Auf der Suche nach Sensibilität

Wir müssen zur besseren Verständigung zwischen Minderheit und Mehrheit in der Slowakei, aber auch zwischen der Slowakei selbst und Ungarn beitragen.
Mit einer kleinen Delegation unserer Fraktion unter meiner Leitung haben wir in den vergangenen zwei Tagen wieder einmal die Slowakei und diesmal auch Ungarn besucht, um uns vor Ort mit den Problemen der jeweiligen Minderheiten auseinanderzusetzen.

Dialog zwischen Minderheit und Mehrheit herstellen

Die große ungarische Minderheit in der Slowakei und die kleine slowakische Minderheit in Ungarn haben in der Vergangenheit immer wieder geltend gemacht, dass sie nicht entsprechend positiv behandelt werden. In der Slowakei war und ist das ein größeres Problem – nicht nur auf Grund der Größe der ungarischen Minderheit. Ausschlaggebend ist auch, dass in der derzeitigen, von der sozialdemokratischen Partei SMER angeführten Koalition auch eine Partei vertreten ist, deren Vorsitzender Jan Slota, der, ähnlich wie Haider, selbst nicht Mitglied in der Regierung ist, lautstarke und völlig inakzeptable Äußerungen über die ungarische Minderheit von sich gibt. Er „lebt“ gewissermaßen davon, seine vehementen Wortspenden in der Öffentlichkeit darzustellen und verschlechtert damit – auch hier eine Parallele zu Haider – das Klima im Land dramatisch. Das Ergebnis ist die Schaffung eines niedrigen Standards, soweit man in diesem Zusammenhang von Standard sprechen kann, der politischen Auseinandersetzung.
Ich habe schon vor einiger Zeit die Initiative ergriffen, um gemeinsame mit slowakischen und ungarischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament einen Beitrag zur besseren Verständigung zwischen Minderheit und Mehrheit in der Slowakei, aber eben auch zwischen der Slowakei selbst und Ungarn zu leisten. Parallel dazu habe ich Gespräche und Verhandlungen geführt, die Partei SMER auf der einen Seite wieder in die sozialdemokratische Familie einzubinden, sie aber auf der anderen Seite auch dazu zu bewegen, dass sie gegenüber der ungarischen Minderheit auf eine positive Einstellung und entsprechende finanzielle Unterstützungsmaßnahmen drängt. Das Vernünftigste wäre zweifellos eine andere Koalition ohne die Partei Slotas. Aber das ist – zumindest vor den nächsten Wahlen – nicht möglich.

Keine rosige Bilanz

Gestern Abend fuhren wir vom Flughafen Wien direkt nach Bratislava, wo wir heute zeitig in der früh mit unserem Programm begonnen haben. Wir trafen Pál Csáky, den Vorsitzenden der ungarischen Partei. Er schätzte die Entwicklungen schwärzer und negativer ein, als das zuvor der Fall gewesen ist und verwies auf nach wie vor rassistische Aussagen von Jan Slota. Auch die Frage, wie die Schulbücher in Zukunft gestaltet sein sollen und in welcher Sprache die Ortsnamen verwendet werden, sei noch offen, stellet Csáky verärgert fest. Unterm Strich war das jedenfalls keine positive Bilanz über einen Dialog zwischen den anderen Parteien und seiner "Ungarischen Koalition".
Im Anschluss trafen wir Dusan Čaplovič, den stellvertretenden Premierminister, der federführend für Minderheiten und Menschenrechtsfragen verantwortlich ist. Čaplovič ist prinzipiell ein sehr gemäßigter und angenehmer Gesprächspartner. Diesmal trat aber auch er etwas härter auf. Er kritisierte vor allem die Tatsache, dass ungarische Abgeordnete aus der Slowakei an einem Forum teilgenommen haben, das von Ungarn, konkret vom ungarischen Parlament, gegründet worden ist und der Absprache von Abgeordneten des ungarischen Parlaments und ungarischer Abgeordneter aus den Nachbarländern – also aus der Slowakei, aus der Ukraine, aus Rumänien, Serbien und Kroatien – dient. Čaplovič schätzte dieses Forum äußerst negativ ein, vor allem im Zusammenhang mit einer speziellen Erklärung des ungarischen Parlaments, die wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekannt haben.

