VORURTEILE UND POLITIK IN GEGENSEITIGER UNTERSTÜTZUNG

Überarbeiteter Text zur Eröffnung einer Tagung des Ustinov Instituts in Wien.

Ich weiß nicht, ob Sir Peter Ustinov als er in Wien – gemeinsam mit der Stadt – das Sir Peter Ustinov Institut zur Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen gegründet hat, die Hoffnung hatte, dass wir jemals eine Gesellschaft ohne Vorurteile erleben würden. Aber er hatte sicher die Hoffnung auf ein deutliches Zurückdrängen von Vorurteilen und auf eine Gesellschaft, in der Respekt und Anerkennung zu den Grundprinzipien gehören würden.

Inzwischen jedoch ist es anders gekommen. Immer mehr Staaten bzw. politische Bewegungen versuchen die einen gegen die anderen auszuspielen – und zwar mit einer klaren und diskriminierenden Hierarchisierung.  Es gibt die Guten, die Echten, die Wahren, die Autochthonen etc. und dann die Anderen, die Zugewanderten, die Fremden, die Störenden, die Gefährlichen.

Und dann gibt es noch – gemäß den Nationalisten und Populisten – die Irregeleiteten, die Naiven, die Gutmenschen, die nützlichen Idioten. Das sind diejenigen, die die Gefahren des Multikulturellen nicht sehen oder verniedlichen. Das sind diejenigen, die an die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen mit gleichen Rechten und Pflichten glauben.  

Nun, wir alle haben Vorurteile. Das können geschickte ForscherInnen zu Tage bringen. Und wir alle leben in Staaten, Gruppen, Familien etc., die uns ein Gefühl der Zugehörigkeit und zum Teil auch der Geborgenheit geben. Die Frage aber ist, inwieweit wir unreflektiert Vorurteile zum Ausdruck bringen und sie dazu verwenden, um andere schlechter zu machen und sie zu diskriminieren.

Aktuelle politische Entwicklungen

In immer mehr Staaten haben politische Kräfte, die fremden- bzw. minderheitenfeindlich auftreten, Erfolg. In Österreich wurde erst kürzlich seitens Regierungsmitglieder die Gefahr eines Bevölkerungstausches an die Wand gemalt. Die „angestammte“ Bevölkerung laufe Gefahr in die Minderheit zu kommen. Als ob nicht gerade Österreich und sicher insbesondere Wien davon Zeugnis gibt, wie viele Österreicher – eingewandert aus anderen Ländern und Kulturen – Großes in und für unser Land geleistet haben. Und als ob nicht unser ganzes Sozialsystem auf der Leistung vieler „fremder“ Kräfte aufbaut. Und im Übrigen was bedeutet in Österreich „angestammte “ Bevölkerung – und das ist nicht nur in Österreich kaum nachzuvollziehen.

Schriftsteller wie Houllebecq malen eine Machtübernahme von Muslimen in Frankreich an die Wand, obwohl sie auch dort deutlich in der Minderheit sind. Die neue italienische Regierung macht eine Anti-Migrationspolitik zum Zentrum ihrer Politik und verbündet sich mit dem ungarischen Ministerpräsident Orban diesbezüglich. Und selbst im bisher davon unberührten Spanien legte bei den letzten Wahlen die Partei der „wahren“ Spanier zu.

Machen wir einen Blick über Europa’s Grenzen hinaus. US Präsident Trump erklärt den Mauerbau gegenüber Mexiko zu einem seiner wichtigsten Projekte. Im jüngsten indischen Wahlkampf hat die Regierungspartei unter Premierminister Modi eine extrem national-hinduistischen und anti-muslimische Kampagne geführt.

Premierminister Netanyahu hatte jüngst Palästinensern die Teilnahme an einer gemeinsamen mit Juden organisierten Veranstaltung zu Ehren der Opfer des Terrorismus und der israelischen Sicherheitsbehörden untersagt.

Die israelische Schriftstellerin und Psychologin Ayelet Gundar-Goshen meinte als aktive Organisatorin des gemeinsamen Trauerns dazu: „Ich möchte meine Kinder nicht im Gedanken aufziehen, dass der Krieg etwas Heroisches sei. Ich möchte sie viel lieber in dem Gedanken erziehen, dass der Frieden nicht weniger heroisch ist.“

Aber um im Nahen Osten zu bleiben, in vielen muslimischen Ländern sind Nicht-Muslime Menschen zweiter Klasse, ganz abgesehen vom Terror, der sich durch den Islam gedeckt fühlt. Und die Radikalisierung des Islams in vielen Ländern mit einer toleranten Tradition dieser Religion bereite uns zurecht Sorge.

