Eine bittere Realität

L1000307Mitte Februar reiste ich im Rahmen einer Roma Factfinding mission unserer Fraktion nach Rumänien. Der Tag in Bukarest begann „harmlos“. Wie üblich fand zunächst eine Diskussion mit VertreterInnen von Organisationen, die sich mit Romafragen beschäftigen, im Parlamentsgebäude statt. Das ist jenes von Nicolae Ceausescu in seinem Größenwahn errichtete monströse Gebäude inmitten der Hauptstadt, das nicht nur das Parlament beherbergt, sondern in dem auch viele Konferenzen und Tagungen stattfinden. Wir konnten uns schnell auf die wesentlichen Forderungen einigen.

Für die und mit den Roma

Einerseits sollte die Romapolitik nicht nur für, sondern mit dem Roma gemacht werden. Vielfach kann nur ein Rom selbst, der auch deren Sprache beherrscht, den Roma gegenüber Vertrauen erwecken und Einfluss ausüben. Das wird oft übersehen. Zweitens sind vor allem die Regionen und die Gemeinden einzubinden bzw. sind deren Projekte zu unterstützen. Die EU und die nationalen Regierungen müssen die Integrationsprojekte unterstützen, handeln muss aber vor allem die lokale Ebene.
Entscheiden ist aber vor allem die Integration der Romapolitik in die allgemeine Politik der Bekämpfung von Armut und sozialer Benachteiligung. Es gibt außerdem romaspezifische Diskriminierungen. Der Großteil der Roma gehört zu den ärmsten Schichten der Gesellschaft. Sie sind arm, schlecht ausgebildet, haben keinen oder nur prekäre Jobs, schlechte Wohnbedingungen und einen schlechten Gesundheitszustand – und alle diese Mängel bedingen einander und verstärken sich gegenseitig.

Handlungsbedarf für die EU

Der EU darf dies aus vielen Gründen nicht egal sein. Erstens aus sozialen Gründen und dem klaren Ziel der Armutsbekämpfung. Und zweitens, weil die Armut und die mangelnde Lebensperspektive im Heimatland einen Auswanderungsdruck bewirkt. Die Erfahrung zeigt, dass der Migrationsdruck und insbesondere die Migration der Armen in den Einwanderungsländern zu Konflikten führen. Konflikte, die die extreme Rechte erzeugt oder jedenfalls schürt. Und wie wir angesichts der Ausweisung der Roma aus Frankreich gesehen haben, handelt auch ein Teil der rechten Mitte wie Sarkozy und seine Regierung nach diesem Muster.
Für die EU besteht also Handlungsbedarf und sie muss dringend den Einsatz ihrer finanziellen Mittel optimieren. Wir brauchen klare Kriterien der Erfolgs- bzw. Misserfolgsmessung. Wir benötigen die direkte Unterstützung der lokalen Behörden. Und die Förderungen der EU müssen eine umfassende Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma und der anderen armen Bevölkerungsschichten ermöglichen. Vor allem aber müssen die Aktivitäten der nationalen, der regionalen und lokalen Behörden einem eingehenden „Monitoring“ unterzogen werden. Und notfalls muss die Untätigkeit mancher Regierung oder anderer Stellen öffentlich benannt und an den Pranger gestellt werden.
Diese Ansätze diskutierten wir sowohl mit den MedienvertreterInnen als auch mit dem nationalen Beauftragten für die Integration der Roma, der selbst ein Rom ist. Zu hoffen ist, dass er in Zukunft mehr Unterstützung seitens der Regierung bekommt, die nun ein eigenes Koordinierungsgremium geschaffen hat. Aber wie schon mehrmals betont, ohne Einschaltung der lokalen Ebene wird man keine Fortschritte erzielen.

