Athen und Kairo

In der „sitzungsfreien Woche“ Ende Oktober/ Anfang November besuchte ich zwei Länder, die bei aller Unterschiedlichkeit doch zwei Dinge gemeinsam haben: eine ungemein schwierige finanzielle Situation und tiefe gesellschaftliche Umwälzungen.

Für beide Phänomene kann heute noch kein zukünftiges Ergebnis vorausgesagt werden. Sowohl Griechenland als auch Ägypten stehen vor schwierigen Entwicklungen. Und sowohl dem EU- und Euro-Mitglied Griechenland als auch unserem südlichen Nachbarn Ägypten sollten wir im eigenen Interesse helfen.

In Griechenland

Wenige Tage nach dem 100. Jahrestags der „Eroberung“ Salonikis durch die Griechen kam ich in die nordgriechische Stadt zu einem kurzen Besuch. Einerseits wollte ich den unkonventionellen Bürgermeister der Stadt, Jannis Boutaris, von dem ich schon viel gehört hatte, kennen lernen. Boutaris war Winzer und ist erst seit kurzem in der Politik. Ihm geht es einerseits um die Multikultarität dieser Stadt. Anderseits möchte er die aktuellen Probleme der Stadt vor allem bei der Müllentsorgung und in anderen Umweltfragen lösen. Dabei monierte er so wie später sein Athener Kollege den ausgeprägten Zentralismus Griechenlands und damit die mangelnden kommunalen Kompetenzen. Auf meine Frage nach den Verwaltungsstrukturen meinte der mit der Verwaltungsreform beauftragte Mitarbeiter, das erste Ziel sei es, die Verwaltung an den Bedürfnissen der BürgerInnen zu orientieren und die MitarbeiterInnen zu motivieren, in diesem Sinn zu arbeiten.

Im Anschluss an das Bürgermeistergespräch hatte ich VertreterInnen mehrerer Menschenrechtsorginastionen eingeladen. Bei dieser Diskussion ging es vor allem um die Lage der Flüchtlinge und MigrantInnen. Nicht unweit von Saloniki befindet sich ja die türkisch-griechische Grenze, also eine Außengrenze der Schengen Zone, die nicht leicht zu kontrollieren ist. Inzwischen ist diese Grenze aber nicht mehr so durchlässig und die illegale Migration bewegt sich in Richtung der verschiedenen Inseln und ist damit noch weniger kontrollierbar. Die Verlagerung der Flüchtlingsströme hat aber die Probleme der MigrantInnen in Griechenland unberührt gelassen. Bisher hat es das Land nicht geschafft, den Umgang mit der Migration rechtsstaatlich und humanitär zu bewältigen. Nun, angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen Probleme ist das kein Wunder. Aber auch hier zeigt sich die wahre Problematik Griechenlands: die mangelnde Effizienz politischer Entscheidungsstrukturen und die ausgebliebene Modernisierung der Verwaltung.

Noch am selben Abend traf ich den Bürgermeister von Athen. Er, der früher griechischer Ombudsmann war, ist genauso wie sein Kollege aus Thessaloniki ein Newcomer in der griechischen Politik. Aber auch er versucht, die Verwaltung oft auch mit unkonventionellen Mitteln zu modernisieren und kümmert sich vor allem um die sozial Schwächsten, so zum Beispiel durch regelmäßige Ausspeisungen. Allerdings im Unterschied zur rechtsextremen „Golden Dawn“-Bewegung an alle und nicht nur an echte „Griechen“!

Die beiden Bürgermeister symbolisieren für mich das Beste, was die griechische Politik heute anzubieten hat. Ich wünschte mir, es gäbe mehr von ihnen in Spitzenpositionen. Der nächste Tag galt Besuchen bei den Vorsitzenden bzw. deren StellvertreterInnen der linken Parteien. Zwei dieser Parteien sind an der Regierung beteiligt, eine, die Sammlungsbewegung SYRIZA , steht in Opposition zur Regierung. An diesem Tag begann auch eine heftige Diskussion über Annahme oder Ablehnung der Troika-Vorschläge zu weiteren „Reformen“ und Sparmaßnahmen, auf die sich die Regierung in Prinzip geeinigt hat. Viele dieser Vorschläge halte ich sowie die vergangenen für äußerst problematisch und als Präjudiz gefährlich. Das trifft auch auf die Arbeitsmarktreformen zu, die die Troika einforderte.

