APULIEN – EINE EUROPÄISCHE KULTURLANDSCHAFT

Was kennzeichnet eigentlich eine europäische Kulturlandschaft und damit die europäische Identität. Der Begriff Identität wird ja oft sehr engstirnig und eindimensional gebraucht. Aber jede Identität setzt sich ja seinerseits aus mehreren Identitäten zusammen. Und jüngst stellte eine afrikanische Schriftstellerin und Geschichtenerzählerin fest, dass wer nur eine Geschichte eines bzw. über ein Land kennt, das Land nicht wirklich kennt.

Apulien – eine umkämpfte Region

Am Beispiel einer süditalienischen Region, Apuliens, die ich kürzlich mit FreundInnen besuchte, lässt sich exemplarisch das Vielfältige und zugleich Besondere an Europa aufzeigen. Gerade auch dieser, aber eben nicht nur dieser, Landstrich war über viele Jahrhunderte seitens verschiedener europäischer Mächte umkämpft. Aber auch außereuropäische Mächte, wie das Osmanische Reich, all die „Türken“ haben ihre Machtansprüche angemeldet. Und auch die Sarazenen aus Nordafrika spielten eine Rolle. Allerdings wurden sie auch von verschiedenen Mächten eingesetzt und so waren die, zum Teil kriegerischen Auseinandersetzungen, nicht einfach auf Christentum versus Islam zurückzuführen. Die Frontlinien verliefen viel differenzierter. Heute ist es viel ruhiger geworden in Europa, es gibt kaum Gebietsansprüche zwischen europäischen Staaten. Aber wie am Beispiel Kataloniens und heute geringer am Schottischen Beispiel gezeigt werden kann, gibt es Autonomie- und Abspaltungstendenzen in einzelnen Staaten.

Europäische Städte

Auch die Herausbildung von Städten als Zentren des Handels und/oder der Verwaltung ist typisch für europäische Kulturlandschaften. Sie stellen Knotenpunkte eines weit verzweigten Netzes von Produktion und Handel dar. Sie gewannen durch die regionale Globalisierung, verloren aber oft an Bedeutung durch weitergehende Internationalisierung und sicher auch durch technischen Fortschritt. So verlor die apulische Stadt Gallipoli, als Olivenöl nicht mehr als Brennstoff eingesetzt wurde. Aber die Olivenproduktion ist immer noch ein großes Standbein der apulischen Landwirtschaft. Vor allem durch die Produktion eines hochwertigen Öls, das aus früh geernteten Früchten gepresst wird, kann zwar weniger, aber ein hochpreisiges Produkt, auf den Markt gebracht werden.

Migration in Stadt und Land

Aber so wie in vielen ländlichen Regionen können die Früchte nicht nur durch die lokale Bevölkerung geerntet werden. Arbeitskräfte aus dem Ausland, in Apulien vor allem aus Albanien, müssen kommen, um im Ernteeinsatz zu helfen. Aber auch in Apulien gibt es, zusätzlich zur innereuropäischen Arbeitsmigration, Zuwanderung aus ferneren Ländern, vor allem auch aus Afrika. Auswanderung aus europäischen Regionen und Einwanderung in sie widersprechen sich nicht, vor allem, wenn sie zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden.

Wichtig ist vielmehr, dass die landwirtschaftlichen Charakteristika erhalten bleiben. Die Olivenbäume in all ihrer Vielfältigkeit sind nicht nur ein wichtiges wirtschaftliches Standbein und Symbol für diese Region. Sie können auch als ein Symbol für unsere europäische Vielfalt angesehen werden. Identität und Vielfalt widersprechen sich keineswegs.

Europäische Kultur

Was aber Europa auch auszeichnet ist ein bestimmtes Kulturverständnis. Die Pflege des kulturellen Erbes steht auch in Apulien hoch oben auf der Prioritätenliste. So werden schon allein dadurch die verschiedenen und zum Teil widersprüchlichen Wurzeln bewusst gemacht. Dabei geht es sicher auch um den Tourismus, wie man das bei der Erhaltung und Pflege der Trulli in der Umgebung von Alberobello sehen kann.

Die kulturelle Bedeutung der Städte soll aber im Süden Italiens auch die Verleihung des Titels Kulturhauptstadt an Matera geschehen. Matera gehörte einst zu Apulien ist aber heute die Hauptstadt der Provinz Basilicata. Man kann nur wünschen, dass es dieser Stadt gelingt, einen großen Beitrag zur Erhaltung, Renovierung und Weiterentwicklung traditioneller Städte in Europa zu leisten.

Wir sollten uns von allem Eurozentrismus fernhalten. Zu Überheblichkeit besteht kein Anlass. Die kolonialen Verbrechen – oft mit christlichem Segen – zeugen von brutalem europäischen Vorgehen. Aber wir können auch(!) stolz sein auf viele europäische Errungenschaften in der Entwicklung unserer ländlichen und städtischen Regionen. Apulien ist nur ein Beispiel unter vielen. Diese Regionen sollten und können nicht im Status quo festgeschrieben werden. Aber die Fortentwicklung sollte mit Bedacht und Sorgfalt geschehen. Kultur und Natur, Tradition und Fortschritt könnten in unseren europäischen Regionen zum Erhalt unserer Heimat beitragen und auch anderen Regionen Anregungen geben.