Europas Musterschüler

Ungarn schneidet bei den kürzlich vorgelegten Berichten der EU-Kommission über die Beitrittskandidaten und deren Fortschritte bezüglich der Vorbereitung auf die Mitgliedschaft in der EU erwartungsgemäß sehr gut ab.
Eine meiner aktuellen Aufgaben im Europäischen Parlament ist die Funktion des „Schattenberichterstatters“ für Ungarn innerhalb meiner Fraktion. Ich soll die sozialdemokratischen Positionen hinsichtlich der Beitrittsberichte über Ungarn formulieren.

„Schönheitsfehler“

Bekanntlich hat die EU-Kommission kürzlich ihre aktuellen Berichte über die Beitrittskandidaten und deren Fortschritte bezüglich der Vorbereitung auf die Mitgliedschaft in der EU vorgelegt. Ungarn kommt dabei, wie zu erwarten war, sehr gut weg. Dennoch gibt es einige Probleme. Das betrifft vor allem die Integration der Roma und Sinti – immerhin zwischen 500.000 und 600.000 allein in Ungarn – und das sogenannte Statusgesetz, also die Begünstigung der in den Nachbarstaaten lebenden Ungarn durch den ungarischen Staat.
Die kritische Erwähnung dieser beiden Problembereiche war Anlass genug für mich, Budapest einen kurzen Besuch abzustatten. Leider war mein Aufenthalt zu kurz, um diese schöne Stadt, durch deren Zentrum die Donau fließt, wirklich geniessen zu können. So konzentrierte ich mich auf die Gespräche mit den Vertretern der Regierung, vor allem mit dem für Nationalitätenfragen zuständigen Staatssekretär und dem für die europäische Integration zuständigen Staatssekretär. Beide Politiker kenne ich schon aus früherer Zeit, und so konnten wir direkt in die betreffenden Materien eintauchen.

Das Statusgesetz

Die neue Regierung bemüht sich ernsthaft um eine Einigung mit den Nachbarn hinsichtlich des Statusgesetzes, geht es doch nicht um ungarische, sondern um rumänische, ukrainische, slowakische, etc. StaatsbürgerInnen – wenngleich ungarischer „Abstammung“. Die Regierung Orban hat diese Aktion zugunsten des ungarischen ethnischen und Sprachraumes begonnen, zweifellos auch mit Unterstützung der anderen Parteien.
Mit Rumänien könnte sich die alte Regierung einigen, da ein Teil der Begünstigungen – temporäre Öffnung des Arbeitsmarktes – auch auf Rumänen nicht-ungarischer Abstammung ausgedehnt wurde. Das wiederum hat vielen Ungarn nicht gefallen. Die slowakische Regierung wiederum hatte starke Einwände gegen die Subventionierung des Besuches ungarischsprachiger Schulen durch eine fremde – die ungarische – Regierung. Vor allem in Mischehen könnte durch diesen finanziellen Anreiz eine Bevorzugung der Orientierung am Ungarischen anstatt dem Slowakischen entstehen.

Ich hoffe, dass die neue Regierung die Gespräche mit den Nachbarn offener und kompromissbereiter führen wird als die alte konservative und nationalistische Regierung Orban. Dieser setzt auch in der Opposition nach wie vor auf eine antieuropäische nationalistische Karte und wurde dafür mit dem stellvertretenden Vorsitz bei der Europäischen Volkspartei (EVP) belohnt. Allerdings gab es auch Kritik an Orbans Haltung beim jüngsten EVP-Kongress in Estoril.

Integration der Roma und Sinti

Was nun die Frage der Roma und Sinti betrifft, so hat die Regierung einige sichtbare Schritte im Sinne der Integration dieser Bevölkerungsgruppe gesetzt. Einerseits gibt es ein eigenes Staatssekretariat, das mit einem Vertreter dieser Bevölkerungsgruppe besetzt ist. Andererseits finden sich auch in anderen höheren Positionen der Bürokratie sowie in der Parlamentsfraktion Angehörige der Roma und Sinti. Das löst zwar die Probleme nicht, zeugt aber vom Bewusstsein, an der mittel- und langfristigen Aufgabe des Miteinander zu arbeiten.
So habe ich schließlich auch Budapest mit dem Zug – Bela Bartok – Richtung Wien mit einem guten Gefühl verlassen.
Budapest, 25.10.2002