Roma in der Slowakei

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Presov

Schon lange vor der Ausweisung von Roma aus Frankreich und der Beschäftigung von Kommission und Parlament mit dieser Frage hat sich die sozialdemokratische Fraktion immer wieder mit der Lage der Roma beschäftigt und die EU-Kommission mit Anträgen zu einer kohärenten und konsequenten Romastrategie gedrängt. In diesem Zusammenhang haben wir auch eine „task force“ eingesetzt, die ich gemeinsam mit meiner Kollegin Monika Benova aus der Slowakei leite. Vorgesehen sind Besuche in der Slowakei, in Ungarn und Rumänien. Einen Besuch in Belgrad haben wir bereits hinter uns, ich habe in meinem letzten Tagebuch darüber berichtet.

Schulbesuch

Anfang Oktober absolvierten wir einen Besuch im Osten der Slowakei, in und in der Umgebung von Presov, der drittgrößten Stadt der Slowakei. Wir hatten einerseits ausführliche Diskussion mit sehr engagierten VertreterInnen der Zivilgesellschaft und andererseits mit Zuständigen für das Schulwesen von Presov. Wir waren in einer Schule, in der viele Roma-Kinder unterrichtet werden, soweit sie die Schule besuchen. Und wir besuchten ein von der Gemeinde unterstütztes, aber im Wesentlichen privat betriebenes Zentrum für Roma-Kinder in Petrovani sowie eine Sozialsiedlung für Roma und andere Arme am Rande von Presov.
Nicht nur aus den Berichten der Nichtregierungsorganisationen, sondern auch aus der Diskussion mit der Schuldirektorin war die faktische Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma erkennbar. Die Grenzen der Schuldistrikte für die Volksschulen wurden eindeutig so gezogen, dass es eine Konzentration von Roma-SchülerInnen in bestimmten Schulen gibt. Die Schule, die wir besuchten und wo das im Besonderen der Fall war, war darüber hinaus noch eine Schwerpunktschule für Kinder mit Lernschwierigkeiten.

Faktische Segregation

Da die Eltern grundsätzlich die Freiheit haben, eine Volksschule auszuwählen, umgekehrt aber die Schule verpflichtet ist, die Kinder aus ihrem Schuldistrikt zu nehmen, kommt es zu einer faktischen Segregation. Die besser ausgebildeten Eltern des Mittelstandes suchen sich rechtzeitig gute Schulen in ihrer Umgebung aus und die Ärmeren gehen dann in die jeweiligen Distriktschulen, wobei die Grenzen noch dazu so gezogen werden, dass es zu einer Konzentration der sozial schwachen SchülerInnen kommt.
Eine Roma Siedlung die wir auch besuchten war darüber hinaus der von uns besuchten Schule zugeteilt, obwohl sie etliche Kilometer weit entfernt liegt. Da aber die Siedlung im Bereich des Schuldistrikts liegt, bekommen die Kinder auch keinen Zuschuss für die Busfahrten. Andere wieder, die in eine Schule gehen, die nur auf der anderen Seite der Straße liegt, aber wo die Schuldistriktsgrenze in der Mitte der Straße gezogen wurde, bekommen einen Zuschuss, da sie ja die Grenzen überschreiten müssen, um in die Schule zu kommen.

Unverständnis

Als wir diese Ungerechtigkeiten im Rathaus zur Sprache brachten, stießen wir nur auf Unverständnis. Uns wurde immer wieder die Gesetzeslage erklärt und auf die Freiheit der Eltern verwiesen. Ja, die gut situierten Eltern haben tatsächlich die Freiheit, ihre Kinder in Roma-freie Schulen zu schicken und wenn sie Glück haben, werden sie dafür auch noch finanziell belohnt. Die VertreterInnen der Stadt, mit denen wir sprachen, waren extrem uneinsichtig. Und es ist auch schwierig, mit Jemanden über ein Problem zu diskutieren, der dieses Problem überhaupt nicht sieht oder es beharrlich leugnet.
So werden die Roma-Kinder weiter sozial und emotional mit einer klaren Segregation konfrontiert. Entweder, weil sie überhaupt nur selten die Schule besuchen oder auch, wenn sie regelmäßig in die Schule gehen. Effektive Versuche, die Eltern von der Notwendigkeit eines Schulbesuchs zu überzeugen, werden zudem nicht unternommen. Auf diese Weise werden die Nachteile des Elternhauses immer wieder perpetuiert. Und es gibt keine Strategie und kein Bemühen, diese Benachteiligungen zu korrigieren.

