Die Causa Temelin

Die Frage Temelin, die für die Regierung, insbesondere für die FPÖ, ein willkommenes Ablenkungsmanöver ist, ist aus meiner Sicht nicht das Feld der Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokratie und Konservativen.
Gestern wurde bekannt, dass Bundeskanzler Schüssel und der tschechische Premierminister Zeman unter dem Vorsitz, der Vermittlung bzw. der Gesprächsleitung von EU-Kommissar Verheugen die weitere Vorgehensweise über Temelin vereinbart haben.
Damit ist der langwierige der Prozess zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. In der Folge sollen einerseits auf tschechischer Seite entsprechende Maßnahmen gesetzt werden, um erhöhte Sicherheitskriterien zu erfüllen. Andererseits soll Österreich, wenn jedenfalls die ersten Schritte bis Anfang Dezember eingeleitet sind, auch das Energiekapitel wie alle anderen Kapitel vorläufig abschliessen.

Mit geteiltem Herzen

Ich stehe diesen getroffenen Vereinbarungen mit geteiltem Herzen gegenüber. Einerseits freue ich mich, dass es unter Mitwirkung der Europäischen Kommission zu einer, wenn man so will, Streitbeilegung zwischen der österreichischen und der tschechischen Regierung gekommen ist – unabhängig von einzelnen Details. Andererseits weiß ich, dass Österreich allein gelassen wurde, weil die permanenten Störfeuer der FPÖ, die Veto-Drohungen etc., uns in der Europäischen Union keine Freunde gemacht haben.
Und ich verstehe Schüssel, dass er versucht hat, möglichst noch bevor all zu viel Porzellan zerschlagen wird, zu einer Einigung mit der tschechischen Regierung zu kommen. Allerdings hätte er schon früher beginnen müssen, der FPÖ ein klares Nein bei ihren extrem populistischen Mobilisierungen in Österreich entgegen zu halten. Es geht ja nicht darum, ob einem ein nukleares Kraftwerk gefällt. Mir zum Beispiel gefällt es überhaupt nicht. Ich halte das Risiko von Nuklearanlagen für zu groß, um es akzeptieren zu können. Aber nicht alles, was man persönlich nicht akzeptiert, kann man auch verhindern.

Klare Haltung einnehmen

Wenn man ein seriöser Gesprächspartner in Europa bleiben oder werden möchte – je nach dem – dann muss man auch gegenüber Temelin eine klare Haltung haben, das Maximum an Sicherheit verlangen und unmissverständlich formulieren, dass man ein solches Risiko in Europa nicht tragen möchte. Und gleichzeitig muss man klar zum Ausdruck bringen, dass es nicht um Maßnahmen gegen eine bestimmte Regierung oder Bevölkerung geht, um eine vorgeschobene Argumentation über die Erweiterung zu verhindern etc.

Gespaltene Reihen

Genau das ist aber nicht klargestellt worden. Hinzu kommt eine entsprechende Medienkampagne, die nicht von der Masse, aber doch von sehr wesentlichen Medien im Land getragen wurde.

Dass schliesslich Maria Berger und ich der Schüssel-Zeman-Vereinbarung ein gewisses Verständnis entgegengebracht haben, hat vielen in der SPÖ nicht gefallen. Zugleich weiß ich, dass etliche meine bzw. unsere Meinung teilen. Auch die Debatte im Parteivorstand hat gezeigt, dass viele in unseren Reihen der Meinung sind, dass man seitens der SPÖ eine Linie vertritt, die inhaltlich nicht viel anderes als ein Veto mit sich bringen würde. Insbesondere Josef Cap, mit dem wir erst vor kurzer Zeit in Brüssel diskutiert haben, vertritt sehr stark die Linie, der Regierung nicht entgegenzukommen.

Wir können die FPÖ nicht einholen

Meine Position ist, dass ich an dieser Regierung sehr viel zu kritisieren habe: in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik, in der Gesundheitspolitik. Es gibt wahrlich genug Auseinandersetzungen mit dieser Regierung und ich glaube als Sozialdemokrat, dass wir uns auf diese Fragen konzentrieren sollten. Die Frage Temelin dagegen, die für die Regierung, insbesondere für die FPÖ, ein willkommenes Ablenkungsmanöver ist, ist aus meiner Sicht nicht das Feld der Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokratie und Konservativen. Da wird uns die FPÖ immer um eine lange Nasenlänge voraus sein. Die Meinungen, was diese Frage betrifft, sind jedenfalls höchst unterschiedlich. Und kommt es tatsächlich zu einem gravierenden Störfall, so hat zweifellos Cap die richtige Linie vertreten.
Aber ich mache mir insgesamt Sorgen um das österreichische Image in Europa und die Gesprächsfähigkeit der österreichischen Sozialdemokratie mit den anderen sozialdemokratischen Parteien. Und zwar nicht nur um des Images oder der Gesprächsfähigkeit willen, sondern weil wir ein Ziel haben, das uns allen gemeinsam ist: die nuklearen Anlagen in Europa möglichst zum Verschwinden zu bringen und den Ausstieg aus der Atomenergie zu erzielen. Wenn man das aber tun möchte, muss man ein anerkannter Gesprächspartner sein, dessen Argumente gehört, zumindest überlegt, wenn nicht gleich in der ersten Runde akzeptiert werden. Das scheint mir derzeit weder für Österreich gegeben zu sein, noch für die SPÖ in ausreichendem Maße, wenn wir bei Temelin keine andere Position vertreten.

Nukleares Sicherheitskonzept erarbeiten

Die meisten EU-Regierungen sind vom grossen Engagement Kommissar Verheugens nicht begeistert, weil dieses zu sehr in Richtung von europäischen Standards für die Sicherheit geht. Ich hingegen meine, wir bräuchten solche Standards. Ich habe mich dafür im Parlament und auch in einer Anfrage bei Verheugen eingesetzt.
Im Prinzip ist der Null-Ausstieg aber keine Alternative, die wir kurzfristig erzielen können. Die einzige wirkliche Alternative ist die verbindliche Sicherheit. Hier kann und soll man einen juristisch tragfähigen Kompromiss bzw. eine Verankerung, die auch eine Klage bei Nichterfüllung der Vereinbarungen vorsieht, erreichen.

Sachlich, nicht unterschwellig-emotional

So überlegt etwa Irland, gegen eine Nuklearanlage in Sellafield nahe der irischen See auf unterschiedlichsten Ebenen zu klagen – mit dem Argument der Verzerrung des Wettbewerbs (zum Beispiel durch unangemessen Kredite oder Garantieerklärungen) aufgrund der Tatsache, dass die britische Regierung die Frage der Umweltbeeinflussung ohne entsprechende Mitsprache Irlands behandelt etc. Irland wird deshalb aber nicht fordern, dass England aus der EU ausgeschlossen wird oder in anderen Angelegenheiten englische Wünsche einfach blockiert werden.
Man muss auch in Europa klar an jene Dinge herangehen, die problematisch sind und gefährlich sein können. Aber die unterschwellige, anti-tschechische Stimmung, die in Österreich herrscht, noch zu fördern, halte ich für äußerst problematisch und höchst kontraproduktiv.  
Wien, 1. Dezember 2001