Das „Paris des Ostens“

Bei allen positiven Gefühlen, die ich für Rumänien habe, ist es durchaus gerechtfertigt, dass es nicht in der ersten Runde der EU-Erweiterung dabei sein wird, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt.
Bukarest, die rumänische Hauptstadt, hat sich immer mehr zu einem Tagungsort für europäische und internationale Veranstaltungen entwickelt. Das liegt groteskerweise daran, dass Ceaucescu ein zwar unvollendetes, aber nichts desto weniger imposantes Gebäude hinterlassen hat, das von seinem ursprünglichen Zweck nur eine Herberge für das Parlament ist, aber von seinen Dimensionen weit über das hinausgeht, was ein Parlament heute braucht. Die rumänische Regierung bemüht sich, diese Gigantonomie rumänisch-kommunistischer Prägung, die nicht nur durch das Parlamentsgebäude selbst – im Äußeren wie im Inneren – zum Ausdruck kommt, sondern auch durch etliche umliegende Gebäude, zu füllen: durch Kongresse und Veranstaltungen, aber auch durch Büros, etwa jenem, das speziell dem Kampf gegen die grenzüberschreitende Kriminalität gewidmet ist.

Imagekorrektur

Bukarest hat sich durch die diversen Veranstaltungen und internationalen Einrichtungen zu einer Stadt gemausert, die für die Region von wachsender Bedeutung ist. Es war ein kluger Schachzug der früheren und auch der jetzigen Regierung, so vorzugehen und damit den schlechten Ruf, den Rumänien schon aus Ceaucescu-Zeiten hatte und der durch die zum Teil skandalöse Freigabe vieler Kinder zur „Adoption“ sowie den Versuch des Bukarester Bürgermeisters, die zahlreichen streunenden Hunde in der Stadt einzuschläfern bzw. zu sterilisieren, erneuert worden ist, zu kompensieren.

Ich werde oft gefragt, ob Bukarest eine schöne Stadt ist und noch immer dem alten Image eines Paris im Osten entspricht. Eine Antwort darauf fällt mir schwer. In Bukarest befinden sich nach wie vor sehr schöne und imposante Gebäude und ältere Villen, wie zum Beispiel jene, in der die österreichische Botschaft untergebracht ist. Und es gibt unzählige Alleen und Parks. Sogesehen müsste man eigentlich sagen, dass Bukarest eine schöne Stadt sein könnte, würde sie einem entsprechenden Renovierungsprogramm unterzogen und würde man auch bei den Neubauten mehr Sorgfalt und Sensibilität walten lassen.

In jenen Jahren, seitdem ich zum ersten Mal hier gewesen bin, hat sich die Stadt zweifellos verändert. Es gibt viele neue Geschäfte, und alles wirkt freundlicher und lebendiger. Trotzdem machen sich das niedrige Sozialprodukt und die geringen Einkommen bemerkbar. Während in Prag oder auch Warschau eine breite Sanierungswelle ins Auge sticht, sei es auch nur an den äußeren Fassaden, hat dies in Bukarest bis jetzt kaum oder in nur sehr geringem Ausmaß stattgefunden. Wie weit sich hinter den Fassaden auch die geistigen Einstellungen und Ansichten verändert haben, ist schwer einzuschätzen.

Rumänien wird derzeit von einem Präsidenten regiert, der aus der früheren kommunistischen Partei kommt und eine sozialistische bzw. sozialdemokratische Partei gegründet hat. Sein Nachfolger als Vorsitzender dieser Partei ist Ministerpräsident Nastase. Viele haben befürchtet, dass Iliescu das Land in eine falsche postkommunistische Richtung zurückführt.

Ich habe Präsident Iliescu kennen gelernt, als wir noch gute Beziehungen zur Demokratischen Partei hatten, die quasi als eine Schwesterpartei der Sozialdemokratie galt, allerdings in vielen Fällen extrem liberal orientiert war. Iliescu hat gegenüber der Regierung, an der die Demokratische Partei an führender Stelle mitgewirkt hat, keine besonders noble Einstellung eingenommen – jedenfalls meinen das viele Beobachter im Zusammenhang mit einem Bergarbeiterstreik, der letztlich den Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Peter Roman, zum Sturz als Ministerpräsident gebracht hat.

Politische Planspiele

Iliescu war äußert geschickt im Aufbau von Kontakten zu den Sozialdemokraten. Ich kann mich noch gut an eine Veranstaltung der Sozialistischen Internationale, die auf Einladung der Demokratischen Partei in Bukarest stattgefunden hat, erinnern. Ich wurde damals eingeladen, Iliescu in seinem Hauptquartier zu besuchen und habe das auch getan, um mir ein eigenes Bild zu machen. Iliescu zeigte sich sehr selbstbewusst und hat im Gespräch über die ablehnende Haltung von Petr Roman und dessen Partei betreffend die Zusammenarbeit mit seiner eigenen Person und seiner Partei lamentiert.

Nun hat die Demokratische Partei bei den letzten Wahlen eine dramatische Niederlage erlitten. Zuerst wurde Präsident Iliescu gewählt und anschließend auch eine neue Regierung mit Nastase als Ministerpräsident. Der frühere Außenminister Severin etwa, der Mitglied der Demokratischen Partei war und den ich zum ersten Mal bei einem Parteikongress in Iass im Norden Rumäniens getroffen habe, ist bereits vor den Wahlen zur Partei Iliescus übergetreten und ist derzeit Vorsitzender der parlamentarischen Versammlung der OSCE – in dieser Funktion treffe ich ihn immer wieder.

Im Wartezimmer der EU

Insgesamt durchläuft Rumänien aus meiner Sicht derzeit jedenfalls eine gute Entwicklung. Wenn ich an Prag, Budapest oder eben auch Warschau denke, ist vergleichsweise trotzdem ein großer Nachholbedarf vorhanden. Und bei allen positiven Gefühlen, die ich für dieses Land und seine Hauptstadt habe, ist es durchaus gerechtfertigt, dass Rumänien ebenso wie Bulgarien nicht in der ersten Runde der EU-Erweiterung dabei sein wird, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Vielleicht kann man ja diesen beiden Ländern signalisieren, wann ein solcher späterer Zeitpunkt sein könnte, falls die entsprechenden Aufholprozesse stattfinden. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es dagegen negativ – für die Europäische Union, aber auch für Bukarest selbst, wenn Rumänien in der nächsten Erweiterungsrunde EU-Mitglied würde. In diesem Fall würde manche Reformkräfte wohl eher erlahmen, als sich positiv weiterzuentwickeln.

Die Entschiedenheit und der Wille, dieses Land bald in unsere Mitte aufzunehmen, sind vorhanden. Und wir wie auch ich ganz persönlich werden weiter intensiv daran arbeiten, dass Rumänien und seine Hauptstadt sich auch in Zukunft gut entwickeln und in der Europäischen schliesslich eine Heimat finden werden – im Interesse dieses Landes, aber auch in unserem eigenen Interesse. Wir wollen Nachbarn, denen es ähnlich gut geht wie uns.
Bukarest, 7.6.2002