Zwischen Brüssel und Strassburg

 Der Zeitpunkt der Entscheidung bei EU-Erweiterung rückt näher und die schwierigsten Fragen sind in den nächsten Wochen zu klären.
Für das Europäische Parlament gibt es zwei Tagungsorte: Brüssel und Strassburg.

Brüssel ist eine europäische Metropole mit sehr unterschiedlichen Stadtteilen – noble Villenviertel im Grünen prägen das Stadtbild genauso wie stark abgewohnte und durch Spekulation gekennzeichnete Bezirke. Die einzelnen Bezirke sind eigentlich Gemeinden mit jeweils eigenständigen Bürgermeistern und werden lediglich durch eine lose Stadtverwaltung (Brüssel Capitale) zusammengehalten.

Strassburg dagegen ist eine relativ homogene „Provinzstadt“ an der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland. Es ist zwar beschaulicher und gemütlicher als Brüssel, zugleich fehlen dem Städtchen aber auch die typischen Charakteristika einer Großstadt. Die Auseinandersetzungen unter der Abgeordneten über die Frage, ob Strassburg weiterhin als Sitz des Europaparlaments beibehalten werden soll, sind genauso heftig wie müßig und unfruchtbar. Der Sitz ist durch die Regierungen festgelegt worden, und Frankreich ist in dieser Frage zu einem Nachgeben nicht bereit.

In der Zielgeraden

Viel interessanter sind da schon die Auseinandersetzungen über den zukünftigen Weg der Europäischen Union. So beschäftigt uns in diesen Tagen besonders die Frage der Erweiterung – und das wird auch einige noch so bleiben. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass manche jetzt nervös werden, denn der Zeitpunkt der Entscheidung rückt näher und die schwierigsten Fragen sind in den nächsten Wochen zu klären – zunächst zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten innerhalb der EU und im Anschluss gemeinsam mit den Erweiterungskandidaten. In diesem Sinn meinte ich in meiner kürzlich vor dem Plenum des Europaparlaments gehaltenen Rede:

„Die Erweiterung der Europäischen Union ist für mich eine der größten Herausforderungen für die nächsten Jahre. Wir sollten daher keine kalten Füße bekommen, nur weil jetzt die schwierigen Kapitel zu verhandeln sind und sowohl die Mitglieder als auch die Kandidaten die eigenen Interessen mit Vehemenz und Überzeugung vertreten.

Das Jahr 2004 sollte nicht aus den Augen verloren werden, denn 2005 beginnt die neue Kommission zu arbeiten, und dann müssten die neuen Kommissare aus den neuen Mitgliedsländern bereits hier vertreten sein. Ob es zu einem `big bang` mit den 10 bekannten Ländern kommen wird, wissen wir nicht, aber wir sollten auch nicht die Hoffnung hegen, dass wir in den nächsten Jahren mehrere Minirunden fahren können. 2004 muss ein mutiger Schritt erfolgen…

Ohne Kompromisse wird es nicht gehen. Wenn, was manchmal geschieht, die EU-Mitgliedstaaten verlangen, dass alle Kriterien bei den Kandidaten so erfüllt sind, dass sie zu 100% das Niveau der Mitgliedsländer erreichen, oder manchmal sogar gefordert wird, dass sie über das Niveau der Mitgliedsländer hinausgehen, dann wird natürlich die Erweiterung scheitern. Wenn die Kandidaten verlangen, dass sie sofort in vollem Umfang in den Genuss aller Unterstützungsmaßnahmen kommen, dann wird sie ebenfalls scheitern. Wir wollen allerdings einen Erfolg, und zwar den Erfolg im Jahr 2004 und kein Scheitern und keine Verzögerung!“ (Strassburg, 12.6.2002; die Orignalrede findet sich unter dem Menüpunkt „Aktuelles/Reden im Europaparlament“)

Streitpunkt Zuwanderung

Durch die Wahlergebnisse der letzten Monate ist überdies ein altes Thema erneut in den Vordergrund gerückt: die Frage der Zuwanderung. Übereinstimmung besteht darin, dass dieses Thema nicht vernachlässigt werden darf. Ein – seltener – Spaziergang durch die beiden europäischen Hauptstädte Brüssel und Strassburg, aber auch durch die meisten anderen Hauptstädte Europas zeigt, dass die EU auch eine Union der Zuwanderung ist, da alle Mitgliedsländer – wenngleich unterschiedlich stark – von Zuwanderung gekennzeichnet sind.

