Europas Randregionen

Die EU ist mit so vielen eigenen Problemen befasst, dass es schwierig sein wird, die Kraft und Vision zu entfalten, um auch den schwierigen Randregionen Europas helfen zu können. 
Eigentlich müsste ich zu diesem Zeitpunkt bereits die näheren Details des Gipfels von Nizza kennen. Aber der Gipfel ist noch nicht zu Ende. Mit Spannung erwarten wir die Ergebnisse. Wenngleich zu befürchten scheint, dass sie noch unter jenen ohnedies bescheidenen Erwartungen liegen, die man auf Grund der allgemeiner Skepsis und des Pessimismus, der vor Nizza verbreitet wurde, haben konnte.

Positive Entwicklung in Mazedonien

So ist es mir möglich, noch einige Gedanken über die vergangene Woche in Brüssel niederzuschreiben. Es war eine Woche, in der ich mich auch wieder mit der Aussenpolitik befasst habe, die einen Schwerpunkt meiner Beschäftigung darstellt. Einerseits kam der Präsident Mazedoniens ins Europaparlament und wir hatten die Gelegenheit, auch mit ihm im kleinen Kreis Gespräche zu führen.
Mazedonien ist ja ein Land, dass sich durchaus positiv entwickelt hat. Überdies gab es in den letzten Tagen gab es eine Regierungskrise, verursacht durch das Zusammengehen der Opposition mit einer Kraft, die in der Regierung vertreten ist.
Die Krise konnte inzwischen bereinigt werden, und so ging es beim heutigen Gespräch mehr um die Schritte, die in nächster Zeit notwendig sind, um Mazedonien noch näher an die Europäische Union heranzuführen. Die Visafrage, eine Frage, die bei vielen unseren Nachbarländern im Mittelpunkt der Diskussion steht, wurde natürlich auch hier angeschnitten.
Mazedonien war etwas betroffen, dass es Bulgarien anscheinend gelungen ist, die Visafreiheit mit der Europäischen Union zu erreichen. Wir empfahlen ihnen aber, dass diese Frage nicht im Hinblick auf eine Benachteiligung gegenüber Bulgarien zu sehen ist. Bulgarien ist immerhin ein Kandidat der Europäischen Union. Und es hat zum Unterschied von Rumänien sehr viel geleistet, um die Grenzen sicher zu machen, so dass diese Visafreiheit in faktischen Handlungen der bulgarischen Regierung begründet ist und nicht als ein einseitiges unverdientes Geschenk gesehen werden kann.

Rumäniens Präsidentschaftswahlen

Wie schon erwähnt, es hängt auch damit zusammen, dass Bulgarien diesmal gesondert betrachtet worden ist und gewissermaßen nicht in einen Topf mit Rumänien geworfen wurde, wo es keineswegs derart zufriedenstellende Ergebnisse hinsichtlich des Grenzregimes zu sehen gibt. Was Rumänien betrifft, so steht dieses Land vor einer schwierigen Entscheidung, die zum Zeitpunkt, wo ich diese Zeilen niederschreibe, schon getroffen sein wird: die Stichwahl in der Präsidentschaftsauseinandersetzung zwischen Tudor, den weit rechts stehenden Kandidaten der Partei Großrumänien – dieser Name sagt schon alles aus über die Phantasie dieses Mannes – und Ion Iliescu, den früheren Präsidenten mit kommunistischer Vergangenheit, der auch sehr umstritten und populistisch agiert hat, dem man aber in dieser schwierigen Situation starkes Vertrauen entgegenbringt, vor allem in Relation zu Tudor.
Einige rumänische Journalisten haben mich in Brüssel interviewt. Sie wollten eine klare und eindeutige Aussage dahingehend hören, dass, sollte der rechtsgerichtete Kandidat gewählt werden, Rumänien kein Verhandlungskandidat mehr hinsichtlich eines EU-Beitritts sein kann. Ich für meinen Teil habe auch klar gesagt, dass, sollte Tudor nur einiges von jenen Grauslichkeiten, die er verkündet hat, umsetzen, es nicht so sein kann, dass wir in der Europäischen Union nicht reagieren und mit dem Land weiterverhandeln.

