Naher Osten: Was tun gegen die zunehmende Gewalt?

Die Ermordung des iranischen Generals Soleimani durch die USA und die iranischen bzw. irakischen Reaktionen zeigen erneut, wie fragil der Nahe Osten ist. Die jüngsten Ereignisse machen aber auch deutlich, wie einzelne Länder aus der Region aber auch von außerhalb der Region sich ermächtigt fühlen, ihre Machtposition auf Kosten fremder Länder und deren Bevölkerung auszubauen. Was tat General Soleimani in Bagdad, was in Syrien? Was hat der Iran generell in diesen Ländern sowie im Libanon vor? Was bezweckt die libanesische Hisbollah in Syrien? Warum ist Russland in Syrien aktiv und zuletzt auch in Libyen? Was machen die Amerikaner mit ihrer starken Militärpräsenz in der gesamten Region? Was machen Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate im Jemen? Und die Türkei, warum hat sie jüngst mit der offiziell anerkannten Regierung von Libyen ein Militärabkommen angeschlossen und sendet Truppen nach Libyen?

Mordanschlag statt Friedensstrategie

All diese Interventionen schaffen nicht mehr Stabilität, sondern tragen zur Instabilität und Fragilität der gesamten Region bei? Dabei rechtfertigen die einzelnen Staaten ihre Aktivitäten mit der Verteidigung und Hilfestellung für gefährdete Regierungen und Bevölkerungsgruppen. Betrachtet man aber die Interventionen näher und ohne Parteilichkeit, so werden die Machtinteressen klar. Interveniert wird nicht um Frieden zu schließen, um Massenvernichtungswaffen zu vernichten und um die Demokratie zu fördern. Eindeutig stehen machtpolitische Interessen im Vordergrund.

Sicher kann vor allem der Iran Argumente für seine Interventionen vorbringen. Iran ist schiitisch und nicht arabisch und wird von den arabischen, meist sunnitischen Ländern mit Misstrauen bedacht, vor allem nach der Revolution 1979. Als Minderheit wehrt es sich gegen den Druck der Mehrheit. Im Konkreten befürchtete es durch den Sturz des Assad Regimes weiter geschwächt zu werden. Aber unabhängig davon versucht es seine Macht und seinen Einfluss auszudehnen – vor allem im Irak. Und bei der Verteidigung seiner Interessen geht es auch – im wahrsten Sinn des Wortes – über Leichen.

Dieses Vorgehen, für das der Name des iranischen Generals Soleimani prototypisch steht, war Anlass für Präsident Trump den Tötungsbefehl zu erteilen. Trump und sein Außenminister Pompeo begründeten den Mord an Soleimani mit einer hohen Anzahl an Amerikanern, für deren Tod – vor allem im Irak – der iranische General verantwortlich gemacht wird. Sie erwähnten aber nicht die vielen Menschen im Irak, die durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch des US-Militärs umgekommen sind.

Abgesehen von der moralischen Frage der Tötung des iranischen Generals, der durch den gewaltsamen Tod erst recht zum nationalen Held erklärt wurde, erkennen auch die den USA wohlgesinnten Kommentatoren keine überzeugende Strategie der gegenwärtigen US Administration. So titelte die Financial Times unmittelbar nach dem Attentat: „Assassination is not a foreign policy“. Schon der einseitigen Kündigung des Atomabkommens JCPOA mit dem Iran lag keine alternative Zielvorstellung zu Grunde. Auch jetzt wieder vermisst man eine Strategie, wie Stabilität und Frieden in den Nahen Osten gebracht werden könnte. Aber vielleicht ist das gar nicht das Ziel der USA unter Trump. Allerdings sollte das das Ziel der Europäischen Union sein. Es handelt sich ja um eine Nachbarregion zu Europa.

Und Europa?

Was nun Europa angeht, so kann man sicher jenen zustimmen, die in der Trumpschen Aktion einen weiteren Schritt der Scheidung zwischen den USA und der EU sehen, jedenfalls was den Nahen Osten betrifft. Die USA lassen Europa allein bezüglich der Israel/Palästina Frage. Den Einmarsch in den Irak haben zwar ursprünglich einige europäische Regierungen mitgemacht – aber inzwischen haben dies viele bereut. Das einseitige Aussteigen aus dem Nuklear Abkommen war ein weiterer Schritt und nun der Befehl zur Tötung von Soleimani im Alleingang. Europa ist sicher in einer schwierigen Lage und einer schwachen Position. Es hat keine großen Truppenkontingente in der Region und auch nicht die Absicht in regionale kriegerische Auseinandersetzungen einzusteigen.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass gerade zwei israelische Experten, Ariel E. Levite und Shimon Stein, dieser Tage davon sprechen, dass es “auch Europas Sache“ ist, sich um Frieden im Nahen Osten zu bemühen. (Die Zeit, 9.1. 2020) Sie verlangen ein Engagement von höchster politischer Ebene um „im Iran und den USA Wirkung zu erzeugen, in China und Russland Zustimmung zu erlangen sowie den Bedenken in Israel, Saudi Arabien und den anderen Golfstaaten zu begegnen.“ Einerseits müsste Europa dem Iran wirtschaftlich helfen, anderseits die Einhaltung des JCPOA einfordern. Aber der Iran müsste auch die militärischen Aktivitäten jenseits der eigenen Grenzen stoppen. Im Gegenzug müsste aber ein regionales Sicherheitssystem aufgebaut werden, mit internationalen Garantien. Auch was die Entwicklung von Raketen mit größerer Reichweite betrifft, müsste Iran Beschränkungen akzeptieren.

