„Za wos a Leitkultur“?

Unter dem Titel „Za wos a Leitkultur“ fand diese Woche eine von der Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik veranstaltete Diskussion statt. Ich kenne den nationalistischen und kämpferischen Hintergrund des Begriffes. Dennoch möchte ich ihn nicht ganz ablehnen.

Der Begriff Leitkultur hat in Verbindung mit dem Deutschen eine ganz bestimmte Stoßrichtung eingenommen. Vor allem muslimischen MigrantInnen sollte mit ihm eine verbindliche Integrations- oder besser Assimilierungsnorm entgegen gehalten werden. Ziel war sogar eher die Verhinderung der Einwanderung, fand sie aber statt, dann sollte sie die vollständige Assimilierung zum Ziel haben. Jürgen Habermas hat diesem Gebot den Begriff „Verfassungspatriotismus“ gegenüber gestellt. Es müsse genügen, wenn sich alle BürgerInnen, so auch die MigrantInnen, zur Verfassung bekennen.

Mir persönlich ist der Ansatz von Jürgen Habermas der sympathischere. Und dennoch scheint er nicht ausreichend. Denn es gibt Verhaltensweisen und Einstellungen, die wir uns in Europa mühsam erkämpft haben und die nicht in den Europäischen Verfassungen bzw. in den verschiedenen Gesetzen verankert bzw. nur grundsätzlich geregelt sind. Die Gleichheit und damit Gleichberechtigung von Mann und Frau, der laizistische, säkulare Staat, also die Trennung von Staat und Religion, die Toleranz, insbesondere auch die religiöse Toleranz, die Kenntnisse der jeweils nationalen Sprache zur gesellschaftlichen Kommunikation etc. – vieles von dem sollte in einem über die Verfassungsbestimmungen hinaus gehenden Ausmaß von allen BewohnerInnen anerkannt werden.

Besonders in Zeiten, in denen viele Menschen das Gefühl haben, die Globalisierung und auch die Europäische Einigung rauben ihnen die Heimat und eine wirksame Mitbestimmung in der Gesellschaft, ist es wichtig, einen Beitrag zum Zurechtfinden und zur Heimatfindung zu liefern. Wir haben ein Problem der gesellschaftlichen Integration, und die Integration der MigrantInnen ist ein Teil dieses Problems. Die mangelnde Orientierung in einer globalen, „grenzenlosen“ Welt wird dann oft an den „Ausländern“ ausgelassen. Insofern kann vielleicht der Begriff der „Europäischen Leitkultur“ einen Sinn machen oder zumindest kann uns die Diskussion darüber weiterhelfen.

Ich verstehe den Einwand, den Barabara Frischmuth in der Diskussion gegen das Wort „Leit“ in diesem Zusammenhang erhoben hat. Nun, wenn leiten erzwingen heißt, dann teile ich ihren Einwand. Für mich geht es eher um eine Orientierung. Und ich kann mir vorstellen, dass viele ZuwanderInnen froh sind, eine Orientierung zu bekommen. Wenn ich bedenke, dass viele Werte bzw. die Durchsetzung dieser Werte mühsam erkämpft wurden, dann sehe ich nicht, warum wir nicht eine Orientierung an diesen Errungenschaften einfordern sollen.

Die Diskussion um wesentliche europäische Werte bzw.um die von uns besonders eingeforderten universellen Werte hat aber noch einen anderen Sinn. Wie sollen wir denn eine Politik à la Berlusconi in Italien oder à la Orban in Ungarn kritisieren, wenn wir deren Politik nicht an einer europäischen Leitkultur messen? Ich meine, diese Politik verletzt in stärkerem Ausmaß den europäischen Wertekanon und damit die Leitkultur als die Mehrheit der – muslimischen – MigrantInnen.

Ob wir nun von einer Europäischen Leikultur sprechen oder nur von Europäischer Kultur oder dem Grundrechtekatalog des Vertrags von Lissabon, wir können keine nachhaltige Gesellschaftsordnung bauen, ohne Werthaltungen zu verankern. Und ich meine vor allem Gesellschaften, in denen sich die Menschen zu Hause fühlen und von denen sie als Heimat sprechen. Selbstverständlich gehören zur Heimat auch ausgedehnte soziale Rechte, aber auch diese zähle ich zur Europäischen Leitkultur. Dieser Begriff darf also niemals gegen die MigrantInnen als solches gewendet werden. Nein, er ist genauso eine Kontrollinstanz für die Mehrheit und die nationalen Regierungen. Er muss für alle gleich gültig sein. Religiöse Intoleranz widerspricht genauso der Europäischen Kultur wie religiöser Zwang. Und dasselbe gilt für einen übersteigerten Nationalismus und für jegliche Art der Diskriminierung. Wir müssen den „christlich-abendländischen“ Kampfbegriff der Leitkultur auch auf die anwenden, die ihn einseitig und diskriminierend verwenden wollen.

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