Die belgische Präsidentschaft

Wir sind in eine neue Präsidentschaft eingetreten: Belgien hat an diesem Wochenende den Vorsitz in der Europäischen Union übernommen. 
Wir sind in eine neue Präsidentschaft eingetreten: Belgien hat an diesem Wochenende den Vorsitz in der Europäischen Union übernommen. Natürlich haben wir uns auf diese neue Präsidentschaft auch seitens der Fraktion vorbereitet. So gab es Gespräche mit verschiedenen Ministern, vor allem mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin und Ministerin für Beschäftigung, Laurette Onkelinx.

Für ein starkes Europa

Im Mittelpunkt stand allerdings ein Arbeitsfrühstück mit Premierminister Guy Verhofstadt, an dem auch Frau Onkelinx teilnahm. Verhofstadt ist ein angenehmer, sympathischer und liberaler Politiker, der in sehr klaren Worten die Vorstellungen der Präsidentschaft – vor allem hinsichtlich jener Punkte, die im sogenannten Post-Nizza-Prozess diskutiert werden sollen – auf den Tisch legte. Diesen Vorstellungen liegt unter anderem ein gemeinsames Papier der Beneluxstaaten zu Grunde, das die Eckpfeiler der Zukunft der Europäischen Union umreißt. Ein Papier, das sich sehr für ein kräftigeres Europa durch Stärkung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments ausspricht.
Das Papier unterstreicht ausserdem die Idee des Konvents, der diese Debatte konzentriert führen sollte. Allerdings wird, und das ist ein kleiner Wermuthstropfen, nicht der Begriff Konvent, sondern der Terminus Forum verwendet. Es kommt zwar nicht auf Begriffe an, aber der Titel Forum klingt doch all zu sehr nach Unverbindlichkeit, nach einem Diskussionsforum.

Konvent, nicht Forum

Der Begriff Konvent weist dagegen klar darauf hin, dass eine Art Verfassungskonvent stattfinden soll, dass es also um die Diskussion und Ausarbeitung sehr konkreter und detaillierter Vorschläge geht – Vorschläge, die letztendlich die Zustimmung der Regierungschefs bekommen müssen.
Der Begriff Konvent, den auch das Europäische Parlament verwendet, ist nicht von ungefähr in Gebrauch gekommen. Und er wird vor allem von jenen eingefordert, die ganz klar ausdrücken wollen, dass dieser Konvent, bestehend aus Parlamentariern der europäischen Ebene, also des Europaparlaments und der Nationalen Parlamente, angereichert um die Regierungs- und Kommissionsvertreter sowie um den Dialog mit der zivilen Gesellschaft im weiteren Sinn, eine Art Verfassungsprozess in Gang setzen wollen.

Kompetenzordnung

An Verhofstadts Äusserungen hat mir dagegen gefallen, dass er nicht von Kompetenzabgrenzung, sondern von Kompetenzordnung, also der Aufteilung der Kompetenzen auf die verschiedenen Institutionen und Ebenen der Europäischen Union, gesprochen hat. Genau das habe ich selbst immer wieder eingefordert. Nationale, vielleicht sogar regionale Regierungen und die Europäische Ebene lassen sich nicht von einander trennen.
Im Rahmen der Integrations-, Wirtschafts- oder Verkehrspolitik etc. sind selbstverständliche einzelne Punkte auf jeweils unterschiedlichen Ebenen zu regeln. Aber dem Bürger gegenüber sollte doch eine möglichst kohärente Politik gemacht werden. Und das kann nicht durch Abgrenzung bzw. Abschottung von Kompetenzen geschehen, sondern nur durch eine effiziente Aufteilung, die letztendlich immer die Zusammenarbeit und das Gesamtziel vor Augen hat.

Gemeinsamer politischer Raum

Verhofstadt machte ausserdem klar, dass es ihm ein besonderes Anliegen ist, eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit herzustellen. Wie er gemeint hat, gibt es einen gemeinsamen Wirtschaftsmarkt, aber keinen gemeinsamen politischen Markt. Es ist bezeichnend, dass er als Liberaler versucht hat, die politische Ebene mit dem Begriff Markt zu analysieren. Ich glaube aber trotzdem, dass er Recht hat, wenn er beispielsweise fordert, dass der Präsident der Europäischen Kommission direkt von der Bevölkerung gewählt werden soll.
Es geht insgesamt darum, andere Möglichkeiten, etwa Referenden, zu schaffen, die einen solchen gemeinsamen europäischen politischen Raum herstellen können. Und zwar nicht nur auf der Ebene der Institutionen, der Parlamente und Minister, sondern auch auf der direkten Ebene der Bevölkerung.

Die Vertrauensfrage

Es war alles in allem eine durchaus interessante Diskussion. Im Verlauf des Gesprächs habe ich allerdings eine Frage gestellt, die in diesen institutionellen und politischen Rahmen vielleicht weniger hineingepasst hat, die mir aber trotzdem sehr wichtig erschien. Rufen wir nicht mit der derzeit laufenden Debatte über die Zukunft der Europäischen Union, die eigentlich zugleich eine Debatte über die Krise der Europäischen Union ist, in den Augen der Bevölkerung Misstrauen bzw. eine Distanz gegenüber den Europäischen Institutionen hervor?
Wir sind momentan in einer Situation, in der die Wirtschaft sich abschwächt, in der es vielleicht wieder zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit kommt. Wie soll einer solchen Europäischen Union, die es in den Augen der Bevölkerung nicht schafft, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische positive Signale zu setzen, Vertrauen entgegengebracht werden?

„Sparen, sparen, sparen“ allein ist zu wenig!

Verhofstadt selbst und auch Laurette Onkelinx antworteten mir mit dem Hinweis, in Zukunft die einzelnen Initiativen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik besser abzustimmen und in jedem Frühjahr eine Art wirtschafts- und sozialpolitischen Sondergipfel abzuhalten. Für mich war diese Auskunft allerdings nicht sehr befriedigend. Es ginge mir persönlich vielmehr darum zu zeigen, dass die Europäische Union – sei es bei Investitionstätigkeiten oder in der Zinspolitik – unmissverständlich signalisiert, dass zuallererst die Schaffung von Arbeitsplätzen etc. Vorrang hat.
Verhofstadt ist in diesem Punkt naturgemäß etwas zurückhaltend. Keiner wünscht sich neue budgetpolitischen Ungleichgewichte und neue extreme Verschuldungen. Aber die Devise „sparen, sparen, sparen“ allein kann ebenfalls nicht die richtige Antwort sein. Es muss stattdessen zu einer ausgeglichenen Politik kommen. Und es darf keine Missachtung gegenüber einer steigenden Arbeitslosigkeit geben. Andernfalls kann man sich aufwendige und komplizierte Debatten über die Frage, warum wir zu wenig Vertrauen der europäischen Bevölkerung in dieses Europa haben, gleich von vornherein ersparen! 
Wien, 1.7.2001