Türkei: Einblick in die politischen Verhältnisse II

In den letzten Tagen ist es in Istanbul zu großen Demonstrationen und zu massiven Repressionsmaßnahmen der Polizei gegen die Demonstranten gekommen. Aber nicht nur in Istanbul, sondern auch in vielen anderen Städten. Ursprünglicher Anlass war die Errichtung eines Einkaufszentrums in einem Park nahe dem bekannten Taksimplatz im Herzen von Istanbul.

Nach meinen Informationen sollte dieses Einkaufszentrum auch durch seine bauliche Gestaltung an eine ehemalige Kaserne erinnern, aus der gegen die kemalistische Revolution Widerstand geleistet wurde. Der Konflikt über die Errichtung eines Einkaufszentrums wurde so schnell zu einer Auseinandersetzung zwischen der kemalistischen und laizistischen Opposition und der islamistisch orientierten Regierung unter Premierminister Erdogan.

Die ohnehin immer sehr autoritären Polizeikräfte der Türkei haben diesen Konflikt ausgenützt, um mit Tränengas etc. die Menschen vom umstrittenen Park zu vertreiben. Das hat aber Öl ins Feuer gegossen und die Demonstrationen über die ganze Türkei verbreitet. Einige Tote, viele Verletze und hunderte Verhaftete sind das Resultat.

Ein Einkaufszentrum in einen Park mit historischer Bedeutung für große Teile der Bevölkerung zu bauen, ist eine Provokation. Dies dann noch in eine bauliche Form zu bringen, die an den Widerstand gegen die Reformkräfte in der Türkei erinnert, ist entweder dumm oder eine zusätzliche Provokation.

Ich kann von hier aus nicht verfolgen, inwieweit Erdogan persönlich in dieses Projekt verwickelt ist, er sollte aber schnellstens dieses Projekt verschwinden lassen.

Erdogan hätte nämlich eine andere Aufgabe in der heutigen Türkei. Er sollte die Menschen zusammenbringen und nicht auseinanderdividieren. Wenn er wirklich die Kurdenfrage lösen will, wenn er dem Überspringen des Konflikts in die Türkei einen Riegel vorschieben will und weitere Schritte nach Europa machen will, dann sollte er das Gespräch mit der Opposition suchen.

Das habe ich in der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Vorsitzenden der CHP Kılıçdaroğlu – bevor sie schief gelaufen ist – auch klar zum Ausdruck gebracht. Die Türkei würde heute nichts dringlicher brauchen als nationale Einheit – bei allen politischen Differenzen im Detail. Aber durch Projekte wie das in der Nähe des Taksimplatzes in Istanbul wird das Gegenteil erreicht.

Ich finde auch jetzt den Vergleich Erdogans mit Assad oder Hitler unangebracht. Ich bleibe aber auch jetzt bei meiner Kritik am Weg, den Erdogan seit einiger Zeit eingeschlagen hat. Das ist nicht der Weg der notwendigen Demokratisierung sondern führt zum Gegenteil, wenn Erdogan und die AKP nicht zur Umkehr bereit ist. Europa sollte das ihm klar machen und es wäre gut, wenn auch die USA eine ähnliche Haltung hätten.