Am Nil

Es wäre höchste Zeit, ein neues, gesundes, gleichberechtigtes Verhältnis zur arabischen Welt aufzubauen.  
Eine berauschende Flusslandschaft zieht an mir vorüber, genauer gesagt: das Nilschiff, auf dem ich mich befinde, zieht an den üppig bewachsenen, in unzähligen Grünschattierungen daliegenden Ufern des Nils vorbei. Hie und da tauchen kleine Dörfer, ganz selten Städte auf. Viele Moscheen mit ihren Minaretten sind zu erkennen, aber auch etliche Kirchen mit Kreuzen auf den Turmspitzen. In Ägypten ist der Islam Staatsreligion, aber immerhin 15 Prozent der Bevölkerung sind Christen, vor allem Kopten und Orthodoxe. Ägypten fasziniert den Fremden mit seiner alten Hochkultur, seinen Tempelanlagen und Grabstätten. Es gibt kaum Vergleichbares auf der Welt, jedenfalls nicht in der Nähe Europas.
Diese Fahrt auf dem Nil gibt mir – zwischen den Besichtigungen der Zeugnisse der Gottheiten, der Könige und Königinnen der alten Ägypter – Gelegenheit, ohne den alltäglichen Druck über das Verhältnis Europas zur arabischen Welt nachzudenken. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte intensiver Kontakte und Verflechtungen. Hier in Ägypten waren es die Mazedonier, Griechen und Römer, die das Land eroberten und vieles von der damaligen Kultur in die ihre aufnahmen. Nach den Osmanen kamen – kurzzeitig – die Franzosen und schließlich die Engländer, die bis zur stufenweise Erlangung der Unabhängigkeit Ägypten beherrschten.
Nun wäre es höchste Zeit, ein neues, gesundes, gleichberechtigtes Verhältnis zur arabischen Welt aufzubauen. Der grausame Krieg im Nahen Osten, das immer abstruser werdende Verhalten der israelischen Regierung und die nebulösen Erklärungen der Amerikaner, von denen viele in Europa nicht allzu weit abweichen, stehen allerdings einem engeren Verhältnis der EU zur arabischen Welt im Wege.

Gipfel von Beirut

Derzeit tagt die Gipfelkonferenz der arabischen Staaten in Beirut. Sie wird den saudischen Friedensplan – Frieden und Anerkennung Israels gegen Rückzug auf die Grenzen vor 1967 – unterstützen und beschließen. Es wäre zu schön, würde Israel auf dieses Angebot einsteigen. Bei der derzeitigen Regierung kann ich mir das aber nicht vorstellen.
Nun wären auch mit einem Frieden im Nahen Osten nicht alle Probleme gelöst. Mehr finanzielle Hilfe, eine Öffnung der Märkte, verbunden mit demokratischerem und transparenterem Regieren und Verwalten in den arabischen Ländern, könnte die Basis für eine neue Mittelmeergemeinschaft bilden. Und diesmal ohne Krieg und Fremdherrschaft, ohne Unterdrückung einer oder mehrerer Regionen. Ein fruchtbarer Austausch von Waren und Ideen, ein geregelter, im Vergleich zur heutigen Situation freizügigerer Verkehr von Menschen, könnte das Mittelmeer zu einem „mare nostrum“, also einem Meer für uns alle machen. 
Kairo, 28.3.2002