Das neue Mediengesetz

In eine ähnliche Richtung liefen in der Folge auch die Gespräche mit Miroslav Číz, dem SMER-Fraktionsvorsitzenden und Vizepräsidenten des Parlaments sowie mit Peter Weiss, der als zukünftiger slowakischer Botschafter in Ungarn vorgesehen ist – was allerdings noch inoffiziell ist. Zu Mittag fand dann eine ausführliche Diskussion über das von den Medien beim Zustandekommen kritisierte Mediengesetz statt.
Zwischenzeitlich hat sich gezeigt, dass dieses umstrittene Gesetz bisher keine negativen Auswirkungen hatte. Selbst einer der schärfsten Kritiker der SMER-Regierung und von Premierminister Fico, Matús Kostolný, musste eingestehen, dass es zumindest bis jetzt keine negativen Konsequenzen durch das Mediengesetz gegeben hat. Wenngleich er meinte, das Gesetz habe sehr wohl zu einer Zurückhaltung und Verlangsamung der medialen Berichterstattung geführt. Man kann das negativ oder positiv sehen. Wahrscheinlich ist manchmal eine gewisse Vorsicht und Langsamkeit der Berichterstattung durchaus positiv – Kostolný gab mir in diesem Punkt auch Recht.

Weiter nach Ungarn

Heute Nachmittag fuhren wir weiter Richtung Ungarn, genauer nach Mlynky, einen kleinen Ort in der Nähe von Esztergom. Um die angespannte Verkehrssituation in Budapest zu umgehen und weil die Ringstrasse um Budapest noch nicht fertig ist, fuhren wir zuerst von Bratislava in Richtung Györ, kreuzten also die Donau bei Bratislava, und fuhren von Györ ein Stück auf der Autobahn bis Komárno. Dort überquerten wir die Donau erneut und nahmen die Landstraße in der Slowakei entlang bis Sturovo, von wo aus wir schließlich auf der ungarischen Seite zurück über die Donau nach Esztergon und dann über das hügelige Gebiet nach Mlynky kamen.
In Mlynky trafen in erster Linie die Vertreter der slowakischen Minderheit, aber auch den Bürgermeister des Ortes, József Lendvai. Dieser fühlte sich angesichts unseres Besuches nicht besonders wohl. Er hat schon vor einiger Zeit für Aufregung gesorgt, als er die slowakischen Verbände aus dem dem Bürgermeisteramt benachbarten Haus – das im Übrigen auch der Gemeinde gehört – hinauskomplimentieren wollte, und zwar mit der Begründung, er wolle mehr Raum für das Bürgermeisteramt in Anspruch nehmen. Allerdings gab es im alternativ zur Verfügung gestellten Haus lediglich einen kleinen Raum in einem kleinen Kulturzentrum, das vor allem auch von der slowakischsprechenden Minderheit geführt wird.

Raumansprüche

In der Tat, die Verhältnisse im Bürgermeisteramt sind äußerst beengt. Es ist zu verstehen, dass man mehr Raum will und dafür die Räumlichkeiten im Nachbarhaus, das der Gemeinde gehört, in Anspruch nehmen möchte. Wahrscheinlich war es aber auch nicht zufällig und unerwünscht, dass man die slowakische Minderheit mit ihrer kulturellen Einrichtung von dort vertreiben wollte.
In Übereinkunft der slowakischen und ungarischen Regierung wurde jetzt schließlich ein Grundstück gefunden, auf dem ein neues kleines Kulturzentrum für die slowakische Minderheit gebaut werden soll. Dass das nicht alle zufriedenstellt und manche "ungarische" BürgerInnen auf die Palme bringt, weil sie andere wichtige Institutionen im Ort haben wollen, ist eine weitere Begleiterscheinung, die die einen beruhigt und die anderen eher beunruhigt bzw. für Unmut sorgt. Trotzdem: Formal scheint die Lage insgesamt einigermaßen gelöst zu sein.

Bei Ungarns Außenministerin

Von Mlynky fuhren wir weiter nach Budapest, um die ungarische Außenministerin Kinga Göncz zu treffen, die uns zu einem Arbeitsabendessen ins Außenministerium eingeladen hatte. Sie ist eine sehr sympathische Frau und ausgebildete Psychiaterin, kommt also nicht aus der Politik. Daher begann unser Gespräch auch sehr angenehm und nett. Das änderte sich allerdings etwas, als man uns die Resolution des ungarischen Parlaments über die Schaffung des bereits erwähnten Forums ungarischer Abgeordneter aus dem Karpatenbecken aushändigte.
Mich hat vor allem der Absatz gestört, dass das ungarische Parlament davon ausgeht, dass dieses Forum eine eigene permanente Institution des ungarischen Parlaments ist. Der gesamte Text drückt nicht wirklich den Willen aus, dass sich die ungarischen Minderheiten in den jeweiligen Ländern integrieren und darüber hinaus trotzdem gemeinsame Interessen verfolgt werden. Auch meinem Kollegen Jan Marinus Wiersma hat diese Formulierung nicht gefallen. Und so haben wir beide – vielleicht etwas zu stark, wie uns eine Mitarbeiterin später sagte – auf die ungarische Außenministerin eingeredet, dass es sich um keinen besonders zukunftsweisenden Antrag handelt, der hier im ungarischen Parlament gefasst worden ist.

