Why change a losing formula?

Es gibt den bekannten Spruch „Never change a winning team“. Aber bezüglich des letzen Europäischen Rates – und nicht nur bezüglich des letzten – wurde in Medien der Spruch geprägt „Why change a losing formula?“.

Wende in Wirtschaftspolitik nicht deutlich genug!

Nun, die „losing formula“ ist die extreme Austeritätspolitik, die verhindert, dass wir aus der Rezession herauskommen. Ich gebe zu, die Dinge werden heute, und wurden in den Ratsschlussfolgerungen, etwas milder formuliert als noch vor einigen Monaten. Die Kommission möchte auch den Ländern etwas mehr Zeit geben bei der Reduktion der Defizite. Und es kommen des Öfteren schöne Formulierungen vor wie z.B. „differenzierte, wachstumsfreundliche Budgetkonsolidierung“!

Aber was wir wirklich benötigen, ist eine auf mehrere Jahre erstreckte Budgetkonsolidierung, die auch Raum und Luft für dringende Investitionen gibt. Bei meinem Besuch beim Internationalen Währungsfonds vor wenigen Wochen wurde mit Nachdruck auf eine Erstreckung dieser Fristen gedrängt. Die Flexibilität, die Vizepräsident Rehn heute an den Tag legt, wurde als nicht ausreichend angesehen. Und apropos, wenn ich seine jüngste Beurteilung der Lage in Portugal betrachte, dann frage ich, warum denn die Leute in Lissabon und in Porto auf die Straße gehen. Warum sehen sie denn nicht die großartigen Erfolge der europäischen Austeritätspolitk?

Mehr Sensibilität für Sorgen der BürgerInnen

Parlamentspräsident Martin Schulz hat in seiner Rede vor dem Gipfel in eindrucksvoller Weise die ambivalente und oft nichtssagende Ausdrucksweise solcher Ratsbeschlüsse kritisiert. Und zugegeben, das betrifft nicht nur den Rat, sondern vielfach uns alle. Aber es geht mir auch um die grundsätzliche Orientierung und Philosophie der Ratsbeschlüsse. Man kann doch heute, angesichts vom Wahlverhalten vieler ItalienerInnen, angesichts von Demonstrationen von Sofia bis Lissabon diese Unruhe und Unzufriedenheit vieler unserer MitbürgerInnen nicht einfach übergehen.

Diese Demonstrationen kann man auch nicht auf Unverständnis oder einen prinzipiellen Reformwiderstand zurückführen. Viele unserer MitbürgerInnen spüren die mit diesen Reformen verbundenen Ungerechtigkeiten. Viele sehen die Hilfeleistungen für die Banken und die mangelnde Unterstützung für die einfachen ArbeitnehmerInnen und kleinen Selbstständigen.

Soziales Gleichgewicht fehlt

Und wenn wir uns nach langem und hartnäckigem Druck seitens des Parlaments auf eine Begrenzung der Banker Boni geeinigt haben, finde ich es skandalös, dass einige Banken verlauten, dass sie dann hält die Grundgehälter erhöhen werden. Eine fundamentale Finanzkrise zu verursachen, umfangreiche Staatshilfen kassieren und dann noch hohe Gehälter einzustreichen, ist zumindest moralisch verwerflich und das darf sich die Politik nicht gefallen lassen.

Im Gegenteil, die Politik muss auf nationaler, aber auch auf europäischer Ebene einen intensiven sozialen Dialog installieren. Und auch wenn ich zutiefst die oftmals unsachliche Haltung der Unternehmervertretung „Business Europe“ und die aggressive Lobbytätigkeit dieser Organisation bedaure, so führt kein Weg an diesem Dialog vorbei. Und ich bin froh, dass Präsident Hollande in Frankreich einen sozialen Dialog installiert hat. Wir müssen die Menschen, vor allem jene von denen wir große Opfer verlangen in den Reformprozess mitnehmen und sie nicht in Stich lassen.

Kampf gegen Arbeitslosigkeit bleibt oberstes Gebot

Symptomatisch für die Haltung der Ratsmehrheit ist auch, dass erst unter Punkt 9 a) der Ratsschlussfolgerungen die Arbeitslosigkeit als „dringendste soziale Herausforderung“ angesprochen wird. Ich bin sehr froh, dass von Kommission und Rat die Idee einer „Jugendgarantie“ aufgenommen wurde. Aber klar muss uns auch sein, das die vom Rat für das Budget der nächsten Jahre vorgesehenen Mittel nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen. Und wie soll denn die Jugendgarantie funktionieren, wenn wir es nicht schaffen neue Jobs zu kreieren? Wenn wir nicht zu einer grundsätzlichen Wende in der europäischen Wachstumspolitik kommen, wird die Jugendgarantie eine neuerliche und zusätzliche Enttäuschung für die jungen Menschen sein.

Aber so eilig haben es anscheinend die Staats- und Regierungschefs nicht. Denn wie sonst könnte es sein, dass die – augenscheinlich schwachen – Ergebnisse des Wachstumspaktes erst beim Juni Gipfel überprüft werden sollen. Wir haben vom europäischen Parlament doch schon vor Monaten auf die Asymmetrie zwischen Fiskal- und Wachstumspakt hingewiesen. Da hätte man, wenn einem das Wachstum und die Beschäftigung ein dringendes Anliegen ist, schon jetzt die Konsequenzen ziehen können. Es war sicher genug Zeit, sich darauf vorzubereiten.