Im Nahen Osten

Jerusalem

Jerusalem

Den Abschluss meiner Arbeitsperiode im ersten Halbjahr 2012 bildete eine offizielle Reise nach Israel und Palästina. Ich war schon mehrere Jahre nicht in dieser Region gewesen und wollte mich über die aktuelle Lage informieren. Ich bin nicht zuletzt deshalb länger nicht nach Israel und Palästina gereist, weil ich die letzten Male immer wieder deprimiert nach Europa zurückkehrt bin. Ich sah keinen Ansatz und keine Hoffnung für und auf eine Friedenslösung im Nahen Osten. Aber man kann ja nicht die Realität ausblenden und nur das Angenehme und Hoffnungsvolle zur Kenntnis nehmen.

So machte ich mich auf den Weg in den Nahen Osten, noch dazu, wo die israelische Labour Party eine neue Vorsitzende bekommen hat. Und sie schafft es, mit einer Politik, die sich auf die sozialen Probleme konzentriert, einen neuen Schwung in die Partei und mehr Zustimmung in der Öffentlichkeit zu bekommen. Außerdem wollte ich die Beziehungen zu den Palästinensern und insbesondere zur Fatah Partei, mit der wir vor einiger Zeit ein Abkommen der Zusammenarbeit geschlossen haben, wieder verstärken.

Den ersten Termin hatte ich beim Präsidenten des israelischen Parlaments, der Knesset. Herr Rivlin ist ein moderater Mann des Likuds, also der Partei von Ministerpräsident Netanyahu. Er war äußerst zuvorkommend und ist den Europäern gegenüber positiv eingestellt. Seine Freundlichkeit änderte allerdings nichts an der Haltung der Regierungsmehrheit, die nicht nur gegenüber den Palästinensern, sondern auch gegenüber der arabischen Bevölkerung in Israel sehr negativ eingestellt ist. Wie wir auch im nachfolgenden Gespräch mit verschiedenen Nicht -Regierungsorganisationen und immer wieder im Laufe meines Besuchs erfuhren, gingen die Zerstörungen palästinensischer Dörfer, die Zwangsumsiedlung der Beduinen und diskriminierende Maßnahmen gegen die Araber in Israel selbst weiter. Und besonders traurig ist, dass der ehemalige Labour-Vorsitzende Ehut Barack dabei eine wichtige Rolle spielt.

Die VertreterInnen der verschiedenen NGOs beklagten natürlich diese gesetzlichen und außergesetzlichen Maßnahmen. Insbesondere kritisierten sie auch die Haltung gegenüber den Flüchtlingen, die nach Israel kommen. Denn wenn viele der offiziellen Gesprächspartner vom Ziel eines demokratischen jüdischen Staates sprachen, dann war doch klar, dass ihnen der jüdische Charakter wichtiger war als der demokratische Charakter. Denn Diskriminierungen und Zweiklassenstaatsbürgerschaft sind nicht gerade mit einer vollendeten Demokratie vereinbar. Meine Gesprächspartner der Zivilgesellschaft in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa verwiesen aber auch auf den vermehrten Widerstand in der Bevölkerung als ein positives Zeichen der Entwicklung hin. Und dieser Widerstand setzt vor allem an den sozialen Problemen und zunehmenden Klüften zwischen Arm und Reich an.

Genau diese sozialen Spannungen greift die neue Vorsitzende der Labour Party, Shelly Yechimovich, auf. Sie hat auch durch diese Strategie gegenüber ihrem Gegenkandidaten Isaac Herzog, den wir ebenfalls getroffen haben, die Wahl innerhalb der Partei gewonnen. Manche kritisieren, dass sie sich in der Frage der Verhandlungen mit den Palästinensern bezüglich des Friedens im Nahen Osten nicht klar genug ausdrückt. Dies brachten auch die Vertreter der anderen linken Partei Meretz in unserem Gespräch zum Ausdruck. Ich verstehen allerdings, dass sich Shelly Yechimovich zuerst auf jene Fragen konzentriert, die ihre eine breite Zustimmung in der Bevölkerung bringen. Und ich gehe davon aus, dass sie auch die anderen Fragen rechtzeitig und hoffentlich im Sinne eines eindeutigen Friedenskonzepts zum Ausdruck bringt.

Darüber sprachen wir auch mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Dan Meridor, der ehemaligen Außenministerin Tzipi Livni und vor allem mit – allerdings inzwischen pensionierten – Generälen der israelischen Armee, die sich in einem Zentrum für Frieden und Sicherheit mit diesen Fragen beschäftigen. Diese haben sich ganz klar gegen die Politik der gegenwärtigen Regierung und für konstruktive Verhandlungen mit den Palästinensern ausgesprochen. Sie definierten ein tragfähiges Friedenskonzept, das zwei unabhängige Staaten – allerdings wirtschaftlich und sicherheitspolitisch eng miteinander verbunden – vorsieht. Es war wohltuend, das von ehemaligen israelischen Militärs zu hören, was sonst nur die israelische Friedensbewegung und wir „naiven“ Europäer vorbringen. Es gibt also zwar nicht genug, aber doch viele Kräfte in Israel, die ähnlich denken wie viele von uns in Europa und die mit uns in engem Kontakt bleiben wollen. Ja, sie wollen und brauchen unsere Solidarität.

Natürlich trifft dasselbe umso mehr für die Palästinenser zu. In Ramallah traf ich Ministerpräsident Fayed und Außenminister Nabeel Shaath sowie einige Mitglieder des Vorstands der Fatah. In Jericho traf ich (bei 47 Grad) den Chefverhandler der Palästineser, Saeb Erekat. Sie alle sind Vorkämpfer für einen friedlichen Weg zur Zweistaatenlösung. Und angesichts vieler „israelischer“ Verletzungen von Menschenrechten, wie sie zuletzt immer wieder dokumentiert wurden und der mangelnden Bereitschaft der Regierung Netanyahu zu konstruktiven Friedensverhandlungen ist das klare Bekenntnis zum Verhandlungsweg nicht leicht durchzuhalten. Das gibt auch der Hamas eine gewisse Stärke. Und so scheiterten bisher alle Versuche der Wiederversöhnung der beiden Kräfte Fatah und Hamas, weil die Frage der Anwendung von Gewalt und auch die Bereitschaft zu freien und fairen Wahlen die beiden Lager trennt.

Es ist nicht nur mein Gefühl und mein Eindruck, dass bei den Palästinensern der Fatah eine echte Friedensbereitschaft besteht. Die Absenz von Terroranschlägen von dieser Seite bestätigt diesen Eindruck. Leider setzt diese Regierung die Politik der Nicht-Unterstützung für die friedliebenden palästinensischen Gruppierungen und Persönlichkeiten fort. Das unterminiert die Glaubwürdigkeit der palästinensischen Führung in den Augen ihrer Wählerschaft und gibt den radikalen Kräften immer wieder Auftrieb. So bin ich nicht kurzfristig optimistischer nach Europa zurückgekehrt. Aber jedenfalls mehr überzeugt, dass unser langfristiges Friedensengagement absolut notwendig ist. Viele Kräfte im Nahen Osten zählen und hoffen auf dieses Engagement. Wir wollen sie nicht enttäuschen. Ich habe jedenfalls eine verstärkte Zusammenarbeit mit diesen Kräften vereinbart. Wir müssen uns in unserer unmittelbaren Nachbarschaft engagieren. Dabei sollen wir keine Illusionen haben. Aber gerade in dieser Region braucht man unsere Solidarität.