Was denkt Deutschland?

„Es ist nicht so entscheidend, was die Deutschen über die Griechen denken, als vielmehr was sie über sich selbst denken“ meinte jüngst ein griechischer Manager/Unternehmer auf das Verhältnis der Deutschen zu den Griechen angesprochen. Ja, was denken sich die Deutschen über sich und ihre Rolle in Europa?

Die Wahl vom letzten Sonntag gibt da nur teilweise eine Auskunft. Der Sieg der CDU/CSU gleicht den Verlust der FDP aus. Der relative Erfolg der AfD ist ein ernst zu nehmendes Signal, aber noch keine Katastrophe. Die leichten Zugewinne der SPD und die Verluste der Grünen zeigen, dass die Deutschen weiterhin die pragmatische Mitte bevorzugen. Wie übrigens auch die Gewinne der CDU/CSU. Denn Merkel hat ja jedenfalls die CDU noch stärker in die Mitte gerückt.

Und letztendlich ist der Wahlausgang im Wesentlichen ein Vertrauen in Merkel, dass der von ihr eingeschlagene Weg Zustimmung findet. Aber was ist der von ihr eingeschlagene Weg genau: für Europa, aber nicht zu viel davon, für die Bankenunion, aber keine zu starke Bankenaufsicht in Europa. Da besteht jetzt ein großer Klärungsbedarf.

Und wie steht es mit der sozialen Dimension in Deutschland selbst und in Europa. Finanzielle Disziplin und Stabilität ist notwendig aber nicht ausreichend. Vor allem müsste sie so gestaltet werden, dass sie auch von der Bevölkerung getragen und unterstützt werden kann. Die neo-liberale Politik der letzten Jahre und die einseitigen Empfehlungen der Troikas sind jedenfalls nicht geeignet Europa aus der Krise zu führen.

Was immer die Deutschen über sich und Europa denken, Deutschland mit Merkel als Kanzlerin muss sich entscheiden, ob sie dem Lippenbekenntnis zur Weiterentwicklung Europas und einer starken globalen Rolle Taten folgen lassen wollen. Und ob es nach der Überbetonung der Budgetdisziplin endlich auch Schritte zum sozialen Europa geben kann. Denn auch die von Merkel immer wieder zitierte „schwäbische Hausfrau“ will für ihre Kinder und Enkel Jobs mit Einkommen, die ihnen auch die Gründung einer Familie ermöglichen.

Die große Frage ist, ob Merkel bereit ist -auch nach ihrem großen Wahlerfolg- eine wenn auch begrenzte Kurskorrektur  in ihrer nationalen bzw. Europapolitik vorzunehmen. Das hängt natürlich vom innerdeutschen und europäischen Widerstand gegen die Fortsetzung einer harschen Austeritätspolitik ab. Bisher hat Merkel mit ihrer Unverbindlichkeit und ihrem Pragmatismus alle Einwände entweder abgelehnt oder inhaliert und in ihre Programmatik integriert. Aber die sozialen Schieflagen in Deutschland selbst und in Europa wurden dadurch nicht kleiner.

Merkel selbst konnte von ihrer bisherigen Politik vor den Wahlen nicht abgehen. Sie wollte nach rechts und das heißt zur AfD nichts verlieren. Sie hat etwas verloren, aber die AfD hat es trotzdem nicht in den Bundestag geschafft. Und das schafft ihr die Möglichkeit flexibler zu werden. Jetzt liegt es an den Sozialdemokraten in Deutschland -ob sie sich für eine Regierungsbeteiligung oder für die Opposition entscheiden-  und an den Sozialdemokraten in ganz Europa den Druck auf Deutschland und seine Kanzlerin zu verstärken.

Leicht wird es sicher nicht sein, da sowohl in der CDU als vor allem auch in der CSU starke beharrende, konservative Kräfte vorhanden sind. Aber Merkel hat Kraft genug, um eine Politik der Stärkung Europas in der Wirtschafts- und der Außenpolitik zu erreichen.  Aber dazu müsste sie erst ihre europapolitische Vision definieren. Denn einerseits sich für ein starkes Europa auszusprechen und anderseits David Cameron in seinen Anti-EU Positionen zu unterstützen, zeugt nicht von einer kohärenten Haltung.

Wir müssen uns allerdings im Klaren sein, dass die zumindest ambivalente Haltung zu Europa nicht nur bei Merkel und der CDU/CSU zu Hause ist. Von  Großbritannien und Deutschland über die Niederlande und bis nach Schweden und Finnland zieht sich ein Skeptizismus durch, der alle politischen Kräfte – mehr oder weniger- erfasst. Dieser Skeptizismus im „Norden“ vereinigt sich groteskerweise mit der wachsenden Enttäuschung im „Süden“ und richtet sich mit unterschiedlicher Bewertung der Krise und der Austeritätspolitik gegen Europa. Die verschiedenen sozialen Schieflagen werden jedenfalls vor allem Europa angelastet.

Die Sozialdemokratie muss daher – auf nationaler und auf europäischer Ebene –  immer wieder die soziale Frage ansprechen. Dabei muss sie aber nicht nur die Ärmsten und die Arbeitslosen im Auge haben, sondern auch die Mittelklasse. Zumindest jenen Teil, der durch Stagnation oder Abstieg betroffen oder jedenfalls bedroht ist. Angst birgt immer die Gefahr, dass die Menschen nach rechts und ins nationalistische Lager abdriften.

Ohne die untere bis mittlere Mittelklasse anzusprechen, werden wir keine Mehrheiten erzielen können. Unsere Wirtschaftspolitik insbesondere unsere Steuerpolitik muss – bei aller Notwendigkeit der Umverteilung – auch die Interessen der Mittelklasse im Auge haben. Unsere Ziele der Fairness und Gerechtigkeit muss auch sie betreffen.

Die verschiedenen nationalen Wahlen haben jedenfalls gezeigt, dass es kein allgemein gültiges  Rezept für die nächsten EU Wahlen gibt. Neben nationalen Besonderheiten und dem Einfluss der sich zur Wahl stellenden Persönlichkeiten, bleibt die soziale Frage von großer Bedeutung. Sie ist auch das einigende Moment der demokratischen Mitte. Aber wie gesagt, die soziale Frage darf nicht zu eng gesehen werden. Und wir müssen immer auch ein Stück Hoffnung mitliefern, dass wir auch realistische Auswege aus der Krise anbieten können.