Madrid und Barcelona zwei Weltstädte im selben Land?

Meine kurzen Besuche in diesen beiden spanischen (?) Städten hatten unterschiedliche Gründe. Barcelona war – für einen Tag – das Ziel einer Erkundigung der Motive und Hintergründe für die Seperatistenbewegung bzw. der Souveränitätsbemühungen, die ein Los von Spanien zum Ziel haben. In Madrid ging es im Rahmen einer Studienreise des Architekturzentrums Wien (AZW) um Architektur, Wohnbau und Städtebau. Dabei war der wirtschaftliche und soziale Hintergrund immer auch Gegenstand der Präsentationen und Diskussionen. Natürlich hatte ich auch in Barcelona immer ein städtebauliches Auge offen, noch dazu wo Barcelona in vielen Bereichen ein Vorbild war, als ich als Wiener Planungsstadtrat Wien auf eine Weltausstellung vorbereitete, die dann allerdings nie stattfand.

Wachstum, Flucht und Zuwanderung sowie Tourismus

Beide Städte haben in der Vergangenheit nach Einbrüchen ein Bevölkerungswachstum erlebt, das sich auch in einem Städtewachstum niederschlug. Barcelona hat sich im Zuge seiner Vorbereitung auf und der Durchführung der Olympiade massiv verändert, dabei aber auch für die Bevölkerung neue und großzügige Freiräume geschaffen. Madrid hatte mit seinen Olympiabewerbungen kein Glück, hat aber etliche neue Siedlungsgebiete ausgewiesen und zum Teil auch entwickelt. Beide Städte erlebten Zuwanderung auch von außerhalb Spaniens, aber die massive wirtschaftliche Krise hat diese Zuwanderung stark zurückgehen lassen. Viele Spanier haben sogar das Land in ehemalige Zuwandererländer verlassen. Die auf beiden Rathäusern angebrachte Aufschrift “ refugees welcome“ wirkt daher etwas eigenartig, um nicht zu sagen, zynisch. Denn aus den heutigen Flucht – und Auswandererländern kommen kaum Leute. Aber es gibt eine andere Art der „temporären“ Zuwanderung, nämlich den Tourismus, der manche zentrale Stadtviertel mit engen Straßenzügen über die Maßen füllt. Und das Erleben der Städte mit ihren Charakteristika macht diese temporäre Zuwanderung noch schwerer als das Zuwandern von Flüchtlingen.

Insgesamt allerdings gibt es einige sehr beispielhafte Integrationsprojekte, einerseits durch öffentliche kulturelle und Bildungs-Investitionen sowie auch durch sozialen Wohnbau zum Beispiel für Roma, die einen eigenen Wohnbau bezogen haben, der aber an einen generellen sozialen Wohnbau anschließt. So hat man versucht, ihren unmittelbaren Zusammenschluss zu bewahren, sie aber nicht zu isolieren. Und die Kinder gehen in dieselben Schulen, die Geschäfte sind ihnen gemeinsam etc.

Es scheint gelungenen zu sein. Aber nicht nur hinsichtlich Roma gibt es gezielte städtebauliche Interventionen. Madrid hat einiges getan, um durch Dezentralisierung von Theatern und Bibliotheken ärmere und vom Absteigen bedrohte Stadtviertel aufzumischen.

Spekulationen und das Platzen der Blase

Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Spekulationsprojekten, die in Madrid auch mit den kommerziellen Interessen von Real Madrid bzw. deren Hauptproponenten zusammen hängen dürften. Aber insgesamt hat am Wohnungsmarkt die Krise immens zugeschlagen. So hat Spanien und insbesondere Madrid ein Überangebot von Wohnungen die in den Boomzeiten vor der Krise entstanden sind. Die nicht zuletzt durch den EU- und dann den Euro-Beitritt entstandene Kreditverbilligung wurde vor allem dazu verwendet, Grundstücke und Wohnungen aufzukaufen und zu entwickeln. Die Banken waren eifrig tätig ihr „billiges“ Geld loszuwerden und haben den Kunden hohe Gewinne versprochen.

Aber irgendwann musste die Blase platzen und der „wahre“ Wert der Immobilien kam zum Vorschein und viele Eigentümer konnten ihre Schulden, die sie ja im Hinblick auf hohe Wertsteigerungen eingegangen sind, nicht zurückzahlen. Und da der Staat dann einspringen musste – oder jedenfalls – eingesprungen ist, um die Banken zu retten, stieg die geringe(!) Staatsschuld Spaniens plötzlich enorm an. Aber die vielen, ehemals überwerteten, Grundstücke und Wohnungen gibt es noch immer und sie machen manches Stadtentwicklungsgebiet nicht gerade zu einem Schmuckstück. Gestoppte Bauten und verschlossene Erdgeschosszonen sind Zeugen einer plötzlich unterbrochenen Wirtschafts- und Stadtentwicklung.

