Zukunftsmusik

Ich hoffe, dass die vernünftigen Kräfte der Republika Srpska in den kommenden Jahren einen zukunftorientierten gemeinsamen Staat Bosnien-Herzegowina aufbauen werden.
Heute haben wir die Republika Srpska, also den serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina, besucht.

Banja Luka, Hauptstadt der Republika Srpska

Schon gestern Abend war ich nach Zagreb geflogen und von dort mit dem Bus in einer ca. zweieinhalbstündigen Fahrt über die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina in die Hauptstadt der Republika Srpska, Banja Luka.
Ich habe diese Stadt bisher nur einmal ganz kurz besucht und sie diesmal ganz neu erlebt. Banja Luka wirkt auf mich wie ein größeres, ausgedehntes Dorf. Es hat keine eigene, erkennbare Struktur. Zweifellos hat auch Banja Luka seine ganz individuelle Geschichte. Aber die unzähligen Zerstörungen haben dazu beigetragen, dass es kein besonderer urbaner Anziehungspunkt ist.

Wechselschwierigkeiten

Trotzdem wir erst spät am Abend in Banja Luka ankamen, wollte ich mit meinem Kollegen noch ein Bier trinken gehen. Dazu war es notwendig, Geld zu wechseln. In unserem Hotel war die Wechselstube schon geschlossen, und so versuchten wir uns an mehreren Bankomaten bei insgesamt vier – mehr oder weniger in österreichischem Besitz befindlichen – Banken. Erst bei der letzten gelang es mir, mit einer österreichischen Kreditkarte Geld abzuheben. Und so kamen wir doch noch zu unserem Bier – allerdings in einem Lokal, in dem ausschließlich männliche Gäste anwesend waren.
Auf den Straßen hielten sich viele jungen Menschen auf – Burschen und Mädchen. Das Straßenbild in Banja Luka unterschied sich – abgesehen von der Architektur und der Infrastruktur – nicht wesentlich von dem anderer Städte. Als ich am nächsten Morgen durch die Straßen ging, um zu fotografieren, bot sich mir allerdings ein anderes Ambiente. Es herrschte eine eher triste Atmosphäre, die sich erst am Nachmittag wandelte, als die Jugendlichen wieder die Straßen belebten.

Bei Präsident Čavić

Der Zweck unseres Besuches war aber nicht die Besichtigung von Banja Luka. Wir wollten vielmehr Gespräche mit Verantwortlichen der Republika Srpska sowie des gesamtstaatlichen Parlaments führen. Den Auftakt bildete unser Treffen mit Präsident Dragan Čavić, einem ehemaligen Nationalisten, aber doch vernünftigen und westlich orientierten Politiker.
Čavić lebt gewissermaßen in Kohabitation mit Regierungschef Milorad Dodic, der seit Anfang dieses Jahres von einem anderen politischen Lager gestellt wird. Dodic ist der Sozialdemokratie zugeneigt und war über einen langen Zeitraum Vertreter einer nicht nationalistischen Linie – wenngleich er, um sich an der Macht zu halten, verschiedene Kompromisse mit den Nationalisten einging und eingeht.

Gescheiterte Verfassungsreform

Bevor wir Ministerpräsident Milorad Dodic einen Besuch abstatteten, trafen wir auch Parlamentspräsident Igor Dalujic. Er ist ein jüngerer, äußerst flexibler und weltgewandter Mann, der eine große Hoffnung für die Republika Srpska darstellt. Unsere Gespräche drehten sich erster Linie um die Verfassungsreform.
Erst vor wenigen Tagen hatte das Parlament die Verfassungsreform, die wesentliche Schritte zu einem modernen multiethnischen Staat setzen sollte, abgelehnt bzw. nicht mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Dagegen gestimmt habe einerseits jene, die ihre eigenen Interessen nicht genügend berücksichtigt gesehen haben: eine Gruppe von kroatischen Abgeordneten. Zum anderen stimmten jene dagegen, die viel radikaler vorgehen und die multiethnische Struktur gänzlich in den Hintergrund rücken möchten, um eine einheitliche politische Struktur zu schaffen. Faktum ist, dass der zweifellos unbefriedigende Status quo bis auf weiteres bestehen bleibt.