Unter Beobachtung

Es wurde ja bereits bei einer Diskussion im außenpolitischen Ausschuss über die Frage der Behandlung der Waisenkinder in den verschiedenen Waisenheimen in Rumänien diskutiert und die Frage gestellt, ob man angesichts dieser Zustände weiter davon ausgehen kann, Rumänien als Kandidat zu behandeln. In dieser Frage bin ich sehr vorsichtig. Man sollte kein Volk für seine Führung bestrafen. Aber natürlich muss es, wenn ein Volk mehrheitlich einen Weg gehen möchte, der mit den Grundprinzipien der Europäischen Union nicht nur nicht vereinbar ist, sondern diesen entgegensteht und sich damit dieses Land von Europa wegbewegt und nicht an Europa annähert, Konsequenzen haben. Man kann in diesem Fall zumindest mit einem solchen Land nicht quasi unschuldig weiter über einen Beitritt verhandeln.
Ich hoffe, dass die Rumänen heute, nachdem auch die bürgerlichen Parteien dem Kandidaten Iliescu ihre Unterstützung zugesagt haben, sich selber vor dieser Schmach bewahren. Aber sicherlich muss Iliescu zeigen, dass er fähig ist, der Präsident des ganzen Landes zu sein und die Menschen wieder auf einen konstruktiven pro-europäischen Kurs zu bringen. Und die Europäische Union muss mit besonderer Aufmerksamkeit die Entwicklung in diesem Land verfolgen und diesem Land helfen, einen pro-demokratischen und pro-europäischen Kurs zu verfolgen.

Bulgarien auf dem Weg

Heute Abend hatte ich noch Gäste: den Präsidenten der bulgarischen sozialistischen Partei mit seinem außenpolitischen Berater sowie den Präsidenten der sozialdemokratischen Partei. Sie alle hatte ich bei meinen Begegnungen in Sofia vor einigen Wochen getroffen und es war gut, sie wieder zu sehen und mit ihnen auch zu diskutieren, wie sich die jüngste Situation in Bulgarien entwickelt hat. Bulgarien hat, leider nicht zuletzt auf Grund gewisser Bedrohungen, die Visafreiheit erreicht, wenngleich auch noch Details zu klären sind. Bulgarien wird sicherlich, unter welcher Regierung auch immer, seinen Weg nach Europa gehen.
Uns muss jedoch klar sein, dass auch dieses Land große wirtschaftliche und vor allem soziale Probleme zu verzeichnen hat. Und auch der Weg dieses Landes nach Europa wird kein einfacher sein wird. Manche, beispielsweise Mazedonien, argumentieren zwar, sie hätten sich besser entwickelt und mehr Fortschritte zu verzeichnen als Bulgarien. Ich will das auch gar nicht messen. Aber natürlich wird sich irgendwann einmal die Frage stellen, ob, wenn Bulgarien der Europäischen Union beitritt, es dann nicht auch eine Beitrittsbewegung sein könnte, die beispielsweise Mazedonien genau so umfasst.

Alles im Fluss

Man sieht also, dass die Dinge in Fluss gekommen sind und es nicht mehr so leicht ist, zwischen den verschiedenen Ländern des Beitrittes, der so genannten Osteuropa-Erweiterung und den dargestellten Beziehungen mit den Balkanländern zu unterscheiden. Es handelt sich um eine Region, die nur mühsam Schritt fasst, die grosse wirtschaftliche, soziale und politische Probleme hat. Und der man, ich meine das jetzt nicht nur finanziell, auch mit klaren und eindeutigen Strategien unter die Arme greifen muss, wollen wir verhindern, dass dort neue Krisen entstehen.
Derzeit ist die Europäische Union allerdings mit so vielen eigenen Problemen befasst, siehe die Diskussionen, ja die Streitereien in Nizza, dass es schwierig sein wird, die Kraft, die Vision und den Zukunftsglauben zu entfalten, um auch diesen schwierigen und problematischen Randregionen wirklich helfen zu können.  
Wien, 9.12.2000