Die Causa prima

Was ist das eigentlich für ein Verständnis von Politik, wenn man davon ausgeht, daß die Sprache, die Worte das eine bedeuten und die Politik in eine ganz andere Richtung geht? 
Die vergangene Woche begann mit einer Diskussion im österreichischen Fernsehen im Rahmen der Serie „Zur Sache“ mit dem Thema Nummer 1 dieser Wochen – Österreich und die Europäische Union -, und sie endete arbeitsmäßig mit einer Diskussion anläßlich der Eröffnung der Rassismusbeobachtungsstelle in Wien heute mittags zu dem selben Thema.

Österreich und das Verhalten der Europäischen Union bzw. der 14 Partnerstaaten ist also nach wie vor ein wichtiges Thema, das sich auch während der Woche insbesondere durch die bereits beschrieben Fraktionstagung in Lissabon durchzog.

Regierung kontra Opposition

Die Fernsehkonfrontation der vier Delegationsleiter Österreichs im Europäischen Parlament war in Wirklichkeit eine Konfrontation zwischen der Regierung und der Opposition. Natürlich gab es zwischen allen Teilnehmern Nuancen, aber dies war trotzdem die Bruchlinie zwischen den Argumentationssträngen dieser Diskussion.
Es ist nicht leicht, einen Mittelweg zwischen der Verteidigung Österreichs, des Landes und seiner BewohnerInnen einerseits und der Verteidigung der europäischen Werte, für die der Beschluß der 14 steht, andererseits zu finden. Aber es geht sicherlich nicht darum, mit blindem Patriotismus eine Regierung zu verteidigen, die sich nicht klar und unwiderruflich auf dem Boden dieser europäischen Werte, der Toleranz, der Akzeptanz der Unterschiedlichkeit und der Akzeptanz der Wichtigkeit des europäischen Erweiterungsprozesses stellt.
Nicht, daß eine Regierung das machen muß, was die anderen 14 wollen, aber das gemeinsame europäische Aufbauwerk kann nur dann gelingen, wenn es einen Grundkonsens gibt. Und jedenfalls Haider hat sich eindeutig genau gegen diesen Grundkonsens gestellt. Das macht die Reaktion der 14 in ihrem Kern verständlich, aber das macht es auch notwendig, daß alle Mitgliedsländer der EU diesen Grundkonsens nicht nur verbal, sondern auch faktisch in ihrer Gesetzgebung und in ihrer Tagespolitik vertreten.

Politik und Rassismus

Auf diesen Punkt kam ich insbesondere bei der Diskussion im Rahmen der Eröffnung der Rassimusbeobachtungsstelle in Wien am 7. April zurück. Gemeinsam mit Ursula Stenzel, Daniel Vernet von „Le Monde“ und Anne Knudsen, einer Journalistin aus Dänemark, diskutierten wir das Verhältnis von Politik und Rassismus.
In 5 Thesen habe ich versucht, meine Position darzulegen, nicht auf Österreich alleine zugeschnitten, aber auf den – notwendigen und gewünschten – Grundkonsens der Europäischen Union orientiert:

Unglaubwürdige Regierung

1.) Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sind Phänomene, die leider in allen europäischen Ländern beobachtbar sind. Daher ist es die Aufgabe aller europäischen Regierungen und aller europäischer Institutionen, gegen diese menschenverachtenden und gesellschaftsspaltenden Tendenzen zu wirken und zu handeln. Das muß ein gemeinsames europäisches Selbstverständnis sein.
Das Problem der neuen Regierung in Österreich ist, daß es schwer vorstellbar ist, daß eine Regierung, die Vertreter einer Partei beinhaltet, die offensichtlich und offensiv rassistische und fremdenfeindliche Argumente verwenden, um Stimmen zu gewinnen und um Stimmung zu machen, sich in den Kampf gegen den Rassismus und gegen die Fremdenfeindlichkeit einreiht und einfügt.

Sprache ist eine gefährliche Waffe

2.) Es wird oft argumentiert, es seien nur die Sprache und einige Aussagen von Haider und anderen, auf die seitens der Europäischen Union bzw. der 14 reagiert würde. Man sollte statt dessen die Regierung an ihren Taten messen.
Aber wir alle wissen, daß die Sprache eine sehr gefährliche Waffe und ein sehr gefährliches politisches Instrument darstellt. So gibt es ja auch in allen Strafrechtsordnungen Delikte, die durch die Sprache begangen werden. Starke Worte sind Tatsachen, sind Handlungen. Verhetzung, Verächtlichmachung, Diskriminierung, auch wenn sie „nur“ durch Sprache erfolgen, durch Politiker, durch Medien, schaffen Tatsachen, vor allem schaffen sie ein Wählerpotential und Wählerinnen und Wähler für rechtsgerichtete Parteien, auf die die Parteien dann gezwungen sind, zu reagieren, selbst wenn sie theoretisch nur Stimmung und Stimmen wollten und nicht beabsichtigt hätten, Handlungen im Sinne ihrer Sprache zu setzen.

