Mut zum aufrechten Gang

Einige Gedanken zum Bruno Kreisky-Preis für das politische Buch.
Seit 1993 vergeben die Bundesbildungsorganisation der SPÖ und das Renner Institut in Erinnerung an Bruno Kreisky Preise für „das politische Buch“.
Die Hauptpreisträger für 1999 waren Jean Ziegler für sein publizistisches Gesamtwerk und Armin Thurnher für das Buch „Das Trauma, ein Leben. Österreichische Eigenheiten“.

Mahnung und Anforderung an die Sozialdemokratie

Für mich als Vorsitzenden der Bundesbildungsorganisation und der Jury war die Verleihung der Preise am 21.1.2000, also zu einer Zeit, in der sich bereits eine schwarz-blaue Koalition abzeichnete, Anlaß, die Haltungen und Anschauungen der Preisträger auch als Mahnung und Anforderung an die Sozialdemokratie heranzuziehen. Nicht nur die Hauptpreisträger stehen für Offenheit, Toleranz, Weiterentwicklung der Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Engstirnigkeit.
In besonderem Maße gilt das natürlich für Jean Ziegler, geboren im Jahr 1934. Von sich selbst sagt Ziegler: „Als Schriftsteller, Abgeordneter und Professor bemühe ich mich seit Jahrzehnten, die Methoden der Mächtigen dieser Welt zur Ausbeutung der Ressourcen und der Arbeit der ärmsten Menschen dieser Erde anzuprangern und sie, wenn möglich, außer Kraft zu setzen.“
Und weil Ziegler das mit Engagement, Ausdauer und einer gewissen Radikalität tut, wird er oft als Vereinfacher und Nestbeschmutzer bezeichnet. Eine Anklage aus dem Jahr 1998 wirft ihm sogar „Landesverrat“ vor sowie „Angriff auf die Unabhängigkeit der Schweiz“ und „Beförderung von gegen die Sicherheit der Schweiz gerichteten ausländischen Unternehmen“. Es ist grotesk, daß es heute in Europa überhaupt noch diese Anklagepunkte geben kann. Jedenfalls die aufklärerische Arbeit von Jean Ziegler hinsichtlich des Nazigoldes und seiner Verwendung in der Schweiz und diesbezügliche Aussagen vor einer Kommission des amerikanischen Senats sind Jean Ziegler nicht gut bekommen.

Jean Ziegler – aufrechter Internationalist und Europäer

Die Eigenschaften, die für andere Grund für Kritik und Ablehnung sind, sind für mich und die Jury triftige Gründe für die Anerkennung eines Preises. Jean Ziegler ist durch und durch Internationalist und Europäer, einer, der gleichzeitig soziale Verantwortung einklagt und durch soziale Regeln den Kapitalismus bändigen möchte.
Der Raubkapitalismus von heute, vor allem in seiner korruptiven Verquickung von wirtschaftlicher und politischer Macht ist die Zielscheibe seiner Kritik. Dem Neo-Liberalismus wirft er – zurecht – vor allem vor, die aggressive Durchdringung der Welt durch den Kapitalismus als Gesetzmäßigkeit darzustellen.
Zweitens: Jean Ziegler ist kein Feuilletonist und Beschwichtigter. Seine scharfen Analysen aufgrund empirischer Arbeit, aber mit theoretischem, ja oft philosophischem Hintergrund führen zu klaren und eindeutigen Aussagen. Er gibt wenig Raum für Kompromiß.
Drittens: Durch all seine Kritik und seine Vorschläge hindurch gibt es eine handlungsanleitende Richtschnur – den Schutz der Schwachen und das Eintreten für Solidarität.