Die Autoren dieses Vorschlags für eine europäische Friedensinitiative meinen am Schluss ihres Beitrags: “Für Europa ist eine entschiedene, aktive Iran-Politik sowohl eine dringende Notwendigkeit als auch eine Chance, seinen diplomatischen Scharfsinn wieder zur Geltung zu bringen und zu zeigen, was es auf der Weltbühne im Interesse der Sicherheit zu leisten vermag.“

Aber viele der für den Iran vorgesehenen Beschränkungen und Auflagen müssten für alle Länder und Regierungen dieser Region gelten. So sollte man auch mit Ernsthaftigkeit Gespräche über die Schaffung einer Zone ohne Massenvernichtungswaffen führen. Auf die Dauer kann es keinen Frieden geben, wenn nicht alle Atomwaffen aus der Region verbannt werden. Aber das muss Hand in Hand mit der gesicherten Bereitschaft aller zu Frieden und Zusammenarbeit gehen. Auch wenn das aus heutiger Sicht illusionär und utopisch erscheint, müsste die Entwicklung in diese Richtung gehen – vorausgesetzt man möchte dauerhaften Frieden.

Manche ExpertInnen sprechen auch davon, den 1648 nach dem 30jährigen Krieg geschlossenen Westfälischen Frieden als Beispiel für eine Friedensordnung im Nahen Osten heranzuziehen. Aber auch das setzt voraus, dass die einzelnen Regierungen es in Zukunft unterlassen sich in die Angelegenheiten der anderen Länder einzumischen und vor allem auf militärische Aggressionen verzichten. Dem Friedensschluss ist ein schwieriger Verhandlungsprozess vorausgegangen. Entscheidend aber war, dass nicht nur die Interessen von Staaten und Religionen berücksichtigt wurden, sondern auch bestimmte Grundrechte der Bevölkerung.

Protest und Widerstand

Und noch mehr als in den Zeiten dieses europäischen Friedensschlusses setzt heute der äußere Frieden den inneren Frieden voraus. Gerade in letzter Zeit, in den Wochen bevor die USA ihre Drohne los schickten, um Soleimani und seinen irakischen Stellvertreter zu töten, demonstrierten im Iran, im Irak und im Libanon viele Menschen gegen die Vernachlässigung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der eigenen BürgerInnen. All diese Protestbewegungen sind durch das primitive Losschlagen von Trump wieder zurückgeworfen worden. Aber genau diese Proteste und auch der Widerstand gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte im Iran und im Irak hätten einen wesentlichen Beitrag zu einer Friedenspolitik bewirken können. Und was Syrien betrifft so ist noch nicht absehbar, ob die Allianz zwischen dem brutalen Assad Regime mit dem Iran und Russland von der Bevölkerung auf Dauer akzeptiert werden wird.

Das ist auch eine der Schwierigkeiten jeder europäischen diplomatischen Politik, dass sie mit Regierungen zusammen arbeiten muss, die im eigenen Land die Bevölkerung vernachlässigen und zum Teil den eigenen BürgerInnen, etliche in internationalen Abkommen verankerte Grund- und Freiheitsrechte, vorenthalten. Das gilt im Übrigen auch für Israel hinsichtlich der Palästinenser. Aber auf eine aktive Friedenspolitik zu verzichten hilft auch der Bevölkerung nicht. Anschläge wie der jüngste Drohnenangriff der USA macht es den autoritären Regimen noch leichter die Mehrheit hinter sich zu scharen und die Protestierenden des Landesverrats zu bezichtigen.

Der Fehler von Präsident Bush und seiner Administration war es zu glauben, dass man mit militärischer Gewalt – und noch dazu von außen – Demokratie in den Nahen Osten bringen kann. Trump wiederum schert sich nicht um die demokratischen Entwicklungen im Nahen Osten, er ist besessen vom Kampf gegen die iranische Regierung und von der Allianz mit Israels Netanyahu. Das bringt ihm auch Wählerstimmen bei den Rechten in den USA, nicht zuletzt bei den Evangelikalen. Die Europäische Union ist schwach und oft nicht einig, aber sie könnte und sie sollte dennoch eine kohärente Friedensinitiative starten. Diese müsste auf Diplomatie und Einforderung von Menschenrechten beruhen.