Neuer Anlauf

Ich fühlte mich ein bisschen an die Debatten und Entscheidungen bei der Europäischen Verfassung erinnert. Auch hier formierten sich Gegner aus den unterschiedlichsten Lagern. Und auch hier war das unbefriedigende Ergebnis die Tatsache, dass sich nichts ändert und die vielleicht geringen, aber dennoch wichtigen Fortschritte in der Verfassungsstruktur nicht erzielt werden konnten.
Der Parlamentspräsident wie auch Präsident Čavić bedauerten diese Entscheidung zutiefst. Sie zeigten sich überzeugt, dass neue Anläufe genommen werden müssen, um zu einer Verfassung zu kommen, insbesondere in Hinblick auf die für Herbst angesetzten Wahlen zum gesamtstaatlichen Parlament.

Polizeireform

Mit Milorad Dodik, dem Ministerpräsidenten der Republika Srpska, sprachen wir fast ausschließlich über die Polizeireform. Diese wurde zwischen allen politischen Kräften vereinbart, jetzt geht es um die konkrete Umsetzung. Wir hatten allerdings den Eindruck, dass Dodik bei manchen Punkten auf der Bremse steht.
Ihm sind vor allem zwei Aspekte wichtig: Er anerkennt zwar, dass die Budget- und Gesetzgebungskompetenz auf der gesamtstaatlichen Ebene liegen. Dodik wünscht sich aber, dass das Budget an die Sicherheitskräfte über die teilstaatlichen Budgets verteilt wird. Aus seiner Sicht sollten sich zudem die einzelnen Sicherheitsbezirke an den Grenzen der beiden Teilstaaten – also der Republika Srpska und der Föderation – orientieren. Das schließt grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht aus. Überlappende Sicherheitsrayone hingegen machen wenig Sinn.

Nicht auf der Bremse stehen

Die anwesenden Vertreter der Union, insbesondere der Vertreter der Europäischen Kommission, waren von Dodiks Einstellung sehr betroffen. Botschafter Humphreys meinte, Dodik habe seine Wünsche bisher noch nie derart deutlich geäußert und er sähe darin ein Problem. Gemeinsam mit dem österreichischen Botschafter Dr. Almhofer, der derzeit auch die Präsidentschaft vertritt, suchte er nochmals das Gespräch mit Dodic, um einige Klarstellungen vorzunehmen.
Ich selbst traf am Nachmittag nochmals mit dem Premierminister zusammen. Dodic steht, wie schon erwähnt, der Sozialdemokratie nahe. Ich wollte ihn daher einerseits aus unserer Sicht nochmals auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, bei der Polizeireform Fortschritte zu erzielen. Andererseits erörterten wir auch, wie wir die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament bzw. unserer Fraktion und Dodic und seinem Team entsprechend stärken können.

Vertrauensfrage

Wir haben Interesse daran, dass Dodic in Bosnien-Herzegowina eine zentrale Rolle spielt. Aber wir haben auch Interesse daran, dass er sich klar zu den Reformen bekennt. Im Bereich der Verfassung hat er das getan und sich positiv für die Verfassungsänderungen ausgesprochen. Bei der Polizeireform hingegen scheint er – zumindest vor den Wahlen – vorsichtiger vorgehen zu wollen. Dodic sagte mir in diesem Gespräch, dass die Menschen zu wenig Vertrauen in gesamtstaatliche Institutionen haben. Wenn diese Reform aber – finanziell und organisatorisch – über die Regierung der Republika Srpska läuft, so kann nach seiner Überzeugung mehr Vertrauen hergestellt werden.