Zuwanderung ist ein europäisches Thema, weil es in den Mitgliedsstaaten ein Thema ist und weil durch gemeinsame Aussengrenzen und den Wegfall von harten Grenzen im Inneren eine zusätzliche europäische Dimension geschaffen wurde. Rationelle und wirtschaftliche Argumente stossen dabei oft auf emotionelle Befürchtungen in der Bevölkerung und jagen PolitkerInnen Angst ein, was eine ausbalancierte Position verhindert. Der Druck der Marktapologeten, die völlig offene Arbeitsmärkte fordern, ist genauso wenig hilfreich.

Die Integration der ausländischen BürgerInnen durch aktive Teilnahme am Wirtschaftsleben in vielen Ländern der EU, nicht zuletzt in Brüssel, ist das eigentlich zentrale Element einer Immigrations- und Integrationspolitik. Viele Geschäfte der Nahversorgung wären ohne Zuwanderung nicht denkbar. Das Abwohnen von vielen Häusern und zum Teil ganzen Stadtvierteln, das heißt das Ausnützen der Zuwanderer durch viele Hauseigentümer, ist allerdings ein Zeichen der Vernachlässigung der sozialen und städtebaulichen Aspekte der Integrationspolitik.

Kombination von Asyl-, Immigrations- und Integrationspolitik

Wir brauchen eine wohl überlegte Kombination einer verständlichen Asyl-, Immigrations- und Integrationspolitik. Das habe ich auch in meiner Rede in Strassburg, die sich mit den Beratungen der Regierungschefs am 21. Juni in Sevilla beschäftigte, gefordert:

„Vom Rat in Sevilla erwarten sich nicht nur die Mitglieder dieses Hauses, sondern auch die europäische Bevölkerung klare und verständliche Signale auf dem Gebiet der Asylgewährung, der Einwanderung und der Integration unserer Zuwanderer. Europa muss dabei weiterhin aus moralischen Gründen zu den Grundsätzen einer humanitär bestimmten Asylpolitik stehen. Wir müssen des Weiteren auch unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern klar machen, dass wir Zuwanderung brauchen. Wir müssen ihnen aber ebenso beweisen, dass wir diese Zuwanderung lenken und kontrollieren können. Dabei bedarf es auch – und da hat die spanische Präsidentschaft sicherlich Recht – der Mitwirkung unserer Nachbarn, insbesondere in den Quell- und Durchgangsländern für die illegale Einwanderung.

Wir müssen aber vor allem jene gemeinsam bekämpfen, die aus dem Menschenhandel extreme Profite ziehen. Wenn wir aber konkret schauen, was die Europäische Union insgesamt getan hat, um diesen Menschenhandel zu bekämpfen, dann sehe ich sehr wenig. Einige Mitglieder dieses Hauses waren gemeinsam mit nationalen Parlamentariern in Bukarest und haben dort zum Beispiel ein Zentrum gegen grenzüberschreitende Kriminalität gesehen. Dieses wird unterstützt von einigen Mitgliedsländern, unterstützt von den Amerikanern, es erhält aber kein europäisches Geld. Schlimmer aber ist, dass man erst jetzt langsam beginnt, mit Europol Kontakte aufzunehmen, bzw. dass Europol erst jetzt langsam beginnt, hier tatsächlich aktiv zu werden. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger Europas erwarten, dass eine positive Zuwanderungspolitik betrieben wird, dass man sich aber gleichzeitig auch klar gegen die Entwicklung von Menschenhandel und anderen kriminellen Aktivitäten wendet.

Wir müssen aber auch jenen, die sich bei uns aufhalten, die Chance geben, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Indem sich nämlich diese Menschen bei uns eine Lebensgrundlage schaffen – und viele sind beispielsweise an der Neugründung von Unternehmen beteiligt -, erhöhen sie auch unseren gemeinsamen Wohlstand. Hierbei handelt es sich nicht um ein Nullsummenspiel, die Zuwanderer gewinnen oder die Einheimischen gewinnen, sondern wir können gemeinsam aus einer vernünftig und gezielt gestalteten Einwanderungs- und Integrationspolitik gewinnen, wenn wir sie nur endlich angehen.“ (Strassburg, 12.6.2002; die Orignalrede findet sich unter dem Menüpunkt „Aktuelles/Reden im Europaparlament“)

Strassburg, 13.6.2002