Finanzminister Stournaras, den ich auch diesmal wieder besuchte, meinte als Argument für die Annahmen des Troika-Pakets, dass die Troika ohnedies einige Forderungen fallen gelassen hat. Für sie oppositionelle SYRIZA, aber auch für die Linksdemokraten unter Vorsitz von Kouvelis war das kein überzeugendes Argument. Und PASOK unter Vorsitz von Evangelos Venezelos wollte nicht als einzige Linkspartei die Verantwortung tragen. Ich konnte und wollte mich nicht in die Entscheidung der griechischen Parlamentarier einmischen. Allerdings wurde ich in vielen Interviews um meine Meinung gefragt. Ich machte aus meiner Kritik an den Troika-Verschlägen keinen Hehl. Ich forderte auch von der Troika eine verstärkte Flexibilität. Gleichzeitig verwies ich aber auf die Notlage angesichts der schwierigen finanziellen Situation Griechenlands. Und wenn sich die Lage verbessern sollte, könnte man ja auch manche unsoziale Maßnahmen wieder rückgängig machen.

Leider haben die griechischen PolitikerInnen auch nach dem Ausbruch der Krise kein überzeugendes Konzept zu einem alternativen Ausweg aus der Krise entwickelt. Das betrifft die Privatisierungen, die nun in einem Paket beschlossen und abgestimmte werden sollen. Aber auch die mangelnde Verfolgung von Steuerhinterziehern. Gerade dieser Tage wurde eine Liste möglicher Steuerflüchtlinge veröffentlicht, die schon vor zwei Jahren von IWF-Chefin Lagarde den griechischen Behörden übergeben wurde. Geschehen ist leider bisher nichts. Wenig ermutigt verließ ich Griechenland Richtung Kairo – mit Zwischenlandung in Istanbul. Meine emotionale Beziehung zu diesem Land und seiner Bevölkerung bleibt so fest wie zuvor. Und mit den Bürgermeistern von Thessaloniki und Athen hatte ich zwei Politiker getroffen, die Griechenland bitter nötig hat. Und sicher gibt es mehr davon. Hoffentlich steigt ihr Einfluss bereits in der nahen Zukunft.

In Ägypten

Wie schon erwähnt, obwohl man Ägypten nicht mit Griechenland vergleichen kann, so fallen manche Parallelität auf. Das geht von der Wirtschaftskrise und den hohen Schulden bis zur Notwendigkeit, den Tourismus anzukurbeln, nicht zuletzt durch eine deutliche Qualitätssteigerung. Und dann gibt es noch die politischen und gesellschaftlichen Unsicherheiten in beiden Ländern. Und so beschäftigte ich mich auch in Kairo mit den beiden Themenbereichen.

Den Anfang machte eine Diskussionsrunde mit Vertretern mehrerer Menschenrechtsorganistaionen. Dabei spielte die Frage nach den Rechten der Frauen und der Kinder eine besondere Rolle. Derzeit findet ja im der Rahmen der Verfassungsgebenden Versammlung eine intensive Diskussion über das Verhältnis Charia und Verfassung bzw. überhaupt dem Recht statt. Die Gleichberechtigung sollte nähmlich nach dem Willen der Muslimbrüder und erst Recht der fundamentalistischen Salafisten dort ihre Grenze haben, wo die Charia beginnt. Aber die Charia, also das islamische Recht, ist nicht genau definiert. Und so sieht der Verfassungsentwurf vor, dass jeweils die oberste islamisch-sunnitischen Autorität an der Al Azhar Universität eine jeweils verbindliche Interpretation erstellt. Dieser Vorschlag ist einer der wesentlichen Streitpunkte im Rahmen der Verfassungsdiskussion. Einige politische Kräfte, so auch die Sozialdemokraten, haben angesichts der Überzahl religiöser Kräfte von Vorhinein die Miatarbeit an der Verfassungsgebenden Versammlung verweigert.

