Auf dem Weg zu dauerhaftem Frieden

Vieles bleibt noch zu tun, um nach dem Krieg den Wiederaufbau des Balkans und die Herstellung eines dauerhaften Friedens zu bewerkstelligen.
Die letzten Monate, vor allem die Wahlen seit Ende des Krieges in Jugoslawien, haben uns viele Konferenzen, Seminare und Diskussionen beschert, wie wir nun nach dem Krieg den Wiederaufbau des Balkans und die Herstellung eines dauerhaften Friedens bewerkstelligen können.
Dabei beschäftigen uns drei Fragen im Besonderen:
1.) Wie kann der Wiederaufbau im Kosovo selbst rasch und effizient geschehen, vor allem wie können wir die wichtigsten Maßnahmen noch vor dem Winter einleiten?
2.) Wie kann ein Stabilitätspakt für den ganzen Balkan institutionalisiert werden?
3.) Wie kann der serbischen Opposition geholfen werden, Milosevic zu stürzen, so daß wir auch Jugoslawien in den Wiederaufbau einbeziehen können?
Ich muß gestehen, viel weiter sind wir heute noch nicht gekommen. Die Opposition ist sich selbst noch nicht einig, ist manchmal mehr gegeneinander als gegen Milosevic. Am aktivsten dürften noch die Bürgermeister einiger Städte sein – wie beispielsweise jener von Nis -, die allerdings nicht zu nationaler Bedeutung gekommen sind.
Was nun den Stabilitätspakt betrifft, so ist das zugegebenermaßen eine langwierige, aber auch langfristige Angelegenheit. Jeder der Balkanstaaten möchte eine möglichst enge Beziehung zur EU, aber vielfach keine oder eine nur sehr ausgewählte Kooperationen mit den Städten der Region.

Kosovo-Mission

Was hingegen die erste Frage betrifft, so sollte eine Reise in den Kosovo einen unmittelbaren Eindruck vermitteln. Unserer Delegation, die von der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Nicole Fontaine, angeführt wurde, gehörten außerdem Frau Nicolson, eine stellvertretende Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, Frau Doris Pack, Vorsitzende der Süd-Ost-Europa Delegation und ich selbst als 1. Stellvertretender Vorsitzender dieser Delegation, und nicht zuletzt aus Gründen des politischen „Gleichgewichts“, an – Frau Fontaine und Frau Pack sind Mitglieder der EVP, Frau Nicolson ist Mitglied der liberalen Fraktion.
Einleitend muß ich sagen, daß mein – und ich glaube auch sagen zu können, unser – Eindruck von der Arbeit der internationalen Organisationen, insbesondere der EU, im Kosovo, durchaus positiv ist. Die Task Force der EU unter Leitung von Marc Franco hat gute Arbeit geleistet. Sie funktioniert besser und koordinierter als das in Bosnien der Fall war. Sicher ist die Situation im Kosovo leichter zu handeln. Der Krieg hat viel kürzer gedauert, es ist weniger zerstört worden, und der Kosovo ist – leider – ethnisch reiner, vor allem aufgrund der Flucht vieler Serben nach dem Ende des Krieges.

