Die Kurden: Europas Versagen

Europa braucht eine klare Position in der Kurden-Frage.
Die Gefangennahme und Entführung des Kurdenführers Öcalan hat natürlich auch das Europäische Parlament beschäftigt.
Wir waren tief erschüttert von der Nachricht, daß Öcalan beim bzw. nach dem Verlassen der griechischen Botschaft verhaftet und auf dem schnellsten Weg in die Türkei gebracht worden war. Nicht, weil wir für den „Apo“, den „Onkel“ der PKK soviel Sympathie hegen, sondern weil viele von uns beschämt waren, daß die Flucht Öcalans aus Syrien auf diese Weise endete. Vor allem aber waren wir betroffen, daß die Flucht Öcalans bzw. sein Aufenthalt in Europa nicht genützt wurde, um sowohl eine Lösung des Falles Öcalan inklusive eines gerechten Verfahrens, als auch eine – sicher schwierige und nur schrittweise erreichbare – Lösung der Kurdenfrage zu erzielen.
Daß die Kurdenfrage auch eine Frage Europas ist, wurde ja nicht zuletzt durch die Demonstrationen, Besetzungen und einige Geiselnahmen durch die Kurden nach der Inhaftierung Öcalans deutlich. Dabei zeigte sich wieder einmal die Schizophrenie und Widersprüchlichkeit unserer Öffentlichkeit. Einerseits lehnen wir – mit vollem Recht – solche Gewaltaktionen ab, andererseits – und genau das verführt zur Anwendung von Gewalt – wird die „Öffentlichkeit“ oft nur durch solche Gewaltmanifestationen auf Probleme aufmerksam und entsteht oft nur so Druck zur Lösung dieser Probleme.

Hier wird – ähnlich wie im Falle des Kosovo – die Schwäche Europas besonders deutlich. Aus Bequemlichkeit und Sorglosigkeit „verschlafen“ wir die richtigen Augenblicke, Lösungen anzugehen und sind dann über Konflikte und Gewaltausbrüche entsetzt, die durch rechtzeitiges Handeln verhindert bzw. zumindest verringert hätten werden können.

Unsere Forderungen, wie sie in einer Resolution des Europäischen Parlaments zum Ausruck kamen, haben sich daher nicht nur auf ein faires Verfahren für Öcalan, sondern auch auf die Lösung der grundsätzlichen Frage der Anerkennung der kurdischen Identität in der Türkei bezogen.
Dazu habe ich bereits in meinem Bericht zum Verhältnis Türkei-EU einiges gesagt. In Gesprächen in der Türkei, in Gesprächen mit Kurden im Exil, zuletzt in einer direkt übertragenen Fernsehdiskussion unter anderem mit Danielle Mitterrand, der Frau des ehemaligen französischen Präsidenten Mitterand, habe ich immer wieder versucht, auf die Bedürfnisse und Bestrebungen der Kurden aufmerksam zu machen und dennoch die nationalen Gefühle „der Türken“ zu berücksichtigen. Leider gab es für diese Linienzuteilung wenig Unterstützung und Nachdruck der EU insgesamt. Das haben Pauline Green und ich in einer Resolution zum Ausdruck gebracht, die nur mit geringfügigen Änderungen angenommen wurde.
Ich diesem Sinn habe ich daher auch meine Rede im Europäischen Parlament strukturiert:

„Der Herr Ratspräsident hat klar und deutlich gesagt, daß eine Unfähigkeit zutage getreten ist seitens des Rates und der Europäischen Staatengemeinschaft, die Frage Öcalan gemeinsam zu behandeln. Ja, es hat diese Unfähigkeit gegeben, und es ist eine Schande, wie in den letzen Monaten diese Unfähigkeit zum Ausdruck gekommen ist. Aber besonders ärgert mich und eine besondere Schande ist, daß selbst nachdem Öcalan – unfreiwillig – in der Türkei gelandet ist, eine Erklärung abgegeben wurde, die das Papier nicht wert ist, auf der sie steht, denn in ihr kommt nicht ein einziges Mal das Wort `kurdisches Problem` oder `kurdische Situation` vor. Es wird von Problemen geredet, die zu lösen sind.
Herr Ratspräsident, Sie sind nicht für dieses Dokument in besonderer Art verantwortlich. Sie haben hier eine klare und deutliche Sprache gesprochen. Sie waren nicht sanft mit der PKK, aber es war wenigstens eine eindeutige und klare Sprache. Ich würde mir wünschen, daß auch die Außenminister oder der Rat zu einer eindeutigen Sprache kommen, statt solche Dokumente zu produzieren, die eigentlich die Unfähigkeit zu einer gemeinsamen Position dokumentieren.
Zweitens, wir beschäftigen uns hier auch mit dem Fall Öcalan und nicht nur generell mit der Kurdenfrage, und Pauline Green hat ganz eindeutig unsere Position zu einer friedlichen und politischen Lösung dargelegt. Öcalan ist für uns weder der große Held noch der Onkel, aber Öcalan verdient wie viele andere eine gerechte Behandlung, eine Behandlung, die auf seine Gesundheit achtet, eine Behandlung, die fair, anständig, öffentlich und transparent ist, eine Behandlung, die zuläßt, daß auch die Anwälte zu ihm kommen können, Anwälte, die er hoffentlich auch wirklich frei wählen kann. Deshalb kümmern wir uns auch um Öcalan, weil er ein Symbol geworden ist, ein Symbol für viele andere Verfahren, die leider unbemerkt in der Türkei abgewickelt werden und wo unfair, untransparent und dem Rechtsstaat hohnsprechend vorgegangen wird. Es ist nicht eine Frage der Menschlichkeit für die Türkei, sondern auch der politischen Klugheit, wenn die Türkei wenigstens dieses Verfahren objektiv, fair und öffentlich durchführt.
Wir verlangen von der Türkei – und wir werden nicht aufhören, das zu verlangen -, daß die Türkei ihre Haltung ändert und eine politische Lösung des Problems anvisiert, politisch an das Problem der Kurden und der Rechte der Kurden geht – da gebe ich Ihnen in dem völlig recht, was Sie dazu gesagt haben. Wenn das geschieht, dann kann die Türkei sicher sein, daß jeder in diesem Parlament auch die Kurden davon überzeugen wird, daß auch sie ihren Beitrag dazu leisten sollten, daß es eine friedliche, eine politische Lösung gibt. Es braucht zwei Seiten, es braucht die Türkei, und es braucht die kurdischen Organisationen, die alles dazu tun müssen, um eine friedliche Lösung zu erreichen. Wir in diesem Parlament werden jedoch nicht aufhören, für eine friedliche Lösung einer nur friedlich und politisch zu lösenden Frage einzutreten.“

(Rede vor dem Europäischen Parlament, Brüssel, 24.2.1999)

Nach Wien zurückgekehrt, habe ich auch zu einem „Runden Tisch“ mit zwei kurdischen Vertretern eingeladen. Da ich die Einladung auch an Pressevertreter ging, wurde dieses Treffen vorzeitig öffentlich und politisch gegen die SPÖ bzw. gegen mich ausgenützt.
Ich glaube jedoch, daß der Dialog mit politischen Vertretern der Kurden -Gewaltverzicht- vorausgesetzt weitergehen muß. Die Kurden dürfen nicht das Gefühl der Isolation und Hoffnungslosigkeit bekommen, denn das würde nur zu Gewaltmaßnahmen und damit zum Schwinden der Sympathie für die Sache der Kurden führen. Aber genau dieselben Organisationen ob sie ERNK oder PKK heißen müssen die radikalen Haßgefühle dämpfen und „zurücktreten“. Für Gewalt gib es immer weniger Verständnis und Toleranz.

Wien, 27. Februar 1999