Andere, so auch der langjährige Widersacher von Präsident Mubarak (dafür war auch lange Zeit im Gefängnis) und Präsidentschaftskandidat Ayman Nour, die drohen, die Versammlung zu verlassen, wenn es diesbezüglich nicht zu einem akzeptablen Kompromiss kommen sollte. Es geht dabei um unterschiedliche Auffassungen im Rahmen des Islam und um eine mehr religiöse oder mehr säkulare Auffassung von der Rolle des Rechts. Der Generalsekretär der Verfassungsgebenden Versammlung, Amr Darrag, ein Vertreter der Partei der Freiheit und der Gerechtigkeit, also der Partei der Muslimbrüder, vertrat die Auffassung, die Verfassung müsse die religiösen Grundsätze und Traditionen wahren und respektieren. Und da haben manche eine sehr weitgehende Interpretation, vor allem der ländlichen Traditionen. Andere wieder meinen, die Verfassung muss Recht setzen und damit auch gesellschaftliche Verhältnisse gestalten und verändern.

Das ist eine Debatte, die ich in mehreren islamischen Ländern, insbesondere bei meinen Besuchen in Marokko und Tunesien erlebt habe. Ich hoffe, dass auch die zukünftige Ägyptische Verfassung auf neues humanes Recht setzt und vor allem den Frauen mehr gesellschaftlichen Spielraum und den Kindern mehr eigene Rechte gibt.

Ursprünglich waren in meinem Besuchsprogramm keine Begegnungen mit Regierungsmitgliedern vorgesehen. Am Morgen des zweiten Tages allerdings wurde ich zu Gesprächen sowohl zum Außenminister als auch zum Premierminister eingeladen. Letzterer erklärte die schwierige finanzielle Lage des Landes und schilderte die notwenkdigen Reformen, vor allem den Abbau von Subventionen und die Reformen der Verwaltung. Wieder wurde ich an Griechenland erinnert. Ich kenne den griechischen Premier Samaras nicht, aber ich hoffe, er ist so entschlossen zu den Reformen wie der ägyptische Premierminister. Wobei ich zuwenig den Inhalt der einzelnen Reformschritte beurteilen kann. Viele kritisieren die Politik der Regierung und der Muslimbrüder generell als zu neoliberal. Der Premierminister ist zwar kein Mitglied der Muslimbrüder oder ihrer Partei, aber als sehr religiös bekannt. Und so schnitt auch er, wie schon andere vor ihm, die verschiedenen Fälle von Beleidigungen des Propheten Mohammed durch Karikaturen oder Filme an. Ich selbst halte diese Provokationen für dumm und einem friedlichen Zusammenleben in Europa und darüber hinaus für schädlich. Allerdings verwies ich auf die Meinungsfreiheit und meinte, je weniger und je zurückhaltender die Muslime reagieren, desto weniger werden diese Provokationen ihr Ziel erreichen.

Von besonderem Interesse waren die Gespräche mit Vertretern der linken Kräfte. Einerseits mit Vertretern der Sozialdemokratischen Partei und anderseits mit einem weiteren Präsidentschaftskandidaten Hamedin Sabahy. Ich konnte deren Absicht, sich angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen zumindest zu einer Allianz zusammenzuschließen, nur unterstützen. Die Muslimbrüder sind stark und gut organisiert, und das gilt auch für die Salafisten. Daher müssen sich die anderen Kräfte ebenfalls besser oragnisieren. Das gilt sowohl für die bürgerlichen Parteien und natürlich auch für die sozialdemokratischen Kräfte. Und gerade diese müssen die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Das tun zwar andere auch. Aber die islamistischen Kräfte haben eine nicht zuletzt politisch motivierte karitative Hilfe im Sinn. Sozialdemokraten müssen einen Rechtsanspruch an sozialen Leistungen definieren und vertreten. Am Abend des zweiten Tages in Kairo kam es dann noch zu interessanten Gesprächen über die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nach der Revolution. Sowohl der ORF-Korrespondent Karim El Gawhhary als auch Awar El Sadat, ein Neffe des früheren Staatspräsidenten und Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung, waren recht optimistisch hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung. Sie unterstrichen, wie wichtig es ist, dass das Militär in die Kasernen zurückgekehrt ist. Besonders beeindruckend war Shahinda Maklad. Sie kämpfte schon in den 50er Jahren für die Rechte der Landbevölkerung. Auf meine Frage, wann ihr Kampf am schwierigsten war, meinte sie sofort: unter Präsident Sadat. Dieser hat sie wegen ihres Kampfes lange Zeit eingesperrt. Der Neffe dieses Präsidenten und die ehemalige Gefangene saßen jetzt an einem Tisch und unterhielten sich mit uns über die Zukunft ihres Landes. Hoffentlich ist das ein gutes Zeichen für die Zukunft.