Mehr Sensibilität

Ich habe unmissverständlich klargestellt, dass ich natürlich nichts dagegen habe, dass sich die ungarischsprechenden Abgeordneten zusammensetzen und gemeinsame Probleme diskutieren. Aber ich empfinde es trotzdem als eigenartig, wenn dies durch eine Resolution des ungarischen Parlaments gewissermassen institutionalisiert wird – noch dazu, wie es scheint, ohne den entsprechenden Kontakt mit den Parlamenten der anderen Länder aufzunehmen.
Kinga Göncz entegegnete uns, dass kein Land sich an dieser Vorgangsweise gestört habe, außer der Slowakei, die extrem negativ reagiert hat. Nun, wenn man weiß, wie kritisch das Verhältnis zwischen der ungarischsprechenden Minderheit und der slowakischsprechenden Mehrheit in der Slowakei ist, dann hätte man sensibler vorgehen und entsprechend darauf Rücksicht nehmen müssen. Wenn das ungarische Parlament schon eine derartige Resolution verfasst, hätten die Formulierungen zumindest sorgfältiger getroffen werden müssen.

Kritik muss erlaubt sein

Am Beginn dieses Abends hatten wir auch sehr deutlich unsere Kritik an der Slowakei und an der unklaren Reaktion gegenüber den Worten Jan Slotas vorgetragen. Das schien jedoch nicht wirklich gefruchtet zu haben. Die ungarische Außenministerin beendete unser Arbeitsessen ziemlich abrupt und meinte: Selbst wenn man einige Formulierungen in der von uns kritisierten Resolution ändern würde, wäre die Slowakei bzw. die slowakische Regierung ebenso unzufrieden und würde neue Forderungen aufstellen.
Das mag durchaus sein. Trotzdem versuchte ich zu argumentieren, dass man den wohlmeinenden Vertretern auf slowakischer Seite, wie etwa Dusan Čaplovič, keine Anlass geben sollte, der sie in ihrer Kritik an diesem Forum letztendlich in die Nähe von Slota rückt. Es geht also nicht um eine Sensibilität gegenüber Jan Slota, sondern gegenüber den demokratischen Parteien in der Slowakei und in Ungarn. Ich bin davon überzeugt, dass wir als europäische Abgeordnete die Aufgabe haben darauf hinzuweisen, wenn nicht im europäischen Geist gehandelt wird und Bestrebungen zu nationalem Vorgehen diesen europäischen Geist beeinträchtigen. Das Vorgehen des ungarischen Parlaments ist selbstverständlich nicht mit dem Verhalten zu vergleichen, dass Slota an den Tag legt. Trotzdem muss man versuchen, die jeweiligen Aktivitäten vor ihrem Hintergrund und ihren Folgewirkungen zu beleuchten. Und so gesehen war die Resolution mit ihren bestehenden Formulierungen nicht gerade glücklich.

Klare ideologische Abgrenzung

Was bleibt, ist nicht nur meine vehemente Kritik an den Äußerungen von Slota – ebenso wie von Haider, Berlusconi und anderen. Ich bin außerdem fest davon überzeugt, dass man ganz klar zum Ausdruck bringen muss, dass derartige Äußerungen und Handlungen völlig inakzeptabel und mit der Demokratie und einem europäischen Geist unvereinbar sind – ohne dabei die Kritisierten zu Helden und Vorbildern für all jene machen zu wollen, die scharfe Worte lieben. Das gilt für die Slowakei genauso wir für Ungarn mit der ungarischen Garde und alle anderen Nationalisten, die sich heute leider in vielen europäischen Ländern breitmachen. In diesem Punkt eine klare Position einzunehmen – bei aller Flexibilität, die man in einzelnen Fragen haben muss – ist für mich essentiell.
Gerade aus sozialdemokratischer Sicht kann es hier keinerlei Kompromisse geben. Gewählte Parteien sind und bleiben gewählte Parteien. Sie sind durch ihre Mitglieder im Parlament vertreten und man kann und soll sie von der parlamentarischen Arbeit nicht ausschließen. Aber gerade wenn es da und ort eine punktuelle Zusammenarbeit gibt, muss es eine klare ideologische Abgrenzung geben. Kompromisslösungen, die Fremdenhass oder eine Politik, die das, was Europa geschaffen hat, in Frage stellt, sind und bleiben für mich inakzeptabel.

Budapest, 19.9.2008