Ein Skelett für Europa

Ende Oktober 2002 wurde dem Konvent der erste Entwurf zu einer neuen europäischen Verfassung vorgelegt.
Jetzt ist er also da, der erste Entwurf zu einer neuen europäischen Verfassung, wie er dem Konvent dieser Tage vorgelegt worden ist. Es ist ein Skelett, wie es Giuliano Amato, der ehemalige italienische Ministerpräsident und nunmehrige Vizepräsident des Konvents, gestern in seiner Rede bei einer Veranstaltung des Wiener Institutes für die Wissenschaft vom Menschen formuliert hat.

Lückenhafter Verfassungsentwurf

Als Kommentator zu Amatos Rede fragte ich mich allerdings, wie nun die Person aussehen sollte, die zu diesem Skelett passt. Darüber wird im vorliegenden Verfassungs-Entwurf nämlich nur wenig ausgesagt. Zwar sind wir seit Nizza ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben einen Konvent, der über die Zukunft Europas diskutiert. Und es besteht breiter Konsens darüber, dass es in und für Europa eine Verfassung geben soll. Dann allerdings löst sich der Konsens schon wieder ziemlich auf. Wenn ich schließlich Kriterien wie Einfachheit, Entscheidungsfähigkeit, Transparenz und Übersichtlichkeit zur Bewertung der bisherigen Debatte heranziehe, dann bin ich nicht sehr zufrieden.
Viele meinen, wir brauchen einen auf mehrere Jahre gewählten Präsidenten des Rates anstatt rotierender Ratspräsidentschaften. Dann stünden aber an der Spitze der EU zwei miteinander konkurrierende Präsidenten – der des Rates und der der Kommission. Was sollen die BürgerInnen Europas davon denken? Wer ist für sie dann der Präsident der EU? Entstehen dadurch nicht zu viel Konkurrenz und Wettbewerb und noch mehr Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen?

Viele offene Fragen

Darüber hinaus soll ein Volkskongress aus nationalen Parlamentariern gebildet werden. Dieser Kongress soll die Einhaltung der Subsidiarität überwachen, also verhindern, dass etwas auf europäische Ebene geholt wird, das dort nicht hingehört. Aber wann und wie soll dieser Volkskongress das durchführen? Und wird dieses Vorhaben Transparenz und Übersichtlichkeit der europäischen Entscheidungsstrukturen erhöhen?
Was ist mit der Außen- und Sicherheitspolitik? Wo wird sie personell angesiedelt? Ich persönlich plädiere ausdrücklich für eine Ansiedlung bei der Kommission, selbst wenn der zuständige Kommissar gleichzeitig Hoher Repräsentant im Auftrag der Mitgliedsländer ist, also als Vertreter von Kommission und Rat agiert.
Was passiert mit der Grundrechtscharta? Wird sie inklusive der sozialen Rechte in die Verfassung integriert – was ich für selbstverständlich erachte – oder wird sie in den Anhang verwiesen?

Effiziente Struktur notwendig

Es gibt noch viele andere offene Fragen. Ich meine aber jedenfalls, dass die Grundeinstellung beim Entwurf einer europäischen Verfassung die sein muss, einem erweiterten Europa eine Struktur zu geben, die für die – jedenfalls interessierten – BürgerInnen durchschaubar ist, die – relativ – rasche Entscheidungen ermöglicht, keine eingebauten Selbstblockaden schafft und hilft, nationale Eigenheiten zu berücksichtigen, aber nationale Egoismen, insbesondere in der Außenpolitik, Stufe um Stufe abzubauen.
Nur so können wir uns zu einem Partner der USA und einem aktiven „global player“ entwickeln. Andernfalls haben wir die Häme und Überheblichkeit verdient, mit der uns die USA heute behandeln!
Wien, 30.10.2002