Startschuß für den Wiederaufbau am Balkan

EU-Finanzmittel sollen der neuen Regierung in Kroatien beim Übergang in eine demokratische Gesellschaft und eine moderne Wirtschaft helfen.
Hinter mir liegen durchaus bewegte europäische Arbeitstage. Montag zeitig früh ging es nach München zu einem Vortrag über europäische Städtepolitik aus Wiener Sicht. Der Kern dieses Referates kann im Anhang dieser „Briefe aus Europa“ nachgelesen werden.

Kroatien in Brüssel

Von München ging es gleich wieder weiter nach Brüssel, wo der gemischte parlamentarische Ausschuß EU-Kroatien tagte. Als Vizepräsident dieses Ausschusses wollte ich bei den Diskussionen dabei sein, insbesondere, weil Kroatien eine neue Regierung, einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament bekommen hat, jedenfalls eine neue politische Mehrheit, die Tudjmans autokratisches, problematisches Regime hinter sich gelassen hat.
Tudjman hat den Machtwechsel nicht mehr erlebt, und seine Partei hat den Machtwechsel nicht überlebt. Nach seinem Abgang und der politischen Niederlage, die eindeutig war, hat sich die Partei HDZ gespalten. Und so ist die neue Koalitionsregierung ermächtigt, eine neue Politik zu betreiben. Dabei geht sie nicht einfach über die Köpfe der Opposition hinweg, sondern versucht zumindest, im Sinne der europäischen Annäherung, diese Opposition im wahrsten Sinne des Wortes mitzunehmen und einzubinden. Wobei klar ist, daß die neue Regierung eine offene Medienwelt herstellen möchte, daß sie große wirtschaftspolitische Reformmaßnahmen zu erledigen hat, insbesondere die Privatisierung auf eine transparente gesunde wirtschaftliche Basis stellen muß, und daß sie auch, was die Frage der Flüchtlingsrückkehr betrifft, eine klarere und positive Einstellung an den Tag legen wird müssen.

Flüchtlingskarussell

Erste Vereinbarungen mit dem Ministerpräsidenten der Republika Srpska, Dodik, zeigen einen neuen Weg auf, um dieses schwierige Flüchtlingskarussell in Gang zu setzen. Denn die kroatischen Flüchtlinge, die nicht in die Republika Srpska, also den serbischen Teil Bosniens, zurückkehren können, vielleicht zum Teil auch angesichts der realen Bedingungen nicht zurückkehren wollen, besetzen oftmals die Häuser jener Serben, die nach Jugoslawien geflohen sind und jetzt in ihre ehemaligen Häuser in Kroatien zurückkehren wollen.
Dann gibt es natürlich noch Häuser in Bosnien, die von Muslimen besetzt sind, die nicht in den serbischen Teil zurückkehren können und deshalb nicht jene Häuser räumen können, die eigentlich Kroaten gehören, die von sich aus in den muslimisch-kroatischen Teil von Bosnien zurückkehren wollten. Wenn also auch nur eine Volksgruppe gehindert ist oder sich weigert, in ihre angestammten Wohngebiete zurückzukehren, sind auch die anderen verhindert, diesen Weg zu gehen.

Finanzspritzen

In der Flüchtlingsproblematik stand natürlich vor allem die Hilfe finanzieller Natur für Kroatien auf der Tagesordnung. Kroatien war aufgrund der Politik Tudjmans weitgehend von finanzieller Unterstützung ausgeschlossen. Die Vertreterin der Kommission, Catherine Day, versprach auf meine Frage hin, daß man Kroatien nicht in eine Förderungsfalle stürzen werde, weil nun die Förderungsinstrumente, die bisher auch für den Balkan zuständig und gedacht waren, von denen aber Kroatien ausgeschlossen war, auslaufen und erst im nächsten Jahr ein neues Förderungssystem entwickelt wird.
Es sind im Budget der EU Mittel vorgesehen, die eingesetzt werden können und aus meiner Sicht auch eingesetzt werden sollten, um der neuen Regierung beim Übergang in eine demokratische Gesellschaft und eine moderne Wirtschaft zu helfen. Dazu gehört auch, daß die europäische Investitionsbank endlich den Auftrag der Eigentümer der 15 europäischen Mitgliedsstaaten bekommt, um Kredite für den Wiederaufbau, für die Erneuerung der Wirtschaft in Kroatien zu geben.
In den Diskussionen hat mich besonders eine Aussage von Zdravko Tomac von der sozialdemokratischen Schwesterpartei beeindruckt, der gemeint hat: „Natürlich wollen wir gerne finanzielle Unterstützung, aber uns ist auch klar, daß wir selbst fischen lernen müssen und wollen, um nicht darauf angewiesen zu sein, Fische geschenkt zu bekommen.“ Diese klare Haltung letztendlich aller Abgeordneten, daß sie selbst in Kroatien das Schicksal des Landes in die Hand nehmen müssen und nicht in massivem Ausmaß und auf lange Dauer am Tropf der europäischen Union hängen wollen, hat mich beeindruckt und zeigt, daß ein neuer offensiver Geist in diesem durchaus europäischen Land herrscht, das sich so gar nicht mehr geniert, als Balkanland bezeichnet zu werden.

