Mazedonien – ein Land in der „Minikrise“

Aufgrund von Wahlunregelmäßigkeiten dürfte es in etlichen Wahlkreisen Mazedoniens zu Wahlwiederholungen kommen. 
Wieder einmal ging es in den Balkan. Diesmal mit der Süd-Ost-Europadelegation, deren stellvertretender Vorsitzender ich bin. Hinzu kommt, daß ich für Mazedonien, konkret für das beabsichtigte „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien“ Berichterstatter des Europäischen Parlaments bin.
Die nachringe Position des Balkans erkennt man schon an den äußerst mangelhaften Flugverbindungen mit der EU bzw. an den in Relation zum allgemeinen Niveau relativ guten Flugverbindungen von Österreich. Das heißt, um zu Besprechungen Montag vormittags rechtzeitig in Skopje zu sein, muß man Wien bereits Sonntag mittags verlassen.
Natürlich nutzten wir aufgrund dieser Gegebenheiten schon den Sonntag Abend zu Gesprächen mit mehreren diplomatischen Vertretern aus der EU auf Einladung des Vertreters der EU-Kommission, eines äußerst aktiven und sehr versierten Portugiesen.
Mazedonien ist ja grundsätzlich kein schwieriges Land für Diplomaten, es bemüht sich redlich, die ethnischen Divergenzen gering zu halten und die starke albanische Minderheit (ca. 30 Prozent) an der Macht angemessen zu beteiligen. Während des Krieges im Kosovo hat es sich – abgesehen von einigen kleinen Zwischenfällen – außerordentlich kooperativ zur internationalen Staatengemeinschaft verhalten, obwohl die Zuflucht von vielen Albanern der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung nicht ganz geheuer war.

„Minikrise“ durch Wahlunregelmäßigkeiten

Gerade jetzt aber macht Mazedonien eine „Minikrise“ durch, wie ich dies in der Diskussion mit einheimischen Parlamentariern bezeichnete. Einige allerdings störte der Ausdruck „Mini“, andere wieder das Wort „Krise“ in diesem Zusammenhang.
Jedenfalls bei der zweiten Runde, also der Stichwahl für den Präsidenten des Landes, dem Nachfolger des „Unabhängigkeitspräsidenten“ Gligorov, kam es vor allem in albanischen Wahlkreisen zu einigen Unregelmäßigkeiten. Nach alter Tradition wählten vielfach die Familienoberhäupter gleich für die ganze Familie.
Da der Kandidat der stärksten Regierungspartei VMRO, Trajkowski, sich trotz des nationalistischen Erbes dieser mazedonischen Partei sehr für die Albaner exponierte, kam dieses Wahlverhalten vor allem ihm zugute. Die sozialistische Oppositionspartei focht die Wahl in etlichen Wahlkreisen an und wurde dabei aus politischen Gründen von einer kleinen Partei aus der Regierungskoalition unterstützt.
Noch Sonntag abends trafen wir – Doris Pack, unsere Vorsitzende, und ich als ihr Stellvertreter – den zwar mit Mehrheit gewählten, aber nicht bestätigten Kandidaten der VMRO-Partei, Trajkowski. Er ist ein umsichtiger, sympathischer Mann, der nach meinem ersten Eindruck einen durchaus guten Präsidenten Mazedoniens abgeben könnte. Da er stellvertretender Außenminister war und mit der „Bewältigung“ der Flüchtlingsströme während der Kosovokrise beauftragt gewesen ist, haben ihn die ausländischen Politiker und Diplomaten kennen- und schätzen gelernt.
Dennoch, es dürfte in etlichen Wahlkreisen zu Wahlwiederholungen kommen – ob das Ergebnis der Wahlen hält oder nicht, wird man erst sehen. Im Interesse des Rufs dieses Landes sollte es aber bald zu einer korrekten Lösung der „Minikrise“ kommen.

Auf dem Weg ins Wartezimmer der EU

Die Diskussionen mit den mazedonischen Parlamentariern am nächsten Tag drehten sich vor allem die Frage, wie sich dieses Land möglichst rasch an die EU annähern kann. Mazedonien fühlt sich dabei ungerecht und unangemessen behandelt. Es möchte ähnlich wie Bulgarien und Rumänien ins Wartezimmer der EU eingeladen werden. Mein Hinweis, daß sich alle Kandidaten der EU unangemessen und zu zögerlich behandelt fühlen, war unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem mazedonischen Parlament kein Trost.
Erschrocken waren sie vor allem von der starken Betonung des „regionalen Ansatzes“ der EU und insbesondere von der Forderung im letzten „Gesamtdokument“ mit Titel „Bericht über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt“. Denn dort wird nicht nur allgemein die Bereitschaft zur regionalen Zusammenarbeit verlangt, sondern auch – unter dem kränkenden Titel „Das ehemalige Jugoslawien und Albanien“ eine eigene „regionale Organisation für Freihandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit“ gefordert.
Mazedonien wehrt sich nicht gegen eine regionale Zusammenarbeit, aber wirtschaftlich verspricht es sich nicht zuviel davon, und politisch sind nicht alle Nachbarn (z.B. Jugoslawien) bereit bzw. fähig dazu. Und überdies bleibt zu fragen, was die EU an regionaler Zusammenarbeit bzw. an Projekten zustandegebracht hat bzw. vor hat, zu verwirklichen! Denn es ist ja die EU, die in dieser Region mit gutem Beispiel vorangehen soll.
 
Skopje, 22.11.1999