Erweiterung mit Hindernissen

Eines der Hauptprobleme bei der EU-Erweiterung ist ohne Zweifel das Roma-Problem in der Slowakei. 
Eigentlich wollte ich schon weit weg von München sein, nämlich im Flugzeug der Lufthansa nach Ankara. Aber leider hatte der spanische Iberia-Flug über eine Stunde Verspätung, und so habe ich meine Maschine versäumt. Immer dann, wenn man selber zu spät dran ist, sind die Anschlussflüge pünktlich…
Offensichtlich habe ich mit München nicht sehr viel Glück. Anstatt hier zu bleiben und zu übernachten, fliege ich nun nach Wien und morgen von dort direkt weiter nach Ankara. Ich hätte das Ganze billiger und vor allem leichter haben können, aber das sind eben die unangenehmen Momente eines an und für sich interessanten Jobs.

Misstrauensvorschuss für die Politiker

Hier am Flughafen ist mir unter anderem die „Welt am Sonntag“ in die Hände gefallen. Laut einer Umfrage, so steht es jedenfalls in der Headline, sind die Deutschen im Osten tief enttäuscht von Gerhard Schröder.
Natürlich sind die Umfrageergebnisse parteipolitisch gefärbt, bei der Orientierung dieser Zeitung liegt das auf der Hand. Die Umfrage zeigt aber auch, dass selbst den Konservativen der CDU nicht viel mehr Vertrauen entgegengebracht wird, die wirtschaftlichen Probleme Ostdeutschlands zu lösen. Bei der SPD sind es 21% und bei der CDU 23%. Der größte Anteil ist mit 38% jene Gruppe, die keiner Partei Kompetenz in dieser Frage zutraut.
Dieses Ergebnis ist vielleicht nicht gerade überraschend. Es stellt sich aber doch die Frage, ob wir solche Aussagen auch aus jenen Ländern hören werden, die der Europäischen Union in wenigen Jahren beigetreten werden sein. Das gibt mir zugleich Anlass zu reflektieren, was in den letzten Tagen im Außenpolitischen Ausschuss des Europäischen Parlaments diskutiert wurde.

Teilweise Schönfärberei

Es ging wieder einmal um die EU-Erweiterung und den Stand der weiteren Vorbereitungen von Ländern wie der Slowakei, Rumänien und anderer Beitrittskandidaten wie etwa Estlands. Die Berichterstatter zeigten sich sehr optimistisch, und das galt im Großen und Ganzen auch für die Verhandlungsleiter seitens der Kommission.
Hier und da ist aber trotzdem durchgesickert, wie die Realität aussieht. Unter anderem ist ja auch in diesen Tagen in den Zeitungen lesen, dass beispielsweise in der Slowakei bei der Vorbereitung einiges nicht in Ordnung ist. Zum Teil ist es nachweislich zu Missbrauch mit Geldern gekommen. Es gibt jetzt wieder sehr viele Romas, die um Asyl ansuchen, etwa in Belgien. Einige Roma-Organisationen stehen unter Verdacht, von den Flüchtlingen Teile jener finanziellen Unterstützungen, die ihnen Belgien ausbezahlt, zurück zu verlangen.

Mangelnde nationale Zustimmung

Das sind Problemstellungen, die im Westen nicht sehr positiv aufgenommen werden. Und einige Beitrittsländer müssen sich wirklich bemühen, ihre Probleme so zu lösen, damit wir entsprechend großes Vertrauen in sie haben können. Mit diesem Hinweis möchte ich mich aber nicht generell negativ äußern. Ich glaube nur, dass wir mit Realismus den tatsächlichen Vorbereitungsstand in den jeweiligen Ländern sehen müssen.
So gibt es generell ein Problem der Zustimmung zum EU-Beitritt, die in manchen Ländern, wie etwa in Estland, zu wünschen übrig lässt. Dort lehnen heute mehr als 50 Prozent der Bevölkerung den Beitritt ab. Diese Frage sollte zwar kein Problem der Europäischen Union sein, sondern vielmehr ein Problem für Estland. Aber es kann uns auch nicht völlig gleichgültig sein, wie wir gesehen werden.
Üblicherweise herrscht gerade vor einem Beitritt eine große Begeisterung und die Ernüchterung bzw. Enttäuschung kommt erst danach. Wenn aber schon vor dem Beitritt eine entsprechend kritische Haltung an den Tag gelegt wird, dann kann sich die Kritik danach besonders negativ entwickeln.

Rassistische Panikmacherei

Insgesamt sind die Gespräche und Verhandlungen mit den meisten Beitrittskandidaten sehr weit fortgeschritten. Dennoch gibt es Probleme in der Umsetzung der verschiedenen Strukturen. Und eines der Hauptprobleme ist ohne Zweifel das eingangs erwähnte Roma-Problem in der Slowakei. Ich habe vor kurzem mit einem Freund über die bevorstehende Erweiterung diskutiert, und er hat in diesem Zusammenhang gemeint, man dürfe nicht jene Probleme ausser Acht lassen, die entstehen können, wenn die Menschen erfahren, dass im Zuge der Erweiterung plötzlich Hunderttausende Romas auch nach Österreich kommen könnten.
Ich habe ihn daraufhin nicht als Rassist beschimpft, allerdings seine Äußerung als rassistisch verurteilt – was ihn sehr überrascht hat.

Europäische Bringschuld

Ich kann und will damit aber keineswegs leugnen, dass die Tatsache, dass es gerade in Osteuropa sehr viele Romas gibt, die nicht in die Gesellschaft integriert sind – zum Teil, weil es die Gesellschaft nicht versucht hat, zum Teil, weil es die Roma selber nicht wollen – ein Problem darstellt. Wir müssen diesen Faktor immer im Auge behalten.
Allerdings sollten wir nicht nur unsere Nachbarn auffordern, etwas für die Integration zu tun. Vielmehr müssen wir selbst in Europa ein entsprechendes Programm ausarbeiten, das Roma und Sinti in Europa eine stabilere Heimat garantiert, denn es handelt sich um ein gemeinsames Problem. Vor allem im Zusammenhang mit der Erweiterung besteht nur indirekt ein Problem. Roma und Sinti könnten ja auch schon jetzt auf Grund der Reisemöglichkeit vielfach gehen, wohin sie wollen. Möglicherweise gibt es in einer erweiterten Europäischen Union ein noch größeres Interesse, in die verschiedenen Länder zu kommen.

Überzeugungsarbeit leisten

Unterm Strich steht für mich fest: Die Erweiterung hat formal gute Fortschritte gemacht, aber bei der Lösung der einzelnen Probleme bleibt noch sehr vieles offen. Daher wird eine gemeinsame Arbeit der Länder Ost- und Westeuropas unumgänglich sein.
Die Überzeugungsarbeit, dass der Beitritt etwas gutes ist, liegt allerdings vorwiegend bei den Erweiterungskandidaten selbst. Denn eine Erweiterung, die nicht von der Überzeugung getragen wird, dass dieser Schritt wichtig und richtig ist, ist keineswegs akzeptabel. Eine gute Stimmung im Land und bei der Bevölkerung ist die Voraussetzung, den Erweiterungsprozess und vor allem den Integrationsprozess auch nach der formalen Erweiterung voranzutreiben. 
München, 30.4.2001