Neues vom Balkan

Wählen die Balkanländer den pro-europäischen Weg, dann sollten sie auch an den verschiedenen europäischen Programmen teilnehmen können.
Seit längerer Zeit besuchte ich wieder einmal den Balkan, genauer gesagt Belgrad. Die jüngsten Nachrichten aus Jugoslawien – jetzt Serbien und Montenegro – waren keineswegs positiv für das Image dieses Landes.

Vergeblich wurde zwei Mal versucht, einen Präsidenten für Serbien zu wählen. Die restriktiven Bedingungen in der serbischen Verfassung – vor allem hinsichtlich der notwendigen Wahlbeteiligung – haben zu keinem Ergebnis geführt. Zwar erhielt der jetzige Präsident des Gesamtstaates, Kostunica, die höchste Zahl der Stimmen – aber es reichte trotzdem nicht.

Noch ein Wahlgang

Im Dezember soll ein neuerlicher Wahlgang stattfinden, formell der erste Wahlgang einer neuen Wahl, faktisch ein dritter Wahlgang. Inzwischen wurde das Wahlrecht – wenn auch nur geringfügig – geändert. Die fehlerhaften Wahllisten wurden hingegen nicht korrigiert. Viele meinen, dass der serbische Ministerpräsident Djindjic – der große innenpolitische Gegenspieler von Kostunica – kein großes Interesse an einem erfolgreichen Ausgang der Wahlen, geschweige denn an einem Wahlsieg Kostunicas hat.

Nach einem Gespräch mit Djindjic habe auch ich diesen Eindruck gewonnen. Dabei geht es um persönliche Rivalität und um sachliche Unterschiede. Djindjic drängt auf Reformen. Und er ist zu weitestgehender Zusammenarbeit mit dem Westen, insbesondere hinsichtlich des Tribunals in Den Haag, bereit. Sein Ziel ist es, Serbien – und falls möglich auch Montenegro, was aber nicht so entscheidend für ihn ist – rasch an die EU anzunähern, und zwar mit der klaren Perspektive eines Beitritts zur Europäischen Union.

Reformbremser Kostunica

Kostunica verfolgt dagegen einen weitaus bedächtigeren Kurs. Auch er weiß, dass eine Annäherung an die Standards und Regeln der EU unvermeidlich ist. Aber all dies soll mit einem nationalen, manchmal vielleicht sogar nationalistischen Kurs erreicht werden. Die Unterwerfung führender Funktionäre des ehemaligen Jugoslawiens unter das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist ihm ein Gräuel. Er stimmt nur dem gerade Notwendigsten zu, um nicht die finanzielle Unterstützung zu gefähreden.

Diese nationale, konservative, zögerliche und zugleich Stolz zum Ausdruck bringende Haltung macht Kostunica zum populärsten Politiker. Das wiederum jagt den Reformern um Djindjic – bis hin zum Chefreformer Miroljub Labus – Angst ein. In der Tat müssen diese befürchten, bei den nächsten Wahlen an den Rand gedrängt zu werden.

Die Penetranz in Person

Viele Beobachter meinen, dass vor allem das hartnäckige (oder, wie man in Belgrad oft sagt, penetrante) Auftreten der Chefanklägerin in Den Haag, Carla del Ponte, den nationalen Widerstand eher erhöht und die Reformkräfte in eine schiefes Licht rückt. Zwar hat Labus als Gegenkandidat zu Kostunica bei den erfolglosen Präsidentschaftswahlen nicht so schlecht abgeschnitten. Die langsamen Fortschritte auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, die ungelösten Probleme der Zusammenarbeit mit Montenegro und der dauernde Druck auf die Auslieferung von vermeintlichen Kriegsverbrechern machen die Lage der Reformer aber sehr brüchig.

Was nun die Zusammenarbeit mit Montenegro betrifft, um das föderale Jugoslawien in einen noch lockereren Staat Serbien und Montenegro überzuführen, gibt es kaum Fortschritte. Die EU und vor allem der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, haben Montenegro zur Fortsetzung eines gemeinsamen Bundesstaates mit Serbien „gezwungen“. Jetzt weigert sich Montenegro, seine Abgeordneten für das neue Bundesparlament direkt wählen zu lassen. Das wiederum interpretieren die Serben als mangelndes Bekenntnis zu einem demokratisch legitimierten gemeinsamen Staat. Und wahrscheinlich haben sie mit dieser Interpretation recht.

Flüchtlingsproblem noch immer aktuell

Die entscheidenden Probleme aber liegen anderswo: in der hohen Anzahl der Flüchtlinge und der Vertriebenen innerhalb des ehemaligen Jugoslawiens, vor allem in Serbien. Ende Oktober 2002 waren es noch 585.000. Aus Bosnien-Herzegowina gibt es noch 122.000, aus Kroatien noch fast 230.000 Flüchtlinge. Und aus dem Kosovo 235.000 Vertriebene.

Für ein wirtschaftlich schwaches Land eine große Anzahl von Menschen, die versorgt werden muss. Zwar ist die Flüchtlingsrückkehr in den vergangenen Jahren gut vorangeschritten. Dennoch gibt es insbesondere in Kroatien noch immense Probleme der Rückkehr und der Integration. Bezüglich des Kosovo sind zudem noch alle Fragen des künftigen Status offen.

Beitrittsperspektive geben

Für die EU bleibt also noch viel zu tun übrig – politisch wie finanziell. Dabei geht die Hilfe, die in diese Region (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien sowie Serbien, Montenegro und Kosovo) fließt, von Jahr zu Jahr zurück. Dieser Rückgang ist auch vertretbar, wenn er mit einer klaren politischen Integrationsstrategie verbunden wird. Denn nach der Aufnahme der derzeit in Verhandlungen stehenden zehn Beitrittskandidaten müssen wir uns verstärkt um die Heranführung der Balkanregion bemühen. Auch diesen Ländern sollte eine klare Beitrittsperspektive geboten werden, die ihnen eine Alternative vor Augen führt: Entweder die betroffenen Staaten bemühen sich, die Beitrittskriterien Zug um Zug zu erfüllen, beginnend mit der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, der Achtung der Menschen- und vor allem der Minderheitenrechte, oder sie gehen einen eigenen nationalen Weg. Dann können sie allerdings auch nicht mit der Hilfe der EU rechnen. Wählen sie dagegen den ersten, pro-europäischen Weg, dann sollten diese Länder auch an den verschiedenen europäischen Programmen teilnehmen können – genauso wie die jetzigen Beitrittskandidaten. 
Belgrad, 13.11.2002