Hat Europa Zukunft?

hannes 6

Auf eine solche Frage, die sich natürlich auf die Europäische Union bezieht, hätten vor kurzem nur die Antieuropäer mit Nein geantwortet. Inzwischen gibt es auch ernst zu nehmende Pro-Europäer, die sich nicht mehr so sicher sind, wie diese Frage zu beantworten ist. Als meine MitarbeiterInnen und ich begonnen haben, das Projekt „futurezone europe“ zu planen, war zwar schon eine gewisse Unsicherheit zu bemerken. Aber noch bestand Hoffnung, dass sich die politischen Hauptakteure in Europa ihrer Verantwortung bewusst werden würden. Aber immer mehr wurden wichtige Entscheidungen hinausgezögert.
So stellt sich heute Europa nicht gerade als hoffnungsfroher und zukunftsorientierter Kontinent dar. Manche meinen dennoch, dass sich die Vernunft durchsetzen und zumindest das „Kapital“ nicht zulassen werde, dass nationalistische Kleingeisterei in Europa die Oberhand gewinnen werde. So in etwa argumentierte in der Abschlussdiskussion der Veranstaltungsreihe der Schriftsteller und gute Kenner der EU und ihrer Institutionen Robert Menasse. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich fürchte vielmehr, dass ideologische Verblendung und die aggressive Aktivität nationalistischer und antieuropäischer Parteien immer mehr den Ton angeben.
Diese Kräfte haben auch deshalb ein leichtes Spiel, weil auf der anderen Seite viele politische Verantwortliche vor den Machenschaften der Finanzmärkte kapitulieren. Sie reden dann nur über Budgetdisziplin und Austerität. Und die Reform der EU inklusive der EU-Verträge hat nur den Zweck, die Budgetdisziplin – natürlich so wie sie die Konservativen und Neoliberalen verstehen und definieren – mit noch stärkeren Sanktionen zu belegen. Ein Europa, das sich nur auf diese Frage konzentriert und viele andere Probleme missachtet und leugnet, ist aber schwer zu vermitteln – jedenfalls von einer sozialdemokratischen Warte aus. Denn diese kann die wachsende Ungleichheit und die Gefährdung der Demokratie in etlichen Mitgliedsländern der EU nicht übersehen.
Hat also die EU angesichts einer aktiven rechten Szene und einer dominierenden technokratisch-neoliberalen Orientierung eine Zukunft? Ja, aber nur dann, wenn alle diejenigen, die in der EU ein wichtiges politisches und „kulturelles“ Projekt sehen, aktiv dafür kämpfen. Niemand Seriöser wird leugnen, dass es zu wirtschaftliche Reformen kommen muss. Aber Wirtschaftspolitik besteht nicht nur aus Budgetpolitik und vor allem nicht nur aus Austeritätspolitik. So ist die Vernachlässigung der Ausbildung sozial schwächerer Schichten und vor allem auch der Migrationsbevölkerung auch ein Schaden für die wirtschaftliche Entwicklung. So werden Menschen an den Rand gedrängt und Ressourcen vergeudet. Das gleiche gilt für die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen. Denn je weniger die unteren Einkommensschichten mit ihrer höheren Konsumneigung bei der Einkommensverteilung zugunsten der höheren Einkommensschichten mit ihrer geringeren Konsumneigung berücksichtigt werden, desto weniger kann das Wachstum unterstützt werden. Die wachsende Ungleichheit ist ebenso wie die Unterdotierung des Bildungssektors ein soziales und ein wirtschaftliches Problem.
Einige Protestbewegungen wie zum Beispiel die „Occupy“-Bewegung machen auf diese gravierenden Probleme und Widersprüche aufmerksam. Sie bieten keine Lösungen an. Aber das ist ihnen auch nicht vorzuwerfen. Als politische Parteien und als verantwortliche PolitkerInnen ist es unsere Aufgabe, Lösungen anzubieten. Dabei kann der vielfach geäußerte Protest hilfreich sein. Und je mehr wir im europäischen Rahmen Lösungen anbieten können, desto mehr wird der Protest kein antieuropäischer sein bzw. werden. Die Sozialdemokratie hat dabei eine besondere Aufgabe. Denn wir teilen – oder sollten das zumindest – die Kritikpunkte der Protestbewegung. Aber wir müssen uns mehr anstrengen, Strategien und Wege aus der Krise vorzuschlagen. Sonst geht vor allem der Protest immer mehr nach Rechts, insbesondere in Österreich.