Im 5. Bezirk

Am spannendsten war der Besuch bei der lokalen Ebene, nämlich im 5. Bukarester Stadtbezirk. Insgesamt hat die rumänische Hauptstadt mit ca. drei Millionen tatsächlichen EinwohnerInnen nur sechs Stadtbezirke und der fünfte umfasst Teile das Zentrums, so auch das monströse Parlamentsgebäude, zugleich aber auch die wahrscheinlich ärmsten Viertel der Stadt, in denen auch viele Roma leben. Zuerst besuchten wir eine vom lokalen Bürgermeister geförderte Schule, in der ein engagierter Vertreter der Roma, den ich seit vielen Jahren kenne, wichtige und erfolgreiche Integrationsarbeit leistet. Er holte die Kinder von der Straße, und gemeinsam mit seiner Frau und anderen HelferInnen unterrichten sie die Kinder und organisieren viele Sportevents. Und dazu laden sie auch prominente Sportler ein.
Am erstaunlichsten und auch am erfreulichsten war zu sehen, wie er, aber auch der Bezirksbürgermeister, von den Kindern aufgenommen und geherzt wurden. Als die Kinder den Bürgermeister kommen sahen, leuchteten ihre Augen auf und sie drängten sich, ihm die Hand zu geben und ihn zu begrüßen. Und genauso vertraulich und zutraulich gingen sie mit dem Leiter des Schulprojekts um. Dann ging’s allerdings zurück auf die Straße, wo schon einige ältere Menschen warteten, um einerseits dem Bürgermeister zu applaudieren und anderseits ihre Probleme zu klagen. Am meisten beschwerten sie sich über die streunenden Hunde, ein altes Problem der rumänischen Hauptstadt.

Die Ärmsten der Armen

Dann allerdings kam der „Höhepunkt“ unseres Besuches. Wir besuchten eigne der Wohnblocks, in denen die Ärmsten der Armen wohnen. Am Eingang zu den Wohnblocks begrüßte der Bürgermeister einige streng blickende Männer, die lokalen „Chefs“, denen er auch einige informelle Aufhaben der Kontrolle und der „Disziplinierung“ übertrug. Sie sind seine Stützen vor Ort und ich möchte nicht wirklich wissen wie sie ihre „Aufgaben“ wahrnehmen.
Was wir allerdings dann zu sehen bekamen, war entsetzlich. Schmutz, Gestank, extrem kleine „Wohnungen“ – es ist schrecklich, wie die Menschen hier hausen müssen. Wenn Kinder aus solchen Quartieren ohne Heizung, ohne Strom – der wegen Stromdiebstahls öfters abgeschaltet wird – und ohne wirkliche Waschgelegenheit in die Schule kommen, dann darf man sich nicht wundern, wenn die anderen Kinder sagen: „Geh weg, Du stinkst“. Wir alle waren ob der tristen Situation, die sicherlich noch durch das trübe Wetter verstärkt wurde, geschockt. Auch die rumänischen Abgeordneten, die zum ersten Mal hier waren. Hier war nichts vom bunten, „folkloristischen Zigeunerleben“ zu bemerken, hier herrschte der graue, triste Alltag der Ärmsten der Armen.

Den Kampf unterstützen

Das einzige, was die Trostlosigkeit unterbrach, war der freudige und herzliche Empfang, den die BewohnerInnen (Roma und Nicht-Roma) des Ghetto Livezilor/Ferentari dem Bezirksbürgermeister bereiteten. Und der schien weder vorgetäuscht noch erkauft. In ihn haben sie Vertrauen, aber wie auch BezirksvorsteherInnen bei uns sind die Kompetenzen und Möglichkeiten begrenzt. Der hiesige Bürgermeister scheint sie jedenfalls trotzdem voll auszunützen und zwar für gute Zwecke. Jetzt arbeite ich daran, dass er, aber auch andere Bürgermeister, die sich für die Sache der Armen und vor allem der Roma unter ihnen einsetzen, auch Unterstützung bekommen, nicht zuletzt durch die EU.

Bukarest, 19.2.2011