Energiepolitische Weichenstellungen für Europa

energie5In den kommenden Monaten möchte die EU-Kommission, aber auch der Rat der Regierungschefs einige energiepolitische Leitlinien verabschieden. Das EU-Parlament hat sich zum Teil schon im Vorfeld damit beschäftigt und wird dann auch zu den Vorschlägen von Rat und Kommission Stellung nehmen. Natürlich sind wir alle schon seit Jahren mit energiepolitischen Fragen beschäftigt. Und vor allem haben wir schon viele diesbezügliche europäische Gesetze beschlossen. Aber nun geht es um die neuen Weichenstellungen für die nächsten Jahre.

Ich selbst möchte über meine verschiedenen Foren innerhalb der elektronischen Medien in den nächsten Wochen Ideen und Vorschläge sammeln. Als Grundlage dazu möchte ich im Folgenden einige Informationen und Ideen liefern, die die derzeitigen Diskussionen kennzeichnen. Keineswegs allerdings handelt es sich hierbei um eine umfassende Darstellung.

1. Auf dem Weg zu einer „Europäischen Energiegemeinschaft“?

In den letzten Monaten hat eine Forschungsgruppe um Jaques Delors, dem früheren Kommissionspräsidenten, den Vorschlag unterbreitet, die EU mit einer eigenen europäischen Energiegemeinschaft zu verknüpfen. Die bisherige Politik der EU im Bereich Energie ist nicht konsequent und einheitlich. Um den künftigen Herausfor¬derungen im Bereich Energie gerecht zu werden, bedarf es daher einer verstärkten Kooperation und Zusammenarbeit auf Ebene der EU.

Eine Versorgungssicherheit mit Energie, geprägt durch grenzüberschreitende Solidarität, einer Stärkung des Energie-Binnenmarktes, dem koordinierten Ausbau nachhaltiger Energieressourcen, einer abgestimmten und effektiven Energie-Außenpolitik und eine Stärkung der Energieeffizienz und damit nachhaltiges Energiesparen kann nur durch eine europaweit koordinierte Vorgehensweise erreicht werden.

Der Vertrag von Lissabon streicht erstmals die Bedeutung einer gemeinsamen Energiepolitik durch Aufnahme eines eigenen Artikels (Art 194) hervor. Dies stellt einen Fortschritt dar und ist zu begrüßen, um aber den zentralen Herausforderungen des Zukunftsthemas Energie gerecht zu werden, ist ein darüber hinaus gehendes „Mehr“ an Europa, die Perspektive einer „Europäischen Energiegemeinschaft“, längerfristig jedenfalls notwendig.

Eine solche Energiegemeinschaft sollte insbesondere mit einer eigenständigen Finanzierung durch Steuern und koordinierten nationalen Zielen (z.B. hinsichtlich Ausbau nachhaltiger Energiequellen, Vorgehen in einer Krise, grundlegenden Infrastrukturprojekten etc.) ausgestattet sein. Diese Gemeinschaft sollte allen EU-Mitgliedsstaaten, die zu einem solchen Schritt bereit sind, offenstehen (opt-in approach). In der Vergangenheit gab es mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), welche im Jahr 2002 auslief, bereits Ansätze einer solchen verstärkten Integration im Bereich Energie.
Es ist klar, dass die Entwicklung einer solchen Neuordnung nicht kurzfristig erreicht werden kann. Basierend auf den neugeschaffenen Möglichkeiten des Vertrags von Lissabon sollten aber verstärkte Schritte hin zu einer europäischen Integration der Energiepolitik unternommen werden.

Frage: Sind die Mitgliedsstaaten der EU bereit, ihre Energiekompetenzen zusammenzulegen und sollte die nächste Änderung der EU Verträge solche Schritte in Richtung einer „Europäischen Energiegemeinschaft“ enthalten?

2. Für eine gemeinsame Energieaußenpolitik

Zur Aufrechterhaltung einer langfristigen sicheren Energieversorgung der EU-Mitgliedsstaaten ist ein starkes, gemeinsames und koordiniertes Vorgehen der EU gegenüber Drittstaaten mit klar definierten Zielen notwendig. Eine gemeinsame Außenpolitik sollte insbesondere folgende Ziele verfolgen: Sicherstellung zusätzlich benötigter Energie, Diversifizierung der Energielieferanten und Versorgungsrouten, Reduzierung der Abhän¬gigkeit von Energieimporten.

