Wohin steuert Ungarn unter Viktor Orban?

Wie oft bin ich schon die Strecke von Wien nach Budapest gefahren. Und wie oft mit dem Zug wie diesmal. Ja, der Rail Jet ist bequemer als die Züge von dazumal. Entlang der Strecke hat sich nicht viel geändert. Und in Ungarn selbst? Es herrschte noch der Kommunismus, als ich zum ersten Mal nach Budapest gefahren bin. Und einmal lud die schon am Absprung befindliche Ungarische Arbeiterpartei bewusst einige sozialdemokratische Parteien ein. Nur der Vertreter der DDR, ein strammer Preuße, gab sich unversöhnlich und kompromisslos.

Noch während der kommunistischen Zeit holte ich den ungarischen Außenminister und späteren demokratischen Premierminister Gyula Horn von seinen Gesprächen in der Wiener UNO City ab und brachte ihn zu einem Gespräch ins Rathaus zum damaligen Bürgermeister Helmut Zilk. Mit ihm besuchte ich auch den früh verstorbenen Premierminister Josef Antal in Budapest. Wir hatten viel vor, um die Brücken nach Ungarn zu verstärken, unter anderem eine gemeinsame Weltausstellung in den beiden Hauptstädten. Aber der Wechsel vom Kommunismus zum Kapitalismus und eine Volksbefragung in Wien bescherten dem Projekt ein Ende.

Ungarns Rückwärtsgang

Und Viktor Orban ist in seiner zweiten Amtsperiode drauf und dran, der Entwicklung Ungarns zu einer lebendigen Demokratie ein Ende zu bereiten. Nach massiven Eingriffen in die Justiz und in die Medienfreiheit geht es jetzt vor allem um ein neues Wahlrecht. Auch dieses soll dem Machterhalt dienen. Dass er bei den letzten Wahlen eine Zweidrittel-Mehrheit bekommen hat, ist Orban nicht genug. Durch eine Änderung des Wahlrechts möchte er die eher ihm zugeneigten Auslandsungarn gewinnen und die ärmeren Schichten möglichst abhalten, zur Wahl zu gehen. Das möchte er durch die in Zukunft notwendige Registrierung in die Wählerlisten erreichen. Dabei sind die Detailregelungen darauf angelegt, dass den Auslandsungarn lange Fristen eingeräumt werden und die Möglichkeiten, sich online registrieren zu lassen. Bei den Inlandsungarn ist das laut den letzten Vorschlägen anders.

Allerdings weiß man nie so genau, wie die Gesetze endgültig ausfallen, da es zur Praxis geworden ist, dass FIDESZ-Abgeordnete oft erst in letzter Minute Abänderungsanträge stellen. Dies hat den Zweck, eine ernsthafte Diskussion zu vermeiden. Das gilt dann sowohl für das Parlament als auch für die ausländischen Beobachter und Experten von Europarat und Europäischem Parlament.

Kann die EU einschreiten?

Immer wieder wurde ich auch in Ungarn gefragt, ob und was die EU gegen diese Entwicklungen unternehmen kann. Nun, einiges, was klar gegen Europäisches Recht verstieß, musste Orban auch ändern. Und erst kürzlich gab es ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs, dass die vorzeitige Pensionierung von Richtern – die dem politisch motivierten Austausch von Richtern diente – unzulässig war. Auch in der Mediengesetzgebung mussten einige Bestimmungen an das europäische Recht angepasst werden. Aber die europäischen Eingriffsmöglichkeiten sind beschränkt. Und eine starke Ausweitung dieser Möglichkeiten birgt natürlich Gefahren eines Missbrauchs.

Im Falle Ungarns gibt es zwei Besonderheiten, die die Interventionen seitens europäischer Institutionen erschweren. Einerseits die schon erwähnte Praxis, Abänderungsanträge zu Gesetzentwürfen erst in letzter Minute einzubringen. Und zweitens wird durch die Fülle von Gesetzesentwürfen und Neubesetzungen von Positionen in der Verwaltung, im Kulturbereich eine ständige, rückwärtsgewandte Revolution in Gang gesetzt, die schwer zu verfolgen ist. Man kommt kaum nach, diese Änderungen zu beobachten, geschweige sie zu bewerten und mit europäischem Recht zu vergleichen. Dennoch, wir dürfen uns nicht davon abhalten lassen, die Entwicklungen in Ungarn genau zu verfolgen. Vor allem, weil noch viele weiteren Schritte drohen, so ein Verbot der Sozialisten, weil sie als Nachfolger der Kommunisten diskreditiert und vielleicht kriminalisiert werden.

Nationalismus als gefährliche Krankheit

Dass bei all dem die wirtschaftliche und soziale Lage große Probleme aufweist, erschwert noch die Situation der Bevölkerung. Für Viktor Orban ist dies ein weiterer Grund, seinen nationalistischen Kurs zu verstärken. Die EU und der IWF sind die Feinde, aber Ungarn und vor allem Orban lassen sich nicht in die Knie zwingen! Dabei kann sich sein gegen Europa gerichteter Nationalismus natürlich als Bumerang erweisen. So wie bei allen Nettoempfängern von Mitteln aus dem europäischen Budget der von ihnen geprägte Nationalismus zweischneidig ist. Denn wenn die Nettozahler genauso nationalistisch denken und handeln, dann sind sie nicht bereit, ein Budget zu finanzieren, das diesen Ländern hilft. Erfolgreich können die Nationalisten im gemeinsamen Europa nur dann sein, wenn sie allein nationalistisch sind. Übernehmen aber die anderen diesen Nationalismus, dann führt der Nationalismus nicht zum Ziel. Und überdies wird Europa immer mehr geschwächt und letztendlich der Einigungsprozess rückgängig gemacht.