Neue Formen der Zusammenarbeit

Auch während des Abendessens ging die Diskussion weiter, wie man all die Anforderungen, die jetzt von der Europäischen Union gestellt werden, erfüllen kann. Und wir sprachen auch darüber, wie es zu neuen Formen der Zusammenarbeit am Balkan kommen kann.
Immer wieder kam das Thema Montenegro zum Vorschein und die Angst, daß Montenegro einer neuerlichen Aggression durch Milosevic zum Opfer fallen könnte, da Milosevic nur überleben kann, wenn er immer wieder neue Krisen produziert, um sich in Szene zu setzen. Interessant war auch eine Aussage des Vertreters einer istrischen regionalen Partei, des Prof. Turcinovic, eines Professors für Sozialpsychologie, der meinte, eine Studie über Aggressionen und Krawalle beim Fußball noch im alten Jugoslawien habe ihm klar und deutlich gezeigt, daß es bei Fußballspielen zwischen jugoslawischen Mannschaften und Mannschaften aus dem Ausland zu viel weniger Aggressionen gekommen ist als bei Fußballauseinandersetzungen zwischen jugoslawischen Mannschaften aus den unterschiedlichen Regionen und Nationalitäten. Schon damals habe er gewußt und auch öffentlich vorausgesagt, daß Jugoslawien unter Schmerzen zerfallen werde, heute sei eine besondere Aggression zwischen Mannschaften aus Serbien und Montenegro zu bemerken, was auch ein gefährliches Anzeichen darstellt.

Problem Milosevic

Mitten in unsere Diskussionen hinein platzte die Nachricht, daß der bosnisch-serbische Politiker Krajisnik, der für kurze Zeit auch Präsident der Republika Srpska und damit einer der drei Mitglieder des Präsidiums Bosniens gewesen ist, durch französische NATO-Truppen der SFOR festgenommen worden ist und nach Den Haag zum Kriegsverbrechertribunal überstellt wurde. Es geht hier nicht um persönliche Rache, aber ich halte es für richtig, daß die Untaten – auch wenn es ehemalige Spitzenpolitiker betrifft – nicht ungesühnt bleiben, und daß man Schritt für Schritt klarstellt, daß die Internationale Gemeinschaft Kriegsverbrechen ahndet.
Dennoch bleibt die Frage offen, wie man mit Milosevic umgehen kann bzw. ob man länger zulassen kann, daß Milosevic die Bevölkerung Jugoslawiens in Geiselhaft nimmt und so unter anderem von den Wohltaten, jedenfalls von der finanziellen Unterstützung im Rahmen des Stabilitätspakts doch weitgehend ausschließt. Es ist eine schwierige politische und moralische Frage, auf die ich selbst keine eindeutige Antwort weiß.
Einerseits darf man Milosevic nicht zum Partner machen. Andererseits verhindern er und seine Regierung und sein Regime nicht nur Unterstützung und Hilfe für das jugoslawische Volk, sondern auch den Gesamtwiederaufbau am Balkan. Denn wenn Jugoslawien ein schwarzes Loch in dieser Wiederaufbauinitiative darstellt, dann betrifft das ja auch die Nachbarn, die eine gemeinsame Infrastruktur, am gemeinsamen Handel hängen – sie können ihr volles Potential trotz der Unterstützung aus Europa und darüber hinaus nicht wirklich entwickeln.

Balkankonferenz

Dennoch war die vor wenigen Tagen stattgefundene Balkankonferenz, also die Geberkonferenz für die regionale Entwicklung, durchaus ein Erfolg. 2,4 Milliarden Euro wurden für verschiedene regionale Projekte zur Verfügung gestellt, das sind deutlich mehr als die 1,8 Milliarden, die vor der Konferenz erwartet worden sind. 530 Millionen wurden vom Gemeinschaftshaushalt der EU zugesagt, ein ähnlicher Betrag kommt von den einzelnen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Dazu kommen dann noch verschiedene Darlehen der Europäischen Investitionsbank.
Diese Mittel werden auf drei Arbeitsschwerpunkte aufgeteilt, wobei der überwiegende Teil, über 1,8 Milliarden Euro, auf den wirtschaftlichen Teil entfallen, über 400 Millionen auf, Demokratisierung und Menschenrechte und der Rest auf die Justiz sonstige Sicherheitsmaßnahmen. Mit dieser Geberkonferenz ist also die Basis für eine aktive Balkanpolitik, für den Wiederaufbau geschaffen worden. Jetzt geht es darum, für die rasche Umsetzung und Einsetzung dieser Mittel Sorge zu tragen.
Brüssel, 4.4.2000