Bisher dominiert ein getrenntes, unilaterales Vorgehen der Mitgliedsstaaten die Außenpolitik im Energiebereich. Insbesondere im Bereich der Versorgung mit Energie (Gas, Öl etc.) überwiegen bilaterale Abkommen der Mitgliedsstaaten mit Drittstaaten. Der Vertrag von Lissabon mit Einsetzung einer Hohen Repräsentantin für Außenpolitik stellt zwar einen richtigen Schritt in Richtung Koordinierung der gemeinsamen Außenpolitik, auch im Bereich Energie, dar („mit einer Stimme sprechen“).

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die gemeinsame Außenpolitik weiterhin durch intergouvermen-tale Entscheidungsfindung geprägt ist. Entscheidungen der Hohen Repräsentantin bedürfen der vorangegangen einstimmigen Entscheidung der Mitgliedstaaten, sodass einzelne Mitgliedsstaaten einen gemeinsamen EU-Standpunkt, etwa in Internationalen Organisationen oder Konferenzen, verhindern können.

Frage: Sollten die europäischen Energie- und vor allem die Gasunternehmungen gegenüber den Versorgerländern und deren Unternehm¬ungen gemeinsam auftreten, um günstigere Konditionen zu erzielen?

3. Das Prinzip der Solidarität

Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass es aufgrund außenpolitischer Rahmenbeding¬ungen und Spannungen zu einer Unterbrechung der Versorgung mit Energie (insbesondere Gas) kommen kann, die zu einer Versorgungsknappheit mit Energie innerhalb der EU führen kann.

Der Vertrag von Lissabon verankert nun ausdrücklich in Art 194, dass die Energiepolitik der Union im „Geiste der Solidarität“ umgesetzt werden soll. Erste entsprechende Gesetze zur Gasversorgung in Europa mit stark solidarischen Inhalten wurden kürzlich beschlossen. Solidarität ist auch so zu verstehen, dass Energie vermehrt dort produziert wird, wo die Produktion am wirtschaftlichsten ist und in Folge Überschüsse an Energie entsprechend verteilt werden. So etwa kann Sonnenenergie im Süden, Wasserenergie in wasserreichen Ländern und Wind in nordöstlichen Regionen am effektivsten produziert werden.

Frage: Sollen wir eine ökologisch und energiepolitische Arbeitsteilung der Energieerzeugung in Europa anstreben?

4. Ausbau der Infrastruktur, insbesonders der Stromnetze

Ein Hauptaugenmerk der EU Energiepolitik der Zukunft muss es sein, verstärkt in Stromnetze zu investieren, die einen funktionierenden EU-weiten Energiebinnenmarkt ermöglichen. Die Netze müssen europaweit so ausgestaltet werden, dass a) ein Transport von Elektrizität und Gas zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten ungehindert möglich ist, b) Europa bestmöglich mit Energie-exportierenden Drittstaaten verbunden ist und c) Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen an das Stromnetz angeschlossen ist. Hierzu bedarf es europaweiter, abgestimmter Anstrengungen und eines energiepolitischen Gesamtkonzeptes. Nur eine ausreichende Infrastruktur kann einen funktionierenden Energiebinnenmarkt ohne Grenzen gewährleisten.

Auch eine Umsetzung einer solidarischen Energiepolitik, so dass im Fall einer Energiekrise die Versorgung innerhalb der EU gewährleistet ist und Energie dort produziert wird, wo dies am wirtschaftlichsten ist, kann ohne funktionierende grenzüberschreitende Netze nicht umgesetzt werden.

Es gilt daher, auf EU-Ebene die Kooperation und Koordinier¬ung zu verstärken, um ein europaweit integriertes, sicheres und modernes Stromnetz zu errichten. Ziel muss es sein, einen europaweiten „smart grid“ herzustellen.

Frage: Wie können wir sicherstellen, dass der Ausbau der Infrastruktur auf europäischer Ebene mit einer verstärkt dezentralen Energieerzeugung verbunden wird und damit die Störanfälligkeit, die eine Zentralisierung der Energieerzeugung bewirken würde, verhindert werden kann?

5. Diskussionspunkt: Energieeffizienz und die Rolle des Verbrauchers

Das größte Potenzial für kurzfristige Einsparungen im Energiebereich liegt im Energieeffizienzbereich. Der Verbraucher spielt eine zentrale Rolle bei der Erreichung der gesetzten Energieeffizienzziele (Reduktion des Energieverbrauchs von 20% bis 2020 auf Basis des Energieverbrauchs von 2005).