Publizistischer Feldzug gegen die neue Barbarei

Jean Ziegler ist ein Kämpfer, der seine Kritik an den herrschenden Zuständen oft unter persönlicher Gefahr, jedenfalls unter Inkaufnahme vieler Klagen und finanzieller Opfer vorbringt. Und es ist nur natürlich, daß sich ein solcher Mensch fragt, ob er für die richtigen Werte kämpft.
Ich glaube ja, und ich möchte die Antwort, die sich Jean Ziegler selbst gibt, noch unterstützen: „Und doch ist keiner der Werte, für die ich kämpfe und denen meine Hoffnung gilt, veraltet. Im Gegenteil: Diese Werte scheinen mir heute aktueller denn je zu sein. Auf der Nordhalbkugel weht ein eisiger Wind. Die neue Barbarei hat Einzug gehalten mit ihrer grenzenlosen Vergötzung des individuellen Erfolgs und eines brutalen Konkurrenzdenkens, das die Vernichtung des Schwachen durch den Starken, die Absage an jede Form von Solidarität als einen eigenen Sieg feiert. Seid berechnend und pragmatisch! Der Reiche hat recht, der Arme unrecht.“ (Jean Ziegler: Wie herrlich, Schweizer zu sein. Erfahrungen mit einem schwierigen Land, Goldmann, München 1999, S. 21)

Armin Thurnher – Verfechter von Toleranz und Ehrlichkeit

Armin Thurnher kämpft für ähnliche Werte, vielleicht zurückhaltender und mit feinerer, wenngleich nicht weniger scharfer Klinge. In seinen vielen Beiträgen, Kommentaren, Leitartikeln und zuletzt in seinem neuesten Buch wird sein bedingungsloses Eintreten für Offenheit und Toleranz, für Transparenz und Ehrlichkeit deutlich.
„Das Trauma, ein Leben“ ist ein Buch gegen die in Österreich besonders ausgeprägte Engstirnigkeit und Bereitschaft zur Nabelbeschau. Eingehend beschäftigt sich Armin Thurnher mit der Boulevardisierungsfalle. Aus meiner Sicht ist es schon schlimm genug, was und wie manche Medien „berichten“, aber besonders kritikwürdig ist es, wenn manche PolitikerInnen so reden und handeln, wie die Medien es ihnen „vorschreiben“.
Wir sollten möglichst vermeiden, in die Boulevardisierungsfalle zu tappen, sondern lieber – wie es Armin Thurnher verlangt – Mut zu klaren Überzeugungen und Aussagen haben. Insbesondere in etlichen gesellschaftspolitischen und kulturellen Konflikten wurden klare Aussagen seitens der Sozialdemokratie vermißt.

Über die „österreichischen Einzelheiten“

Aus den österreichischen Einzelheiten, die Armin Thurnher in seinem Buch sammelt, beschreibt und analysiert, ergibt sich allerdings eine generelle und sehr schmerzliche Schlußfolgerung: Wir sind gut im Verdrängen, im Träumen, im Verwischen von Traumata. In den Worten von Thurnher: „Der Traum, ein Fluchthelfer. Hilft, vor dem Trauma zu flüchten. Der Traum beflügelt die zaghaften Hoffnungen der Fußballer und die Selbstüberhebungen der Intellektuellen, er ermuntert die Anmaßungen des selbsterklärten Kulturstaates und bläst der Bevölkerung ein Selbstbehagen ins Ohr, mit dem es sie wunder nimmt, warum man in Phuket weiß, wer Waldheim ist, aber nicht, wo Timelkam liegt.
Der Traum verklärt die Landschaft und tröstet darüber, daß die Traumlandschaft davonrutscht. Über allen Bergen ist Land. Der Traum stiftet die Lebenshaltung des Durchkommens, des sich behaglich in der Idylle Einrichtens.“ (Armin Thurnher: Das Trauma, ein Leben. Österreichische Einzelheiten, Zsolnay, Wien 1999, S. 26)

Aufbruch in schwierige Zeiten

Wie schon zu Beginn erwähnt, die Vergabe der Bruno Kreisky-Preise sind Zeichen der Anerkennung für wertvolle politische Literatur, sie sind aber auch als politisches Bekenntnis gedacht. Als Appell an eine Sozialdemokratie, für die es sich – bei aller Notwendigkeit der Anpassung und Veränderung – lohnt, jene Werte und Orientierungen nicht zu vergessen und zu verdrängen und zu kämpfen.
Damit ist keineswegs eine blinde Reideolisierung gemeint, aber ein offenes und offensives Eintreten für die Werte der Toleranz, der Rechte der sozial Schwächeren – national und international – und für Solidarität. Gerade in jenen Zeiten, die auf uns zukommen, ist eine solch kompromißlose Haltung notwendig. Es werden schwierige Zeiten, aber wenn wir hart an uns arbeiten, kommt nach der Nacht wieder ein Tag.
 
Wien, 22.1.2000