Kairo im Nebel

In der Früh lag Kairo im Nebel. Aber bald lichtete er sich und es gab einen sonnigen, warmen Tag in der ägyptischen Hauptstadt. Allerdings konnte ich diesen schönen Tag nicht genießen. Nach den Teilnahmen an einer von der S&D Fraktion mitgestalteten Konferenz, einigen Einzelgesprächen und einem Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi ging es zurück nach Europa. Und der politische Nebel hat sich auch zum Zeitpunkt der Abreise nicht gelichtet.

Anlass meiner kurzen Reisen nach Ägypten war eine Konferenz, die wir gemeinsam mit den neu-gegründeten ägyptischen Sozialdemokraten gestalteten. Diese hatten die Idee zur Gründung einer arabischen sozialdemokratischen Plattform. Mehrerer Parteien und vor allem Spitzenvertreter aus Tunesien und Palästina nahmen an dieser Konferenz teil. Gemeinsam ist ihnen und uns europäischen Sozialdemokraten, dass wir gegen den religiösen Fundamentalismus und für eine Politik im Interesse der sozial Schwachen eintreten. Und gemeinsam ist uns, dass wir uns für eine starke Zusammenarbeit zwischen den Ländern nördlich und südlich des Mittelmeeres einsetzen.

In der langen und wechselvollen Geschichte des Mittelmeerraums überwogen die Phasen der engen Verknüpfung dieser beiden Ufer des Mittelmeers: in der griechischen Periode und im römischen Reich, während der arabisch – islamischen Expansion und im osmanischen Reich, und dann während des Kolonialismus. Und jetzt sollten wir dieser Zusammenarbeit in Form einer Partnerschaft und im Interesse der BürgerInnen eine neue Chance geben. Das wäre politisch und wirtschaftlich vernünftig und vor allem im Interesse der Sicherheit.

Wir wollen ja zu einer stabilen und geordneten, dabei aber natürlich demokratische Entwicklung in unserer Nachbarschaft beitragen. Das ist vor allem auch unser Interesse. Und deshalb sollten wir uns in dieser Region engagieren. Dabei sollten wir natürlich unsere Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte weder vergessen noch verleugnen. Vor allem geht es auch um die Rolle der Frauen. Nach Meinung vieler ist das durch die zumindest vagen Bestimmungen der neuen ägyptischen Verfassung nicht gewährleistet. Wir brachten das auch gegenüber Präsident Mursi vor, der allerdings überzeugt ist, dass Männer und Frauen gleichermaßen in der Verfassung berücksichtigt sind.

Es kommt natürlich immer auch auf die Interpretation der Verfassung an und diesbezüglich sind die kommenden Wahlen von großer Bedeutung. Und mit unserer Konferenz wollten wir den ägyptischen Sozialdemokraten auch eine entsprechende Unterstützung geben. Und von Präsident Mursi verlangten wir die Einladung von Wahlbeobachtern, sodass die Wahlen frei und fair ablaufen würden. Grundsätzlich bekamen wir auch eine Zusage und ich hoffe, dass sie nicht in den Mühlen der Bürokratie zermahlt wird.

Ägypten spielt natürlich auch eine große Rolle im nahöstlichen Friedensprozess. Vor allem vermittelt es zwischen den beiden Fraktionen der Palästinenser: der Fatah und der Hamas. Einer der führenden Politiker Palästinas und speziell der Fatah, Nabil Shaath, den ich nun schon viele Jahre kenne und schätze, war im Gespräch mit mir optimistisch, dass eine solche Einigung zustande kommt. Und nach Bildung einer solchen Regierung sollte es dann Neuwahlen geben, um das wahre Stärkeverhältnis dieser beiden Gruppierungen feststellen zu können.

Nabil Shaath bedankte sich besonders bei den europäischen Sozialdemokraten, dass sie den Antrag der Palästinenser auf Aufwertung in der UNO tatkräftig unterstützt haben. Aber nun geht es trotzdem um die Frage, wie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser umgesetzt werden kann. Denn die Zweistaatenlösung umzusetzen wird angesichts der israelischen Siedlungspolitik immer schwieriger. Sind zwei Staaten mit gemischter Bevölkerung eine realistischere Lösungsmöglichkeit als der Austausch von Gebieten und Bevölkerung um Staaten mit möglichst klaren Bevölkerungsmehrheiten zu bekommen? Oder muss man die alte Idee eines gemeinsamen, gemischten Staates wieder aufgreifen?

Niemand weiß heute was die Zukunft bringt. Aber dass der Zustand von heute untragbar ist, dass scheint den meisten klar. Außer einigen rechtsgerichteten, nationalistischen Politikern in Israel. Und leider scheint sich die politische Landschaft Israels nach den Wahlen nicht zum Besseren zu wenden. Oder erleben wir da noch ein Wunder? Nun an Wunder glaub ich nicht und auch nicht an Wunder im Land der Bibel.

Inzwischen ist weiter westlich und südlich eine neue Auseinandersetzung im islamischen Nordafrika entfacht. In Mali haben radikale islamistische Kräfte versucht das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Das hat letztendlich den französischen Präsidenten zum militärischen Eingreifen veranlasst. Allerdings ist fraglich ob dieses Eingreifen eine nachhaltige Wirkung haben wird. Ich kann die französische Intervention, die auf Einladung der Regierung von Mali erfolgt, verstehen. Denn niemand in Europa kann sich ein Fortschreiten islamistischer Terroristen im Norden Afrikas wünschen. Allerdings wird es ohne eine umfassende Strategie zum Zurückdrängen dieser Kräfte nicht gehen. Und dazu braucht es vor allem auch eines stärkeren Engagements der Afrikaner selbst. So sehr die EU ob ihrer mangelnden Einheit kritisiert wird, aber die afrikanischen Staaten sind noch lange nicht so weit.

Und die wahrscheinlich eher mit den Entwicklungen in Libyen zusammenhängende Geiselnahme in Algerien zeigt die nach wie vor fragile Lage auch in diesem Land. Algerien hat ja über viele Jahre eine heftige Auseinandersetzung zwischen islamistischen Terroristen und den nicht gerade zimperlichen Sicherheitskräften gesehen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum trotz einiger Demonstrationen zu Beginn des arabischen Frühlings der Funken aus den anderen Ländern nach Algerien nicht übergesprungen ist. Die Angst vor neuerlichen heftigen Auseinandersetzungen und vom Fortschreiten der Islamisten hat die Menschen von einer Unterstützung der jungen Demonstranten zurückgehalten. Und der langjährige Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika hat es verstanden diese Angst für sich auszunützen.

So werden wir noch viele Jahre mit einer unruhigen Umgebung im Süden von Europa leben müssen. Auf jeden Fall jedoch sollten wir versuchen mit den arabischen Ländern eine gemeinsame Strategie zur Demokratisierung, zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und damit auch zur Bekämpfung des Terrorismus zu entwickeln. Ich habe allerdings keine Illusion, dass dies leicht sein wird.