Der Verbraucher ist durch leistbare und energieeffiziente Technologien in die Position zu versetzen, seinen Energiebedarf nachhaltig zu senken bzw. zu steuern. Es bedarf hierzu vermehrter Anstrengungen von öffentlicher Seite und der EU, insbesondere in Form von Förderprogrammen (etwa zur Umrüstung auf neue Produkte oder zur Sanierung von Häusern), die es dem einzelnen Verbraucher ermöglichen, seinen Energiebedarf zu steuern (smart meters). Informationen über den eigenen Energieverbrauch und über den Energieverbrauch von Geräten sind wichtiger Teil, um Effizienzsteigerungen im Energie¬verbrauch erreichen zu können. Es muss eine verstärkte Bewusstseinsbildung betrieben werden.

Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass die vermehrten Möglichkeiten der Verbraucher durch „smart meters“ nicht für die Kontrolle und Überwachung der KonsumentInnen missbraucht werden?

6. Ausbau der Erneuerbaren Energien

Die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Energiequellen ist der Schlüssel für eine nachhaltige, emissionsarme und umwelt¬verträgliche Energieversorgung und Vorraus¬setzung für eine Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und von Energieimport aus Drittstaaten. Auf Seiten der Regelung des Angebots sind daher der Ausbau von erneuerbaren Energien und deren Anschluss an das Stromnetz weiter zu forcieren. Es gilt, ein verstärkt koordiniertes Vorgehen auf europäischer Ebene im Bereich der Investitionen in Energieinfrastruktur (erneuerbare Energien, Netze etc.), unter zur Verfügung Stellung finanzieller Mittel, zu erreichen.

Bei all den Vorteilen, die eine Investition in erneuerbare Energien mit sich bringt, darf jedoch auch nicht aus dem Auge verloren werden, dass eine neue ökologisch geprägte Energieerzeugung stärker in die Hoheitsrechte des Einzelnen eingreifen wird. Die Zahl der zu errichtenden Windräder, Sonnenkollektoren und Biomasse- und Wasserkraftwerke wird ein Vielfaches der bestehenden Kraftwerke ausmachen. Ihre Standorte werden näher an Wohngebiete heranrücken und Eingriffe in bislang unberührte Naturlandschaften notwendig machen.

Frage: Inwieweit sollen seitens der EU den Mitgliedsstaaten verbindliche Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt werden, welche in Folge dann auch überwacht werden sollen?

7. Übergangstechnologien

Es besteht ein breiter Konsens, dass den erneuerbaren Energien die Zukunft gehört. Aber was machen wir bis dahin? Sollen wir auf die Atomenergie setzen, Gas oder Kohle oder auf alle drei Energiequellen. Je nach Ideologie, Risikobereitschaft und Verfügbarkeit setzen einzelne Länder ihre Schwerpunkte auf unterschiedliche Ressourcen. Auch sind die Einschätzung der Verfügbarkeit von Uran, Gas oder Kohle unterschiedlich. Daher gibt es sowohl in den einzelnen Mitgliedsstaaten, als auch bei Experten unterschiedliche Schwerpunkte.

Sicher ist das Gas die am stärksten akzeptierte Energieressource. Allerdings ist Europa – wenn auch unterschiedlich – von Importen abhängig. Und es ist eine oben bereits erwähnte Frage, ob es uns gelingt, verstärkt gemeinsam gegenüber den Liefer- und den Transitländern aufzutreten. Kohle ist in den EU Ländern ebenfalls unterschiedlich vorhanden und daher auch unterschiedlich bewertet. Sicher allerdings sind die Verfahren zur CO² Abschei¬dung voranzutreiben, auch wenn die Lagerung von CO² nicht unproblematisch ist. Und was die Kernenergie betrifft, so gibt es ebenfalls sehr unterschiedliche Einstellungen. Zweifellos gibt es eine, wenn auch begrenzte, Renaissance der Kernenergie, genauer der Technologie der Kernspaltung. Die Endlagerung der nuklearen Restbestände ist aber nach wie vor ungelöst. Und die Kernfusionstechnologie, die allerdings ebenfalls umstritten ist, ist noch lange nicht ausgereift.

Frage: Wie sind die einzelnen Übergangstechnologien in ihren Umweltauswirkungen einzuschätzen und kann man ernsthaft von clean coal-Technologien sprechen?