„Sondierungsgespräche“

Um die Möglichkeit, einen multiethnischen Kosovo zu bewahren bzw. wiederherzustellen, ging es auch bei einem Gespräch mit Bernard Kouchner, dem Chef der UNO-Verwaltung im Kosovo. Ich habe schon viel positives, aber auch viel kritisches über Kouchner gehört. Er war Begründer der „Mediziner ohne Grenzen“ (medicins sans frontiers), er war vor meiner Zeit Abgeordneter zum Europäischen Parlament, und er war zuletzt Gesundheitsminister – Kouchner ist Arzt – in Frankreich.
Kouchner war gerade mitten in den Verhandlungen mit der UCK über die letzte Phase der Abgabe der Waffen und über die Umwandlung in ein „Kosovo-Korps“, das ausschließlich für zivile Einsätze vorgesehen ist. Das war ein Grund, um seitens seines Büros den Termin mit uns abzusagen, aber wir insistierten auf ein Treffen mit Kouchner, und er nahm sich schließlich auch reichlich Zeit für uns. Er war sogar überschwenglich und außerordentlich freundlich und auskunftsbereit. Wir unterstützten ihn auch in seinem Bestreben, die radikalen Elemente der UCK zurückzudrängen und eine Regierung zu etablieren, die nicht eine Geisel der UCK sein wurde.
Am Abend trafen wir noch Ibrahim Rugova, den „Präsidenten“ des Kosovo, und am nächsten Morgen Hashim Thaci, den selbsternannten „Ministerpräsidenten“ und Führer der UCK. Rugova war zurückhaltend, kompromißbereit und ein angenehmer Gesprächspartner. Von seiner ganzen Einstellung her immer auf den friedlichen Weg festgelegt, sollte er auch weiterhin Einfluß auf die Politik im Kosovo haben.
Auch Thaci war ein entgegenkommender Gesprächspartner – er verhehlte aber nicht sein Ziel, die UCK bzw. die von ihm aus der UCK heraus gegründete Partei im Kosovo möglichst rasch zur anerkannten und führenden Gruppe im Kosovo zu machen. Auf meine Frage hin erklärte er: „Herr Kouchner ist ein netter Mann, aber er trifft seine Entscheidungen autoritär wie ein König. Wenn, dann bespricht er seine Entschlüsse mit von ihm auserwählten Einzelpersonen des Kosovo, aber er bezieht nicht die offiziellen Organe und Strukturen in seine Entscheidungen mit ein.“ Dabei meinte er natürlich die von ihm gebildete „Regierung“. Für Thaci sind die KFOR-Soldaten eine Besatzungsmacht. Den Krieg hat nicht die NATO gewonnen, sondern die UCK. Diese Einstellung wird uns noch viele Probleme bringen!
Nach dem Gespräch mit Thaci ging es nach Mitrovica, in den Norden des Kosovo. Dort besuchten wir ein Spital, das zum Zentrum ethnischer Auseinandersetzungen wurde. Das Spital liegt im nördlichen – serbischen – Teil der Stadt, dient der Regionalversorgung und damit vorwiegend der albanischen Bevölkerung.
Der von der UNO eingesetzte Chef, ein Franzose, schilderte ausführlich den katastrophalen Zustand des Spitals, was Einrichtungen und Hygiene betrifft. Seine beiden Stellvertreter, ein Serbe und ein Albaner, hielten sich mit solchen „Nebensächlichkeiten“ nicht lange auf. Ihnen ging es vielmehr um die Schuld der jeweils anderen Seite an den Greueln der Vergangenheit und den Aggressionen der Gegenwart bzw. um die ethnische Balance beim Spitalspersonal.
Der Zustand des Spitals war auch tatsächlich erbärmlich und Patienten, Pflegepersonal und Ärzte mußten überdies bei jeder Fahrt zum und vom Krankenhaus Attacken der gegnerischen Seite fürchten. Ein wahrlich betrübliches Bild, das sich uns bot.

Vieles bleibt noch zu tun

Ein Gespräch mit den Vertretern der albanischen und serbischen Bevölkerungsgruppe unter Leitung von Sir Martin Garrod, der schon in den „geteilten“ Städten Belfast und Mostar aktiv gewesen ist, hat nur ein leicht besseres Gesprächsklima an den Tag gelegt. Es bleibt noch viel zu tun, um ein akzeptables Nebeneinanderleben im Kosovo zu ermöglichen, von einem Miteinanderleben gar nicht zu reden. UNO, EU und die Militärs versuchen, viele Wunden zu heilen und Brücken zu schlagen.
Das sahen wir auch beim Besuch der französischen Truppen in Mitrovica nahe der derzeit mit Stacheldraht versehenen Brücke, die heute den serbischen vom albanischen Teil trennt und nicht wie früher und hoffentlich wieder in Zukunft die beiden Teile verbindet. Da wird noch viel Wasser die Sitnice hinunterfliessen müssen, bevor etwas geschieht.
 
Pristina, 20.9.1999