Hoch hinaus

Aber natürlich gibt es auch die modernen Wahrzeichen, einige Hochhäuser, von Stararchitekten entworfen – in Barcelona und in Madrid. Dabei hat Madrid in Richtung neuer bzw. erneuerter und ergänzter Bauten übertroffen. Aber nicht nur Hochhäuser sind solche Zeichen, die Banken wie die BVBA haben sich auch andere architektonisch ansprechend Hauptquartiere geschaffen – zum Teil entfernt vom Zentrum aber auch mit der Metro gut angebunden.

Niemand kann heute mit einiger Sicherheit sagen, wie und wann die extrem hohe Arbeitslosigkeit drastisch reduziert werden kann und damit auch Städte wie Madrid und Barcelona wieder einen neuen Entwicklungspuls bekommen können. Viel hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung in Spanien selbst, vor allem aber auch in Europa und global ab. Und es wäre vernünftig, nicht immer in extreme und zum Teil spekulative Zyklen zu verfallen. Das ist auch die Gefahr bei der jetzigen – durchaus verständlichen – expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Solange auf Grund eines ökonomisch nicht zu vertretenden Austerity-Kurses die öffentliche Hand und in der Folge auch viele Private kaum Realinvestitionen tätigen, wird das Geld immer wieder versucht sein, in die Finanzierung von Immobilien zu fließen. Noch gäbe es genügend Möglichkeiten für sinnvolle Investitionen von Breitbandverbindung bis zu Ausbildungsplätze für Weiterqualifizierung. Parallel dazu kann man nachdenken, wie man die Arbeit gerechter verteilt, nicht zuletzt durch eine differenzierte Arbeitszeitverkürzung.

Der derzeitige Zustand von erzwungener Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsplätzen für die einen und permanente Arbeitsbereitschaft bis zum Rande des Burnout für die anderen, ist nicht sehr befriedigend. Die Spaltung der Gesellschaft zeigt sich vor allem im städtischen Gebiet: in den noblen Einkaufsstraßen und manchen Hochhauszonen einerseits und den Quartieren, wo Arbeitslosigkeit, Armutszuwanderung und Alkoholismus herrscht, anderseits. Solche Spaltungen sollten wir nicht akzeptieren, sie zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhang in den städtischen Strukturen. Aber sowohl die soziale als auch die räumliche Kohäsion, die nicht Uniformität und Gleichschaltung verlangt aber eine mir einander verträgliche Differenzierung, sind für die Demokratie notwendig.

Barcelona gegen Madrid?

Aber in Spanien ist auch der nationale Zusammenhang gefährdet. Die beiden größten Städte symbolisieren dieses Auseinanderklaffen. Madrid steht trotz mancher Dezentralisierung für den unsensiblen starken zentralen Staat. Barcelona steht für die katalanische „Los von Spanien“ Bewegung. Viele Katalanen fühlen sich von Madrid nicht verstanden und ökonomisch übervorteilt. Die Verweigerung der Regierung in Madrid zu einem ernsthaften Dialog mit der katalanischen Regionalregierung über ein neues Verhältnis zwischen Barcelona und Madrid hat viele Menschen noch mehr in Richtung Separatismus getrieben. Und wenn die meist einsprachigen, oft nur Kastilisch sprechenden Madrider den Katalanen mitteilen, sie sollen lieber Englisch als Katalanisch lernen, antworten diese: es ist eigenartig, dass die mono-lingualen Spanier den bi-lingualen Katalanen empfehlen tri-lingual zu werden.

Wie im Falle Schottland gibt es wahrscheinlich keine eindeutige Mehrheit für einen eigenen katalanischen Staat, aber manche meinen, die Sturheit der Zentralisten in Madrid könnte es dazu bringen. Europa sollte jedenfalls diese Bewegungen in Katalonien und in Schottland ernst nehmen. Sie sind keine weltfremden Extremisten. Für sie sind die Schritte zur Unabhängigkeit, Schritte im Richtung Demokratie. Zu klären ist jedenfalls wie solche Schritte, sollten sie gegangen werden, mit einem gemeinsamen Europa vereinbar sind. Aber dazu später in einem eigenen Beitrag. Leicht wird das nicht sein. Schon die Brexit Vorgespräche zeigen, dass Trennungen, die ja keine totalen sein sollen sondern viele Verbindungen aufrecht halten sollen, viel Geduld und Fantasie erfordern.