Wenige Initiativen

Nur einige wenige Privatinitiativen und einige Bürgermeister in wenigen Gemeinden in der Umgebung von Presov setzen sich dafür ein Ein solches Zentrum besuchten wir in Petrovany, wo sich sehr engagierte SlowakInnen mit Roma-Kindern beschäftigen. Allerdings kommt es auch dort nur zu seltenen Kontakten mit Nicht-Roma-Kindern. Aber immerhin versucht die Verwaltung in dieser Gemeinde von Zeit zu Zeit gemeinsame Feste zu veranstalten.
Wir erfuhren jedoch in den Gesprächen, dass die verschiedenen Roma-Gruppen selbst sich oft voneinander absetzen. So will die wirtschaftlich tätige und reichere Gruppe der Roma, die auch eine eigene Sprache spricht, mit der sich vor allem auf das Musizieren konzentrierenden Gruppe möglichst wenig zu tun haben. Solche Verhaltensweisen erschweren natürlich die Integration der Roma in die Gesellschaft bereits auf Gemeindeebene.

Teufelskreis

Zuletzt besuchten wir noch eine der Stadtrandsiedlungen, und zwar jene, die der am Vormittag besuchten Schule zugeteilt wurde. In Abgrenzung zu den benachbarten Einfamilienhäusern wurde eine Mauer gebaut. Allerdings wurde nach einigen Protesten das in dieser Mauer vorhandene Tor bisher nicht verschlossen. Die Möglichkeit dafür besteht aber immer wieder. Dem dort vorhandenen kleinen Sozial- und Kulturzentrum (ein Raum), in dem einige gut ausgebildete Roma sich mit den Jugendlichen beschäftigen, wurde übrigens der Strom abgedreht, da die Rechnung nicht bezahlt werden konnte. Von der Stadt ist keine Unterstützung zu erwarten. Für die Mauer war genug Geld da, für ein kleines „Jugendzentrum“ nicht.
So wird der Jugend überhaupt keine Chance gegeben, aus dem Teufelskreis der Armut, den schlechten Wohnverhältnissen und der schlechten Ausbildung herauszukommen. Einige Jugendlichen hatten für einige Jahre eine Chance, als sie mit ihren Eltern nach England gingen und dort angemessene Schulen besuchten. So wurden wir von etlichen in Englisch angesprochen. Aber was ist jetzt?

Gesellschaftlicher Mehrwert

Im Gespräch mit den Roma-Beauftragten der neuen Regierung meinte ich, es wäre doch vernünftig, gerade mit diesen Jugendlichen zu arbeiten und sie einer weiteren guten Ausbildung zu unterziehen. Sie könnten dann auch ihren FreundInnen ein gutes Beispiel sein und in den Siedlungen eine positive Rolle spielen. Nun, ich weiß nicht ob dieser oder andere unserer Vorschläge auf fruchtbaren Boden fallen. Aber wir haben es jedenfalls versucht. Und wir werden jedenfalls aus unseren Besuchen und Gesprächen Schlussfolgerungen ziehen, die wir auch der EU-Kommission übermitteln werden.
Segregation und Diskriminierung sind zweifellos nicht nur gegenüber den Roma der Fall. Dort sind sie allerdings besonders auffällig. Und alle unsere slowakischen GesprächspartnerInnen betonten die Notwendigkeit, mit der „Mehrheitsbevölkerung“ zu arbeiten. Ohne sie von der Sinnhaftigkeit der Integration zu überzeugen, wird die Politik nicht die entsprechenden Maßnahmen umsetzen können. Und das ist sicherlich ein schwieriger und langwieriger Prozess. Dabei gilt es nachzuweisen, dass es nicht um Maßnahmen ausschließlich für die Roma (oder in unserem Fall für die Ausländer) geht, sondern um Vorteile für alle, wenn es keine ausgeschlossenen und schlecht ausgebildeten Randgruppen gibt. Integration ist zum Nutzen der Gesamtgesellschaft.

Presov, 9.10.2010