Eine Hürde gemeistert

Mein Bericht über die Betrittspartnerschaft zwischen der EU und der Türkei wurde wurde vom Europäischen Parlament mit deutlichem Stimmenüberhang angenommen. 
Ich habe wieder eine sehr aktive Strassburgwoche hinter mich gebracht. Ausser der Teilnahme an den verschiedenen Treffen, Fraktionssitzungen und dem Essen mit den Kommissaren habe ich diese Woche auch vier Mal im Plenum des Parlaments das Wort ergriffen.
Montag Abends wurde ich gebeten, zur zweiten Lesung eines Berichtes des Kollegen Savary über die Interoperabilität des Eisenbahnwesens zu sprechen, also über die Harmonisierung zwischen den verschiedenen Europäischen Bahnen, vor allem auf technischem Gebiet.

Demokratische Entscheidungsprozesse

Dienstags ging es um den Bericht der Kommission über das Arbeitsprogramm des vorigen Jahres, das dem Parlament verspätet vorgelegt wurde. Im Mittelpunkt standen dabei allerdings auch weniger einzelne Detailvorschläge. Es ging vielmehr um gewisse Grundmuster im Entscheidungsprozess der Kommission und ihrer Einstellung zum Europäischen Parlament. Zu dieser Frage hatte es in der Fraktion schon im Vorfeld mehrmals Debatten gegeben. Viele sind gegenüber der Kommissionseinstellung und ihren Bemühungen, die zivile Gesellschaft in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen, skeptischer als ich es bin. Aber in meiner Rede habe ich nicht nur die Fraktionsmeinung zum Ausdruck gebracht, sondern auch meine eigene Meinung, dass im Mittelpunkt des demokratischen Entscheidungsprozesses auf jeden Fall das Parlament stehen muss und die verschiedenen Lobby-Gruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft nur komplementär dazu miteinbezogen werden sollen.

Donnerstag Nachmittag ging es bei den so genannten Dringlichkeiten um die Situation in Südserbien und im Kosovo – eine nicht ganz ungefährliche Situation für die Stabilität und die Ruhe in dieser krisengeschüttelten Region. Ich habe aus meinen Erfahrungen der vergangenen Tage, die wir ja in Belgrad verbracht hatten, natürlich meine Konsequenzen gezogen.

Türkei – ein schwieriges Kapitel

Das schwierigste Kapitel in dieser Strassburgwoche war für mich unbestritten die Vorlage meines Berichtes über eine Beitrittspartnerschaft zwischen der EU und der Türkei. Ich habe in den vergangenen, aber auch in dieser Woche immer ein Auf und Ab von Gerüchten gehört, dass es Schwierigkeiten oder eben keine Schwierigkeiten gäbe. Ausserdem habe ich befürchtet, dass sich irgendein Ereignis in der Türkei selbst – etwa im Zusammenhang mit der beschämenden Situation in den Gefängnissen oder der problematischen Reaktion des französischen Parlaments hinsichtlich des Genozids an den Armeniern – negativ auswirken könnte. Mit der bzw. über die Türkei kann man eigentlich keinen Bericht erstellen, ohne dass man nicht damit rechnen müsste, dass es immer wieder zu Störungen von unterschiedlichster Seite, nicht zuletzt auch von der Türkei selbst, kommen kann.

Gleichbehandlung

Die Europäische Volkspartei hat überdies versucht, einen Abänderungsantrag, den ich zum Kommissionsvorschlag eingebracht habe, zu Fall zu bringen. Mein Antrag sollte sicherstellen, dass die Kommission in ihre Programme hinsichtlich einer Reform der Landwirtschaft und eines Ausbau der Infrastruktur auch die Türkei einbeziehen sollte. Diese Miteinbeziehung der Türkei in die entsprechenden Programme ist eine revolutionäre Vorstellung – das ist mir durchaus bewusst – sie könnte aber durchaus langfristig erfolgen. Mir ging es ausserdem darum, den Grundsatz der Gleichbehandlung der Türkei gegenüber anderen Beitrittskandidaten zu manifestieren.
Nun, auch das Votum der Europäischen Volkspartei gegen diese Bestimmung hat nichts am Abstimmungsergebnis geändert. Dieser Abänderungsantrag ist genauso angenommen worden wie die anderen, und mein Bericht wurde insgesamt mit deutlichem Stimmenüberhang akzeptiert. Das ist nicht nur der erste Grundstein für die weiteren Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, sondern es war auch für mich persönlich ein befriedigendes Ergebnis, da in der Türkei sehr genau beobachtet wurde, wie es mir ergeht: Kann ich das halten, was ich versprochen habe oder werde ich eine Niederlage erleiden?

Wohltuende Abstimmungsmehrheit

Es war für mich schon ein sehr, sehr angenehmes Gefühl, als ich nach der Abstimmung den Saal verließ und gemerkt habe: Ja, es ist gelungen, der Bericht ist durchgegangen. Die Störmanöver haben nicht gewirkt. Und in diesem Moment wurde ich ruhiger und konnte mich auf die vielen Interviews konzentrieren, die ich den griechischen, türkischen und zypriotischen Fernsehstationen nach der Abstimmung zu geben hatte.
Gerade bei diesen Interviews ging es den meisten Medienvertretern um eine Frage, die ich selbst angeschnitten habe: Was passiert, wenn die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen als Bedingung für einen Beitritt nicht erfüllen kann? Wie geht es dann ganz konkret weiter? Gibt es eine Alternative zur Mitgliedschaft einerseits und zum Anstieg der krisenhaften Entwicklungen zwischen den Beziehungen der EU und der Türkei andererseits? Sollte es im Falle der Nichterreichung der Ziele, die sich die Türkei jetzt auch im nationalen Parlament selbst stellen wird, Alternativen geben, dann muss man jedenfalls nach diesen Alternativen suchen!

Reformen nach innen und aussen

Diese Einschätzung ist bei den meisten Journalisten durchaus auf Interesse gestoßen. Es wird allerdings noch ein langer Weg sein, um entweder die Mitgliedschaft oder als Alternative eine starke Partnerschaft, wie ich sie mir vorstelle, zu entwickeln.
Aber bleiben wir dabei: Das Entscheidende ist, dass die Türkei als wichtiger Partner der Europäischen Union ihre Beziehungen mit der Union positiv weiterentwickelt. Und dass die Türkei auch im Inneren Reformen umsetzt, um besser auf die Entwicklung der Beziehungen mit ihren Nachbarn vorbereitet zu sein. Denn in vielen Fällen geht eine demokratische Entwicklung im Inneren mit der Bereitschaft zur entspannten Behandlung der Konfliktpunkte Hand in Hand.

Konfliktpunkt Zypern

Zypern ist natürlich ein besonders intensiver und schwerwiegender Konfliktpunkt in den Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland und letztendlich auch zwischen der Türkei und der Europäischen Union. In einem Pressegespräch am Tag vor der Behandlung meines Berichtes erwähnte ich, dass die Türkei bei meinem letzten Besuch zum ersten Mal eine gewisse Bereitschaft signalisierte, an der Lösung der Zypernfrage aktiv mitzuwirken. Dies wurde auch in Zypern selbst positiv aufgenommen und berichtet.
In wenigen Tagen werde ich mit einer kleinen Delegation der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament nach Zypern reisen. Und in meiner Funktion als Türkeiberichterstatter bin ich natürlich besonders gespannt, die andere Seite der Darstellungen des Zypernproblems und der Lösungsmöglichkeiten zu hören und zu sehen!  
Strassburg, 15.2.2001