Verräterisches Politikverständnis

3.) Was ist das eigentlich für ein Verständnis von Politik, wenn man davon ausgeht, daß die Sprache, die Worte das eine bedeuten und die Politik in eine ganz andere Richtung geht? Wie kann man dem Bürger, der Bürgerin in und außerhalb Österreichs verständlich machen, daß man ganz bewußt die Sprache einsetzt, um gewisse Stimmungen zu erzeugen und dann eine Politik macht, die mit dieser Sprache und diesen Stimmungen keineswegs übereinstimmt?
Das ist unglaubwürdig, falsch und verräterisch und kann schon als solches unabhängig vom Thema und von der Substanz von der Politik nicht akzeptiert werden.

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

4.) Alle Gesellschaften sind aufgerufen, sich mit ihrer Vergangenheit und auch mit manchen unöffentlichen, geheimen Linien ihrer Politik, der sogenannten „hidden agenda“ ihrer Politik, auseinanderzusetzen und im Sinne einer neuen und transparenten Politik den Dialog mit den BürgerInnen aufzunehmen. Ob es sich um die Vergangenheit des Nationalsozialismus handelt, ob es sich um die koloniale Vergangenheit oder um neokoloniale Gegenwart handelt – es gibt wenige, die sich nichts vorzuwerfen haben. Niemand hat in diesem Dialog eine absolut eindeutige moralische Position vertreten.
Es geht also sicherlich nicht darum, daß die einen – z.B. Österreich – die Bösen, und daß die anderen – z.B. die 14 – die Guten sind. Sondern es geht vielmehr darum, daß sich alle bemühen, aus den dunklen Seiten ihrer Geschichte und zum Teil auch aus ihrer Gegenwart zu lernen, einen neuen Anstoß zu nehmen. Und so gibt es zum Beispiel auch die Grundrechtscharta, die derzeit im Rahmen der Europäischen Union diskutiert wird, nicht nur zu beschließen, sondern ins Vertragswerk der EU aufzunehmen, damit sie einen verbindlichen Kriterienkatalog darstellt für die Beurteilung der Aktionen, der Handlungen, der Gesetze, der Direktiven der Europäischen Institutionen. Aber auch die Regierungen, soweit sie in Ausführungen der europäischen Regelungen handeln, und letztendlich auch die Handlungen nationaler Institutionen, wie Parlament und Regierung, sollten daran gemessen werden können.
Daher ist diese Debatte über den europäischen Grundrechtskatalog von zentraler Bedeutung, auch um die Ernsthaftigkeit der Entscheidung der 14 zu beurteilen. Die Aktion der 14 darf nicht als Einzelaktion gegen Österreich gesehen werden. Sie muß einen neuen europäischen Standard setzen – nicht so sehr im Sinne der Beurteilung der jeweils anderen, sondern auch im Sinne der Beurteilung der eigenen Positionen, der eigenen Gesetze, der eigenen Verwaltungshandlungen, zum Beispiel in der Migrationspolitik. Denn dann wäre – so unangenehm für Österreich die Entscheidung der 14 ist – Österreich der Anlaß, jenes europäische Selbstverständnis, das hier etwas amorph und nicht optimal vom Verfahren her zustande gekommen ist, auch als konkrete Ausgangs- und Überprüfungsbasis für Europa zu definieren.

Vom Geist der Toleranz getragene Migrationspolitik

5.) Besonders unangenehm fällt auf, wie in Österreichs Medien und Politik argumentiert wird, daß es bei uns zugegebenermaßen Probleme mit Fremdenfeindlichkeit, Antirassismus und Intoleranz gibt, daß es aber in anderen Regionen noch viel schlimmer oder zumindest nicht besser sei.
Das ist eine völlig inakzeptable Haltung, wenn es darum geht, im eigenen Bereich für Toleranz, Verständnis und Akzeptanz zu sorgen, und wenn es darum geht, im eigenen Land dafür zu sorgen, daß im Rahmen der Gesetzgebung und der Verwaltungshandlungen – insbesondere, was die Migration und was die Integration betrifft – nicht diskriminiert wird – nicht zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, nicht zwischen Mann und Frau etc. Und damit ist nicht gemeint, daß es keine explizite Migrationspolitik geben darf – es muß sie sogar geben, es muß Regeln für die Zuwanderung, für die Integration geben. Aber sie müssen vom Geist der Toleranz und der Nichtdiskriminierung getragen werden. Und sie müssen dem heutigen europäischen Standard entsprechen. 

Wien, 7.4.2000