Und all das in einer Welt, in der wir immer weniger isoliert und homogen leben können oder es auch wirklich wollen. Handel, Reisen sowie Flucht und Migration werden nicht aus dieser Welt verschwinden. Ich komme im Übrigen gerade aus Sizilien, wo viele Kulturen ihre hervorragenden Zeugnisse hinterlassen haben und auch gezeigt haben, wie das Aufbauen auf den Leistungen der Vorgänger fruchtbringend ist. Wir leben in polykulturellen Gesellschaften und sollten dies nicht verteufeln, sondern produktiv verarbeiten. 

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In all diesen Fällen und in vielen Staaten darüber hinaus werden Vorurteile und Ängste bewusst geschürt und zum Teil Statistiken bewusst gefälscht. Viele Bedrohungsszenarien werden den Menschen als unausweichlich präsentiert – es sei denn es kommt zu einem radikalen Politikwechsel. Dabei wird die Illusion einer abgeschlossenen und von fremden Einflüssen bereinigten Gesellschaft geweckt. Vielfach kommt hier ein klarerer Rassismus zum Vorschein. In Europa ist es oft ein Rassismus des weißen Mannes.

Eng damit im Zusammenhang steht – jedenfalls in Österreich und Deutschland – die Abwertung bzw. Geringschätzung der anderen als der deutschen Sprache. Sicher ist es vernünftig die deutsche Sprache zu lernen, aber auch die anderen Sprachen, die jemand mitbringt, sollten nicht vernachlässigt werden. Generell ist Sprachkompetenz wichtig. Aber während in manchen Ländern bewusst die Sprache gemeinsam erarbeitet wird, setzt Österreich leider auf Trennung und nicht auf Integration. Und damit wird eine Chance für eine gemeinsame Entwicklung versäumt. 

Was kann man gegen diese Art von Politik tun?

In Zeiten der verstärkten Globalisierung und Internationalisierung kann man nicht früh genug beginnen, Kinder auf eine Welt vorzubereiten, in der sie immer wieder auf andere Kulturen, Religionen und Lebensweisen sowie Hautfarben stoßen. Nicht Engstirnigkeit, sondern Offenheit ist gefragt. Und das steht keineswegs im Widerspruch zu eigenen Überzeugungen und – hoffentlich selbst erarbeiteten und gewählten – Orientierungen.  Aber sie sollten keine geschlossenen, starren und unveränderlichen Systeme darstellen. Und sie sollen nicht grundsätzlich Angst vor anderen Menschen und deren Überzeugungen erzeugen.

Kann eine solche Erziehung überhaupt gelingen? Unlängst diskutierte ich in Berlin mit einer dänischen Bildungsexpertin. Sie schilderte ausführlich und mit großer Überzeugung das dänische Schul-Modell, das auf Toleranz, Respekt und Anleitung zu Eigenverantwortung aufgebaut ist. Auf meine Frage, warum es dann auch in Dänemark eine starke rechtspopulistische und anti-Einwanderungspartei gibt, musste sie zugeben, dass die Erziehung immer wieder durch mediale und politische Kampagnen überlagert und verdrängt wird.

Ich wende mich aber nicht gegen eine sorgfältige und auf Toleranz und Respekt aufgebaute frühkindliche Erziehung – im Gegenteil. Sie ist eine wichtige Grundlage, aber wir müssen immer danach trachten, dass sie nicht durch politische Kräfte ausgehöhlt und unterminiert werden kann. 

Wir müssen früh anfangen, die Menschen auf eine Gesellschaft und eine Welt vorzubereiten, in denen verschiedene Kulturen, Religionen und – auch sexuelle – Orientierungen aufeinanderstoßen. Wir müssen dabei nicht nur die Unvermeidbarkeit und Möglichkeit, sondern auch die Vorteile einer solchen Gesellschaft vermitteln. 

Dabei zeigen verschiedene Studien, dass Jugendliche weniger vorurteilsbehaftet sind als ältere Menschen. Auch die soziale Schicht und die Bildung spielt eine entscheidende Rolle. Je höher die soziale Schicht und je höher die Bildung desto geringer sind die Vorurteile gegenüber Asylbewerbern und Langzeitarbeitslosen aber auch gegen über sexuelle Minderheiten. Aber auch das Elternhaus, die Freunde, mit denen Kinder besonders eng verbunden sind etc., spielen eine entscheidende Rolle. Auch Kontakte mit Kindern aus anderen Ländern, Kulturen und Religionen helfen. Allerdings sind die Effekte dabei nur nachhaltig, wenn auch gemeinsame Aktionen gesetzt oder Projekte verwirklicht werden.

Es ist von großem Vorteil, wenn schon früh – jedenfalls früher als bisher für notwendig befunden – mit Kindern an der Bekämpfung von Vorurteilen gearbeitet wird. Wir dürfen aber nie aufhören unsere Mitmenschen auf diese schwierige aber auch spannende Reise in sich verändernden Gesellschaften mitzunehmen. Wir sollten immer wieder unter Beweis stellen, dass Anerkennung und Respekt etwas Heroisches ist und nicht Abwertung und Diskriminierung. Damit sollten wir in frühester Jugend beginnen und nie damit aufhören. 

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