Europa demokratisch und effizient regieren

Demokratisch Regieren heißt, dass sich in den jeweilgen Entscheidungen Mehrheitsmeinungen widerspiegeln. 
Die letzte Parlamentswoche war durch vielerlei Gratulationen und Glückwünsche für das Ergebnis, das die österreichischen SozialdemokratInnen bei den Wiener Wahlen erzielen konnten, gekennzeichnet. Wir haben diese Gratulation natürlich gerne zur Kenntnis genommen. Nach den zuerst doch skeptischen Blicken auf uns ob der Verhältnisse in Österreich war es angenehm, zustimmende und zufriedene Gesichter bei den Gesprächspartnern zu sehen.

Das „gute Regieren“

Für mich ging es in dieser Woche ein weiteres Mal um das Thema „good governance“, also um das „gute Regieren“. Wir hatten ein Panel von Rednern aus der Kommission, der Wissenschaft, des europäischen Gewerkschaftsbundes, des Rates der Regionen sowie den Nicht-Regierungsorganisationen, insbesondere aus dem Sozialbereich, zusammengestellt und versucht, diese hinsichtlich ihrer Visionen des Regierens auf europäischer Ebene abzufragen.
Die Debatte an sich ist eher trocken, aber trotzdem sehr wichtig. Immerhin geht es darum, wie wir in Europa weiterkommen können – und zwar in einer Regierungsform, die sowohl effizient als auch demokratisch ist. Und man kann wohl mit gutem Recht behaupten, dass ein wirklich demokratisches Regieren auch effizient ist. Demokratisch Regieren heißt ja, dass sich in den Entscheidungen Mehrheitsmeinungen widerspiegeln. Mehrheitsmeinungen, die nicht so sehr auf spontanen Umfragen beruhen, sondern die auf Grund eines intensiven Diskussionsprozesses unter politischen und direkt gewählten Entscheidungsträgern zustande kommen. Solche Diskussionsprozesse sind zwar nicht immer die schnellsten und kürzesten, aber wenn einmal ein Ergebnis gefunden wurde, so ist es wahrscheinlich ein breiter akzeptiertes und kann daher eher mit Umsetzung rechnen, als Entscheidungen, die zwar schneller gefällt werden, aber auf um so mehr Widerstand bei der Umsetzung stossen.

Mangelnde Kompromissbereitschaft

Diese Debatte ist zugleich eine Debatte, bei der Gegensätze aufeinander prallen und die Kompromißfähigkeit und -bereitschaft nicht besonders groß ist. Die einen meinen, der parlamentarische Prozeß als solches sei optimal und die Zivilgesellschaft, viele Vereine und Verbände, sollten eigentlich gar nicht in diesen Entscheidungsprozeß hineinspielen. Für die anderen wieder ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht nur eine Form- oder Nebensache, sondern ein zentrales Element des neuen Regierens auf europäischer Ebene: ein Element, das letztendlich auch zum Delegieren von Verantwortung und Entscheidungen führen kann – zum Beispiel bei den Sozialpartnern oder bei großen Verbänden, die manche Fragen in einer Art Selbstregulation lösen können, ohne dass parlamentarische Entscheidungsprozesse bemüht werden.

Position in der Mitte

Ich bekenne, dass ich in diesem Fall eine Position in der Mitte einnehme. Für mich ist Demokratie im Sinne einer parlamentarischen Demokratie eine Errungenschaft, die wir nicht aufgeben dürfen. Die Tatsache, dass das Europäische Parlament mit einer sehr geringen Wahlbeteiligung gewählt wird, ist zwar mehr als bedauerlich, darf aber nicht dazu verleiten, dem Europäischen Parlament „Kompetenzen“ zu entziehen.
Umgekehrt geben aber politische Entscheidungsträger immer wieder zu, dass die BürgerInnen sich zunehmend in Vereinen und Organisationen organisieren, um bestimmte Einzelinteressen durchzusetzen, da sie das Gefühl haben, dass im realpolitischen Ablauf und in den traditionellen politischen Parteien ihre Stimme zu wenig wiegt bzw. wahrgenommen wird. Aus meiner Sicht ist daraus zu schließen, dass der politische Entscheidungsprozeß so reformiert werden muss, dass die BürgerInnen wieder das Gefühl bekommen, dass politische Entscheidungsträger sehr wohl einen verstärkten Dialog mit den Menschen führen – wo dies eben möglich ist. Wo es nicht geht, sollten die BürgerInnen sich durchaus in gewissen Verbänden und Organisationen zusammenschliessen.

Transparentes Agieren

Will man aber zu einem realistischen Dialog kommen und auch die Meinung der verschiedenen Organisationen gewichten, setzt das voraus, dass diese Organisationen selbst an der Transparenz ihrer finanziellen und personellen Unterstützung interessiert sind und diese auch offen legen. Denn natürlich ist eine kleine Gruppe, die keinen großen finanziellen Rückhalt, aber eine starke Mitgliedschaft hat, genau so zu berücksichtigen, wie große Organisationen, hinter der vielleicht nur wenige, aber durchaus finanzstarke Interessenten stehen und der Gruppe entsprechendes mediales Gewicht verleihen.
Die einzelnen Organisationen der zivilen Gesellschaft haben überdies manchmal das Ziel, demokratische Entscheidungen zu verhindern bzw. zu relativieren. Es müssen daher die demokratischen und allgemein gewählten Vertreter – unabhängig von der Wahlbereitschaft und Wahlbeteiligung bei den allgemeinen Wahlen – sein, die Entscheidungen treffen. Nur solche Entscheidungen sind letztendlich demokratisch legitimiert.
Detailentscheidungen sollten generell nicht delegiert werden. Parlamentarische Entscheidungsträger sollten demgemäss die Möglichkeit haben, eine Rückholung auf die parlamentarische, demokratische Ebene zu initiieren. Alles andere halte ich für undemokratisch und für inakzeptabel.

Zusammenarbeit der verschiedenen Kompetenzen

Ein Teil der Diskussion ist durch das Element der Kompetenzabgrenzung oder, wie ich immer wieder betone, die Zusammenarbeit der verschiedenen Kompetenzen: der europäischen, der nationalen und der regionalen Kompetenzen. Hier gibt es das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, das oft grossmundig und -spurig vertreten wird. Wenn es allerdings im Gegensatz zur Vollendung des Binnenmarktes steht, obsiegt das Marktinteresse, und das vielgepriesene Subsidiaritätsprinzip wird dann plötzlich hinten angereiht.
Ein aktueller Fall ist die vorgesehene Regelung hinsichtlich des öffentlichen Nahverkehrs. In dieser Frage bin ich mit Nachdruck der Meinung, dass die demokratisch gewählten Organe in den einzelnen Städten und Regionen für den Gesamtzusammenhalt in der europäischen Region ihre Entscheidungen darüber treffen können, wie der öffentliche Verkehr zu organisieren ist, was auszureifen ist, wer einzuladen ist bei den Ausschreibungen, etc. Wenn man vielleicht gewisse Grundregelungen treffen möchte, dann kann man sicherlich darüber diskutieren. Die letztendliche Entscheidung muss aber unmissverständlich auf der regionalen Ebene liegen. 
Brüssel, 29.3.2001