Heute für das Morgen arbeiten

Die Politik auf europäischer Ebene steht vor den permanenten Aufgaben der Stärkung und Erweiterung.  
In der vergangenen Parlamentswoche haben wir in Brüssel eine Menge Probleme sowie Perspektiven der heutigen EU thematisiert. Montag Abend trafen einige Außenpolitiker unserer Fraktion den Hohen Beauftragten Xavier Solana. Der Frieden auf dem Balkan und nicht zuletzt die – zumindest vorübergehende – Einigung von Serbien und Montenegro, in einem losen Staatenverband zu bleiben, standen dabei ebenso auf der Tagesordnung wie der Krieg im Nahen Osten.

Kompromiss von Dauer?

Dienstag Abend trafen die Vizepräsidenten der Fraktion mit Romano Prodi zu einem Arbeitsessen zusammen. Der Gipfel von Barcelona und das mühsam gehaltene Gleichgewicht zwischen Liberalisierung und öffentlichen Diensten war hier ein Hauptthema. Inwieweit dürfen sich Regierungen bestimmte Dienstleistungen (öffentlicher Verkehr, Wasser, Gesundheit, Erziehung, etc.) im Interesse der Konsumenten exklusiv vorbehalten? Dem vollkommen freien Markt mit totaler Berufsfreiheit und Mobilität widersprechen derartige Ausnahmen. Aber für den sozialen Frieden, die Bindung der BürgerInnen an die Politik und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind sie notwendig. Nicht nur bei den nationalen Regierungen, auch in der Kommission und im Parlament gehen die Meinungen über die Bedeutung und optimale Gewichtung solcher Ausnahmen vom Marktprinzip auseinander. In Barcelona wurde einmal mehr ein Kompromiss gefunden. Die nationalen Wahlen und jene zum Europaparlament 2004 werden entscheidend dafür sein, ob dieser Kompromiss von Dauer ist.
Im aussenpolitischen Ausschuss ging es in dieser Woche um einen Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit mit dem Mittelmeerraum sowie um die Erweiterung. Dazu war der slowakische Ministerpräsident Djurinda zu Gast. Sowohl die Benes-Dekrete als auch das gespannte Verhältnis zu Ungarn standen auf der Tagesordnung. Bei den Benes-Dekreten vertritt die slowakische Regierung eine pragmatischere Haltung als die Tschechische Republik. Was die Frage der ungarischen Minderheit betrifft, wehrt sich die slowakische Regierung – aus meiner Sicht zu Recht – dagegen, dass die ungarische Regierung ihr Nationalitätengesetz auch in der Slowakei zur Anwendung bringen möchte. Eine Bestimmung, die die Slowakei besonders ärgert, ist die geplante Bezahlung jener Eltern, die ihre Kinder in eine ungarische Schule schicken. Das würde bei gemischtsprachigen Eltern die Entscheidung infolge finanzieller Beiträge einseitig beeinflussen. Es wäre schade, würde die nächste Beitrittsrunde durch Spannungen zwischen den Beitrittskandidaten zusätzlich belastet werden.

Verkehrspolitik neu

Im Verkehrsausschuss behandelten wir zwei Fragestellungen mit symptomatischer Bedeutung. Zum einen fand ein Hearing zum neuen „Weißbuch“ der EU-Kommission, mit dem der Weg zu einer neuen Verkehrspolitik vorgezeichnet wurde, statt. Für Österreich ist dabei die stärkere Unterstützung des nicht-motorisierten Verkehrs vor allem in den sensiblen Zonen wie den Alpen von ausschlaggebender Bedeutung. Eine höhere Bemautung der Schwerlastkraftwagen und die Möglichkeit, die dadurch gewonnenen Einnahmen in den Ausbau der Bahn umzuschichten, ist für uns besonders interessant. Es ist nicht verwunderlich, dass die Vertreter der Straßenlobby diesen Vorschlägen sehr kritisch gegenüberstehen. Bemerkenswert war dabei, dass die italienischen Abgeordneten durch die Bank die Initiative von Berlusconi, der sich schon in Barcelona gegen das „Abschneiden“ Italiens vom Binnenmarkt infolge der Begrenzungen des Alpentransits gewehrt hat, aufgriffen und thematisierten.
Leider wird von der österreichischen Regierung zu wenig unternommen, um unsere besondere Lage als Transitland immer wieder zu verdeutlichen. Die mangelnde Priorität, die wir selbst dem Bahnausbau in Tirol und insbesondere dem Brennerbasistunnel geben sowie die mangelhafte Lobbypolitik bei unseren Partnern in der EU sind ebenfalls keine Pluspunkte in dieser für uns zentralen innereuropäischen Auseinandersetzung.