Gesamtstaatliche Orientierung

Ich kann sein Argument nachvollziehen. Aber mittelfristig muss klargestellt sein, dass die Menschen zunehmend Vertrauen in ein gemeinsames Bosnien-Herzegowina entwickeln, damit es zu einer gesamtstaatlichen Orientierung kommen kann. Hinzu kommt, dass in der Republika Srpska auch Bosniaken und Kroaten leben, die ihrerseits mehr Vertrauen für einen Gesamtstaat haben. Es geht also auch um eine Frage der Mehrheit und der Minderheiten.
Das Gespräch mit Dodic verlief insgesamt sehr angenehm. Ich hoffe, dass er in den kommenden Jahren gemeinsam mit den übrigen vernünftigen Kräften der Republika Srpska an einem zukunftorientierten gemeinsamen Staat Bosnien-Herzegowina aufbauen kann und nicht nur an die Republika Srpska als solches denkt.

Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen

Nach dem ersten Treffen mit Premierminister Dodic begann unsere gemeinsame Sitzung mit Abgeordneten des bosnischen, also des gesamtstaatlichen Parlaments. Die meisten der Abgeordneten kenne ich, zum Teil schon über viele Jahre hindurch. Einige stehen der Sozialdemokratie nahe. Wir führten auch hier eine interessante Diskussion über die beiden Hauptthemen, die Verfassungs- und die Polizeireform.
Aber auch die Gespräche mit der Europäischen Union über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen standen auf der Tagesordnung. Es wurde einhellig versichert, dass die Gespräche sehr gut verlaufen und dass Chefverhandler Igor Davidovic ein äußerst fähiger Verhandler ist, der die entsprechenden Reformen vorantreibt. Ich habe schon im Frühjahr ein Gespräch mit dem bosnischen Ministerpräsident Terzic sowie mit dem Leiter der Europaabteilung im Amt des Ministerpräsidenten, Osman Topcagic, geführt, bei dem ich ebenfalls den Eindruck gewonnen habe, dass man unmissverständlich nach vorne geht.

Justizreform

Auch der Besuch beim Justizminister der Republika Srpska stand auf unserem Besuchsprogramm in Banja Luka. Er hatte auch den Chefankläger, den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes und verschiedene andere Richter und Staatsanwälte zu diesem Gespräch eingeladen. Es ging in erster Linie um die Fragen der Justizreform und den Kampf gegen die Korruption, ebenso wie um Verfahren gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher, soweit sie nicht bereits zum Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag geschickt wurden.
Es gab etliche Verurteilungen, die aus meiner Sicht auch absolut notwendig sind. Ich glaube, dass man am Anfang zu wenig Wert darauf gelegt hat, in den Ländern selbst entsprechende Verfahren durchzuführen und Verurteilungen vorzunehmen. Es geht aber nicht um eine „Siegerjustiz“ von außen, sondern um eine Justiz, die in den eigenen Ländern Konsequenzen setzt und Aufarbeitungen der eigenen Geschichte durchführt.

Gedämpfte Hoffnung

Ich glaube, dass es zu wesentlichen Fortschritten gekommen ist, auch im Justizbereich. Es wurde immer wieder betont, dass es einen Instanzenzug der Justizbehörden an den Gesamtstaat gibt. Die Justiz endet nicht an den Grenzen der Republika Srpska, die Kontrolle durch die Gesamtbehörden ist gegeben. Dadurch ist ausgeschlossen, dass Urteile einseitig und nur im Interesse der serbischen Mehrheitsbevölkerung in der Republika Srpska gefällt werden.
Mit einem gedämpften Hoffnungsschimmer habe ich Banja Luka gemeinsam mit einem ungarischen Kollegen der Europäischen Volkspartei noch am Abend verlassen. Mein Kollege musste nach Ungarn zurück, ich selbst nach Brüssel. Da unsere Maschinen zeitig in der Früh von Zagreb aus starteten, fuhren wir mit dem Auto zurück in die kroatische Hauptstadt.

Banja Luka, 2.5.2006