Wer kümmert sich noch um Europa?

EU_Parlament_Strassburg_Zinner-108Vergangene Woche lud Kommissionspräsident Barroso einige seiner Meinung nach wichtige Abgeordnete zu einem Arbeitsmittagessen ein. Unter den 12 anwesenden Abgeordneten befanden sich zwei Österreicher: Otmar Karas und ich selbst. Barroso ging es vor allem darum, für seine Grundsatzrede in der zweiten Plenarwoche im September einige Ideen zu sammeln und sicher auch darum, Stimmung für sich zu machen. Bis auf einen Angeordneten, den Chef der französischen Konservativen, kritisierten alle den Zustand der EU, insbesondere die Versuche von Merkel und Sarkozy, eine Art Direktorium zu schaffen, jedenfalls die Regierungschefs als die wahren Lenker der EU zu installieren. Daran können weder die Kommission noch das EU-Parlament eine Freude haben.

Fehlentwicklung

Dabei geht es aber nicht nur um eine institutionelle Frage und um ein Machtspiel. Die Regierungschefs sind von Natur aus VertreterInnen der nationalen Interessen. Sie müssen ja die Interessen „ihrer“ Bevölkerung vertreten. Dass sie dies immer mehr nur in einem kurzfristigen Sinn verstehen, verschlimmert allerdings die Angelegenheit noch. Wenn aber die Regierungschefs die „europäischen“ Angelegenheiten immer mehr an sich ziehen und damit zu nationalen Angelegenheiten machen, wer kümmert sich dann noch um Europa, also um unsere gemeinsamen Interessen?

Entweder kommt es dann zu keinen Lösungen oder zu solchen, die auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhen. Und das heißt, dass jedes Land und im konkreten die antieuropäischen Rechtspopulisten einzelner Länder gemeinsame Beschlüsse behindern können. Genau das droht uns derzeit mit den letzten Rettungsvorschlägen, die der Rat am 21. Juli beschlossen hat. Der Druck der Rechten in Finnland und in der Slowakei gefährdet die Annahme und Durchsetzung des letzten Rettungspakets.

Umdenken ist notwendig

Die mangelnde Entschlossenheit der Regierungschefs, etwas Langfristiges und Dauerhaftes gegen die Krise zu unternehmen, zeigt sich auch in den Debatten über eine europäische „Wirtschaftsregierung“ und die Eurobonds, also gemeinsame Anleihen innerhalb eines gemeinsamen europäischen Kapitalmarktes. Zu beiden Themen gibt es nur vage Aussagen anstatt eines klaren Bekenntnisses zu beiden in enger Kombination. Denn wir brauchen günstige gemeinsame Anleihen, die auch (!) den Krisenstaaten helfen, aber wir brauchen auch Einfluß auf deren Politik, um die sinnvolle Verwendung dieser Mittel sicher zustellen. Wir müssen uns in diesem Sinne zu einer engen Kooperation in Europa, jedenfalls der Eurozone, durchringen, andernfalls werden wir die jetzige Krise kaum bewältigen bzw. immer wieder krisenanfällig werden. Natürlich bedeutet das ein Umdenken. Aber weder in Europa selbst noch im globalen Wettbewerb werden wir sonst Erfolg haben.

Doppelmoral

Ich habe Barroso aber noch auf einen mir wesentlich erscheinenden Punkt aufmerksam gemacht. Europa versteht sich auch immer als Wertegemeinschaft. Aber viele Staaten verstoßen gegen die von uns immer hoch gehaltenen Werte. Die jetzige ungarische Regierung fährt fort, das Land autoritär zu führen und einen Meinungsterror zu entfalten. In Frankreich wurde erst dieser Tage wieder eine Roma-Siedlung aufgelöst und die Roma unter fragwürdigen Umständen weggeschafft. In Großbritannien kritisiert der Premierminister die unmoralische Jugend und vergisst dabei die unmoralischen Handlungen vieler Abgeordneten, die sich widerrechtlich Geld zukommen ließen und seine eigenen Verbindungen zu der Murdoch-Presse, die im Einvernehmen von Polizeichefs private BürgerInnen abhören ließen. Es ist genau diese Doppelmoral, die junge Menschen in vielen Ländern unzufrieden macht und auf die Straße gehen lässt.

Kluft zwischen Arm und Reich wächst

Was außerdem zu Protesten führt – und auch diese Problematik legte ich Barroso ans Herz – ist die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Immer wieder werden Statistiken bekannt, die genau diese soziale Ungerechtigkeit in vielen europäischen Ländern belegen. Und da und dort diskutiert man über Reichensteuern, aber erstens kann man noch keine Konsequenzen aus diesen Diskussionen sehen – die ÖVP ist dabei besonders intransingent – und solche Steuern können helfen, aber sie müssen Teil eines umfassenden Kampfes gegen die Armut und für die Korrektur der gewachsenen Ungleichheit sein.