Sicherheit für Fußgänger

Im Verkehrsausschuss stand ausserdem ein Vorschlag der Kommission zur erhöhten Sicherheit der Fußgänger zur Diskussion. Da es sich dabei um Vorschläge hinsichtlich der Gestaltung der Autos unter dem Aspekt der Fußgängersicherheit handelt, möchte die Kommission die Autofirmen ersuchen, von sich aus Vorschläge in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu machen.
Im Parlament sind die Meinungen darüber geteilt. Gegen den Kommissionsvorschlag nehmen vor allem jene Stellung, die keine gesetzgeberische Kompetenz abgeben wollen. Manche wieder meinen – so auch ich -, dass eine vorübergehende und bedingte Abgabe von Kompetenzen dann vertretbar ist, wenn das Parlament den Rahmen für derartige Vereinbarungen beschließt und bei mangelhafter Selbstverpflichtung der Industrie seine volle Gesetzgebungskompetenz ausschöpfen kann. Über ein solches Verfahren gibt es allerdings noch keinen Konsens zwischen Rat, Parlament und Kommission.
Dies war auch ein Thema bei der diese Woche im Rahmen einer außerordentlichen Plenarsitzung stattfindenden Debatte mit der spanischen Präsidentschaft. Der gegenwärtige Ratsvorsitzende, der spanische Ministerpräsident Aznar, berichtete über den Gipfel von Barcelona, danach diskutierten wir über die Prioritäten der EU-Kommission für 2003. Ich glaube, dass wir ein Stück weitergekommen sind und ein Dialog über moderne und einfache, aber doch demokratische Regierungsformen auf europäischer Ebene in Gang kommen kann.

Gereiftes Kroatien

In dieser Woche traf sich ausserdem die Süd-Ost-Europa-Delegation des EU-Parlaments, zu deren stellvertretendem Vorsitzenden ich kürzlich wieder gewählt wurde, mit unseren Kollegen aus dem Sabor, dem kroatischen Parlament. Kroatien hat sich politisch gut entwickelt und bei der Integration der – serbischstämmigen – Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr ins Land Fortschritte gemacht. Dennoch gibt es vor allem wirtschaftliche Probleme, nicht zuletzt eine hohe Arbeitslosenrate insbesondere unter den Jugendlichen.
Aus meiner Sicht ist Kroatien trotzdem jenes Balkanland, das schon bald einen Antrag zur Mitgliedschaft in der EU stellen und sich berechtigte Hoffnungen machen kann, ein offizieller Beitrittskandidat zu werden, auch wenn noch etliche Jahre bis zum tatsächlichen Beitritt vergehen würden. Aber schon mit dem Kandidatenstatus für Kroatien könnte ein klares Zeichen in den Balkan gesendet werden, dass bei entsprechender Entwicklung der – wenngleich mühsame – Weg in die EU offen ist.

Spannender Prozess

Wie sich zeigt, steht die Politik auf europäischer Ebene vor den permanenten Aufgaben der Stärkung und Erweiterung. Alltägliche Fragen der Verkehrs- oder Umweltpolitik sind dabei ebenso zu lösen wie der Frieden auf unserem Kontinent und in unserer Nachbarschaft. Die unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner zu bringen, ist dabei ein schwieriges Unterfangen. Aber es ist faszinierend, an diesem Prozess beteiligt zu sein. Einem Prozess, der in den vergangenen 50 Jahren grossen Fortschritt und vor allem Frieden gebracht hat.
Bei aller berechtigten Kritik möchte ich diese Errungenschaften nicht missen. Ich möchte aber auch nicht dabei stehen bleiben. Für mich bilden sie das Fundament für weitere Erfolge, denn Nichts ist für alle Zeiten gesichert. Es gibt allzu viele zerstörerische Kräfte und Tendenzen, denen wir eine positive Vision, aber auch Realität entgegensetzen müssen. 
Brüssel, 20.3.2002