8. Umdenken im Verkehrswesen

Immer wieder geistern Horrorzahlen über die Zunahme der Anzahl der PKWs durch die Medien. Und das nicht nur für Länder wie China, sondern auch für die anscheinend doch nicht gesättigten Märkte, wie jene von Europa. Die Verkehrspolitik ist dabei besonderen ideologischen Debatten unterworfen. Vor allem die Slogans vom freien Verkehr für freie BürgerInnen zeigen nach wie vor Wirkung. Inzwischen gibt es allerdings neue Debatten über die Elektromobilität. Für viele ist die stufenweise Einführung des Elektroautos das Allheilmittel zur Verhinderung des Verkehrs¬infarkts und zur Lösung der Umweltprobleme in unseren Städten. Allerdings ist zu bedenken, dass der Platzbedarf eines Elektroautos mindestens der gleiche ist wie der eines konventionellen Autos. Und der Umwelteffekt hängt sicherlich von der Erzeugungsart des Stromes ab, mit dem das Elektroauto gespeist wird.
Wenn man parallel zur Entwicklung und Verbreitung des Elektroautos den Strom immer mehr nachhaltig und regenerativ erzeugt, dann kann ohne Zweifel von einer eindeutig positiven Auswirkung auf die Umwelt und das Klima ausgegangen werden. Insofern bin ich ein eindeutiger Befürworter des Elektroautos. Allerdings sollten für mich auch die öffentlichen Transportsysteme modernisiert und ausgebaut werden. Nicht nur aus energie- und damit umweltpolitischen Gründen, sondern auch aus raumpolitischen und sozialen Gründen. Verkehrspolitik, die auf eine umweltfreundliche Raumordnung, dementsprechend angepasste Arbeitszeiten sowie auf den öffentlichen Verkehr und auf das Elektromobil setzen, schaffen gute Voraussetzungen für die Zukunft.

Frage: Wie kann man endlich den Durchbruch zu einer umweltfreundlichen Verkehrspolitik schaffen und die BürgerInnen dabei „mitnehmen“?

9. Forschungs- und Technologiepolitik forcieren

Die Möglichkeiten der Technik sind noch lange nicht ausgeschöpft. Es gilt, die Entwicklung neuer Technologien intensiv zu fördern. Weitere Innovationen sind notwendig, insbesondere um umweltfreundliche und effiziente Technologien der Energiegewinnung und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz zu entwickeln. Es bedarf insbesondere stark erhöhter privater und öffentlicher Investitionen in Forschung und Entwicklung. Europa muss im Bereich der Forschung und Entwicklung von nachhaltigen Energieformen eine Spitzenposition einneh¬men. Dies kann jedoch nur erreicht werden, wenn Europa gemeinsame Anstrengungen unternimmt, den Bereich Forschung und Entwicklung entsprechend zu stärken.

Frage: Welche sollten die Schwerpunkte der europäischen bzw. der österreichischen Energieforschung sein?

10. Globale Bemühungen der EU

Eine europäische Energiepolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie auch andere Staaten und Regionen von einer klimafreundlichen Politik überzeugt. Leider waren wir bis dato nur mäßig erfolgreich. Sicher sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen in den einzelnen sich entwickelnden Länder oftmals verschieden zu jenen der entwickelten Welt. Einige glauben auch, sie könnten eigene Wege ohne Rücksicht auf die Umwelt gehen bzw. sie hätten das Recht, dieselben Fehler und Umweltsünden im Zuge der Wirtschaftsent¬wicklung zu begehen, wie es die Europäer getan haben. Und schon in den letzten Jahren war es schwierig, die Amerikaner zu überzeugen, mit Europa gemeinsam gegen den Klimawandel zu kämpfen – und das trotz der Unterstützung durch Präsident Obama. Nach den letzten Kongresswahlen und mit dem Sieg der Republikaner und insbesondere der Kandidaten der Tea party-Bewegung wird das zweifellos noch schwieriger.

Einige in Europa schlagen vor, wir sollten noch strengere Klimaziele verfolgen und unsere Energiesysteme noch radikaler umbauen. Andere wieder warnen vor den damit verbundenen Kostenerhöhungen und der damit verbundenen De-Industrialisierung Europas. Sie befürchten, dass dann noch mehr Arbeitsplätze durch den Verlust unserer Wettbewerbsfähigkeit verloren gehen würden.

Frage: Welche Strategie soll Europa einschlagen, um ein globales, möglichst umfassendes Energie- und Klimabündnis zu erzielen?