Land zu klein ist bzw. daß Guterres als Staatsmann eines größeren Landes die Politik stärker und nachhaltiger gestalten könnte, ebenso wie Kreisky es gekonnt hätte.
Aber im Rahmen der EU bzw. der internationalen Gemeinschaft kann und wird Antonio Guterres hoffentlich eine große Rolle spielen.

Grundsteinlegung für Wettbewerbsfähigkeit

Zwischen den beiden Generalisten berichteten die zuständigen Minister und Staatssekretäre sowie der portugiesische Kommissar Antonio Vitorino über die Schwerpunkte der Präsidentschaft: die Beschäftigung sowie die Weiterentwicklung des „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, also der Innen- und Justizpolitik inklusive der Wanderungspolitik.

Auf dem Beschäftigungsgipfel in Lissabon im März dieses Jahres sollen weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Koordination der Wirtschafts- und Sozialpolitik voranzutreiben. Dabei geht es um eine bessere Abstimmung der einzelnen Politikbereiche sowie zwischen den Akteuren: den Regierungen, der Europäischen Zentralbank und den Sozialpartnern auf europäischer Ebene. Die Portugiesen wollen den Grundstein dafür legen, daß Europa gegen Ende dieses Jahrzehnts den USA gegenüber voll wettbewerbsfähig ist. Meiner Meinung nach müßte Europa da noch viel Koordinierungsarbeit leisten und vor allem eine eigenständige Industriepolitik entwickeln. Denn die USA – bei allem Gerede von der freien Marktwirtschaft – haben ein sehr ausgeklügeltes Zusammenspiel von Regierung, Wirtschaft und Forschungsinstitutionen. Sie wissen, was aktive Industriepolitik heißt.
Was nun die Innen- und Justizpolitik betrifft, so galt diese noch vor wenigen Jahren als nicht gemeinschaftsfähig und als dem Wesen nach den Nationalstaaten vorbehalten. Aber mit den gemeinsamen Grenzen im Rahmen von Schengen, der international organisierten Kriminalität sowie den Problemen und „Bedrohungen“ durch die Migration hat sich das Blatt gewendet.
Immer mehr Politiker sehen ein, daß eine gemeinsame EU-weite Innenpolitik notwendig ist. Portugal hat es übernommen, in Aus- und Weiterführung der Beschlüsse von Tampere diese Gemeinsamkeit zu fördern und so zur Sicherheit in der EU und letztlich in ganz Europa beizutragen.

Regierungskonferenz – die „Amsterdam leftovers“

Zwei wichtige Themen, die Portugal während seiner Präsidentschaft zwar nicht abschließen kann, aber gut vorbereiten muß, sind die Regierungskonferenz und die Grundrechtscharta. Beide Bereiche sollen durch die französische Präsidentschaft, die der portugiesischen folgt, angeschlossen werden. Ein Jahr, um diese beiden Themenkomplexe zu beraten und zu Beschlüssen zu kommen, ist allerdings ein großes Unterfangen.
Bei der Regierungskonferenz geht es primär um die „Amsterdam leftovers“, also um die Fragen, die bei der letzten Regierungskonferenz offen geblieben sind: Soll jedes Land der EU einen – und nur einen – Kommissar haben, sollen die Mehrheitsentscheidungen – auf Kosten der einstimmigen Beschlüsse – ausgedehnt werden, und wie sollen die Stimmengewichte auf und für die einzelnen Mitgliedsländer im Rat verteilt werden? Hier zu einer Klärung zu kommen, ist als solches schon wichtig, die bevorstehende Erweiterung macht sie allerdings noch dringender.
Allerdings meint das Parlament zu Recht, daß weitere wichtige Fragen zu klären sind und daß auch das EU-Parlament bei allen Diskussionen und Beratungen des Rates durch zwei Vertreter beteiligt sein soll. Diese Haltung stößt bei der portugiesischen Präsidentschaft auf Anerkennung und Sympathie. Man wird sehen, ob und wie sie den Widerstand einiger Regierungen überwinden kann!

Grundrechtscharta für Europas BürgerInnen

Was dagegen die Erarbeitung einer Charta für die Grund- und Freiheitsrechte für Europas BürgerInnen betrifft, so macht diese nur Sinn, wenn sie Verbindlichkeitscharakter bekommt, also in die Verträge der EU aufgenommen wird und letztendlich einklagbares Recht schafft. Eine bloße feierliche Erklärung ist die Arbeit nicht wert. Auch diesbezüglich teilt die portugiesische Präsidentschaft unsere Meinung, aber noch sind die Entscheidungen nicht gefallen.

Wir verließen Lissabon sehr zufrieden und angetan von der Arbeit und den Zielen unserer portugiesischen Freunde. Es wird für sie kein leichtes halbes Jahr sein. Den Ruhm werden andere einstreifen, vor allem die französische Präsidentschaft, die die Arbeiten abschließen wird. Aber die Portugiesen scheinen selbstbewußt genug, um eine gute Präsidentschaft zu liefern.
Lissabon, 15.1.2000