Nach dem Reformvertrag II

IDrapeaux européens flottant devant le Berlaymont

© European Community 2009

Der Reformvertrag sieht unter anderem neue Positionen vor: einen Präsidenten des Rates und einen Hohen Beauftragten für Außenpolitik, also quasi einen Außenminister. Dass es um diese Positionen ein Gerangel gab, war klar. Leider allerdings wurde der Streit um die Besetzung dieser Positionen losgetreten, bevor Kriterien für die Auswahl der einzelnen Personen für die Spitzenpositionen festgelegt oder auch nur diskutiert wurden.
Der Kommissionspräsident, der ja schon im EU-Parlament gewählt wurde, ist eindeutig ein Konservativer aus den Reihen der Europäischen Volkspartei. Die Sozialdemokraten haben sich mehrheitlich auf den Hohen Beauftragten festgelegt. Nur Großbritannien beharrte auf der Ratspräsidentschaft für Toni Blair, der zwar von einigen unterstützt wurde, von anderen allerdings wieder heftig abgelehnt. Und es wäre auch eigenartig, sollte der Ratspräsident aus einem Land kommen, das weder den Euro hat noch zur Schengenzone gehört und dessen Bevölkerung auch sonst gerade nicht zu den begeisterten Europäern gehört.

Die Gerüchteküche kocht

Viele Namen wurden für beide Positionen genannt, und die Gerüchtewelle blühte und gedeihte. Ich selbst vertrat in einer meiner Parlamentsreden, dass eine der Spitzenpositionen mit einer Frau besetzt sein sollte und auch ein geografisches Gleichgewicht zu berücksichtigen günstig wäre. Ich dachte dabei an Vike Freiberge, die frühere Präsidentin Lettlands als Ratspräsidentin. Eine Frau aus einem neuen Mitgliedsland wäre ein gutes Signal.
Da einer der sozialdemokratischen, Kandidaten Massimo D’Alemma, ohnedies als Exkommunist als zu links eingestuft wurde, könnte so ein Ausgleich gefunden werden. Obwohl ich bemerkte, dass die Kritik an ihm, sicher unterstützt und angefacht von Kreisen der USA und aus Israel, in den letzten Tagen immer stärker wurde, versuchte ich noch einige Kontakte zwischen der Umgebung von Vike Freiberge und der Sozialdemokratie herzustellen. Letztendlich war ich allerdings nicht sehr optimistisch, dass das Duo Freiberge – D’Alemma das Rennen machen würde.

Vor der Entscheidung

Vor allem der britische Premier beharrte auf Toni Blair und ich „befürchtete“, dass er zumindest auf den Hohen Beauftragten aus war. Peter Mandelson, der frühere Kommissar und seine Nachfolgerin Catherin Ashton wurden genannt. Letztere hatte zwar keine außenpolitische Erfahrung nachzuweisen, aber als Frau konnte sie einen Beitrag zur Vielfältigkeit bei den Spitzenpositionen beitragen. Und die Konservativen waren darauf aus, einen der Premierminister von den Beneluxstaaten als Ratspräsidenten zu nominieren.
Das war jedenfalls der Stand der Dinge am 19. November nachmittags. Aber natürlich war ich mir die ganzen letzten Tage darüber im Klaren, dass es ganz anders kommen konnte. Meine Hoffnung war zu diesem Zeitpunkt darauf konzentriert, dass es zu einer – hoffentlich guten – Entscheidung an diesem Tag bzw. in der Nacht kommen würde. Denn wir sollten der Bevölkerung nicht ein Schauspiel liefern, das ihnen vermitteln würde, wir benützen den neuen Reformvertrag nicht für eine bessere Politik, sondern nur für ein Politikergerangel.

Die Lösung ist nicht berauschend

Und Freitagabend gab es schließlich auch eine Lösung – ob es eine gute ist, wird sich erst herausstellen. Der belgische Premierminister Van Rompuy wurde zum Ratspräsidenten ernannt und Catherine Ashton, die Außenhandelskommissarin, besetzt den Posten der Hohen Beauftragten. Sie ist immerhin eine klare und eindeutige Pro-Europäerin und hat einige Erfahrung als Kommissarin gewonnen. Allerdings, außenpolitische Erfahrung hat sie nicht aufzuweisen.
Insgesamt ist das Spitzentrio, bestehend aus dem Kommissionspräsidenten, dem Ratspräsidenten und der Hohen Beauftragten, nicht gerade berauschend. Aber wahrscheinlich wollten das die Regierungschefs auch gar nicht. Das EU-Parlament hat jetzt angesichts dieser Nominierungen die Chance, mit dem Vertrag von Lissabon als die wirklich gestärkte Institution der EU aufzutreten. Es bleibt zu hoffen, dass es diese Chance nützt und die neuen Spitzenleute zwar im Interesse des gemeinsamen Europas unterstützt, aber zugleich auch herausfordert.

Brüssel, 19.11.2009